Klimaschutz

Wo sich das Regierungsprogramm beim Bodenschutz selbst widerspricht

Die Dreier-Koalition behandelt den Umgang mit Grund und Boden großteils in Überschriften und Absichtserklärungen. Die Umwelt-NGO WWF hat das Regierungsprogramm studiert und kommt zu einem durchwachsenen Befund.

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Mitarbeit: Eva Sager

Zersiedelte Einfamilienhäuser im Grünen oder Einkaufszentren mit riesigen asphaltierten Parkplätzen außerhalb der Ortskerne: Im Versiegeln von Flächen kennt man sich hierzulande aus. Wie mit Grund und Boden umgegangen werden soll, ist ein politisch umkämpftes Terrain. Hochkonjunktur haben die Debatten auch nach Hochwasserereignissen wie im Vorjahr in Niederösterreich. Neu sind diese Diskussionen aber nicht, denn österreichische Regierungen beschäftigen sich seit 23 Jahren mit der Thematik. Das Problem: Bund, Länder und Gemeinden haben nicht dieselben Interessen. Und deshalb gibt es auch seit mehr als 20 Jahren kein verbindliches Ziel. Auch das ÖVP-SPÖ-Neos-Regierungsprogramm bleibt diesbezüglich vage und inhaltlich widersprüchlich.

Die Dreier-Koalition steht beim Bodenschutz also vor Herausforderungen, zu denen bereits Regierungen vor ihr nach Lösungen gesucht haben: auf der einen Seite freuen sich Gemeinden über Betriebsansiedlungen, im Idealfall mit guter Verkehrsanbindung. So werden Äcker in Autobahnnähe beispielsweise zu Logistikzentren. In ländlichen Gemeinden hingegen platzten Geschäfte im Ortszentrum aus allen Nähten, Parkplätze wurden rar, weshalb sich quer durch das Land Geschäftslokale außerhalb des Ortes angesiedelt haben. Gepaart mit dem Traum vom Einfamilienhaus im Grünen ist die Zersiedelung perfekt. Entwicklungen, die bereits die schwarz-blaue Regierung unter Wolfgang Schüssel (ÖVP) im April 2002 erkannt und in der „Strategie zur Nachhaltigen Entwicklung“ thematisiert hat.

Vor 23 Jahren wurde dann auch erstmals über ein quantitatives Bodenschutzziel diskutiert. Die Forderung: Pro Tag sollten im Bundesgebiet maximal 2,5 Hektar verbraucht werden. Doch auf verbindliche Ziele einigte man sich nicht. Der Flächenfraß hält bis heute an, von dem Ziel ist Österreich noch immer denkbar weit entfernt. Laut einer Studie des ehemals grünen Klimaschutzministeriums waren es in den vergangenen Jahren im Schnitt zwischen elf und zwölf Hektar täglich. Rund die Hälfte davon wurde versiegelt.

Eine Entwicklung, die nun von der Umwelt-NGO WWF kritisiert wird. Die Naturschutzorganisation hat sich das aktuelle Regierungsprogramm auf „Boden relevante“ Inhalte angesehen. Die Kernaussagen: Das Programm enthalte einige positive Absichtserklärungen, in vielen Punkten bleibt es laut WWF aber unkonkret. Wie sich Maßnahmen auf den Bodenschutz auswirken würden, hängt laut der NGO „von der Priorität und Umsetzung der zuständigen Ressorts sowie der letztlich entscheidenden drei Regierungsspitzen ab.“

Bundesländer in die Pflicht nehmen

Die Dreierkoalition bekennt sich laut ihrem Arbeitsprogramm „den effektiven Bodenverbrauch effektiv auf 2,5 ha pro Tag zu reduzieren“. Während sich ÖVP und Grüne in ihrem Regierungsprogramm noch auf das Erreichen des Ziels bis 2030 geeinigt haben, schreiben ÖVP, SPÖ und Neos nun davon, einen „Zielpfad bis Ende 2026“ zu entwickeln. Bis Ende nächsten Jahres soll laut Regierungsprogramm also erarbeitet werden, wie man die Bundesländer in puncto Planungs- und Widmungskompetenzen künftig stärker in die Pflicht nehmen könnte.

Ähnlich vage Formulierungen finden sich in 26 weiteren Punkten, die der WWF als Bodenschutzrelevant einstuft. Da ist etwa von der „Aufnahme von Gesprächen mit den zuständigen Gebietskörperschaften“ die Rede oder davon, dass „im Rahmen der Österreichischen Raumordnungskonferenz eine Evaluierung und Umsetzung eines Aktionsplans in Bezug auf die vier Schwerpunkte durchgeführt werden [soll]“. Positiv hebt der WWF jene Pläne der neuen Regierung hervor, Maßnahmen gegen den Bodenverbrauch künftig im Finanzausgleich stärker zu thematisieren. Also dort, wo Bund, Länder und Gemeinden verhandeln, wie Mittel verteilt werden.

„Grundsätzlich würden durchaus Instrumente im Finanzausgleich bestehen, um den Bodenverbrauch einzudämmen – wie etwa eine Widmungs- und Versiegelungsabgabe“, sagt Karoline Mitterer vom Zentrum für Verwaltungsforschung (KDZ). Das Problem: Derzeit ist der Finanzausgleich so aufgesetzt, dass die Höhe des Steuergeldes, das eine Gemeinde bekommt, vor allem von der Einwohnerzahl und der Anzahl an Unternehmen abhängt. Heißt übersetzt: Wenn eine Gemeinde neuen Wohnraum, Geschäftslokale oder Gewerbegebiete schafft, auch auf der grünen Wiese, wird sie im Rahmen des Finanzausgleichs dafür belohnt.

Das Finanzministerium hat deshalb ein Gutachten in Auftrag gegeben, das sich vor allem mit der Frage beschäftigte, wie der Finanzausgleich im Sinne des Klimaschutzes und mit Fokus auf weniger Bodenverbrauch reformiert werden könnte. Die TU-Forscherinnen und Forscher skizzieren in dem im Jänner 2024 veröffentlichten Papier, wie mit einer Flächenwidmungs- und Versiegelungsumlage gegengesteuert werden könnte. Der Plan: Die Körperschaft, die eine Fläche umwidmet, soll einen Betrag an einen Fonds abführen, den das Land verwaltet. Sollte dieselbe Fläche dann auch noch versiegelt werden, steigt die Höhe des Betrags. Umgekehrt sollten Gemeinden eine Gutschrift erhalten, wenn sie ein Grundstück von Bauland zurück in Grünland umwidmet oder entsiegelt.

Mit den Geldern aus der Widmungsabgabe könnten wiederum Rückwidmungs- und Entsiegelungsprojekte finanziert werden. Dieses Umlagenprinzip würde laut Studienautoren Anreize zur nachhaltigen Flächennutzung bieten. Denn, so die Quintessenz der Studie: Würde die Flächeninanspruchnahme „etwas kosten“, könnten „Planungs- und Marktversagen“ vermieden oder abgemildert werden.

Um null Bodenverbrauch zu erreichen, müssten wachsende Gebiete dennoch weiter erschließen, während schrumpfende Gebiete Boden entsiegeln müssten.

Karoline Mitterer, Zentrum für Verwaltungsforschung (KDZ)

Es gibt allerdings auch Kritiker von zu engen Vorgaben: Nicht jede Gemeinde steht vor denselben Herausforderungen, wie Gemeindebund-Chef Johannes Pressl (ÖVP) erst Anfang März in der ORF-Pressestunde betonte. Anstatt einer absoluten 2,5-Hektar-Grenze sollte man laut Pressl auch darüber nachdenken, wie jungen Menschen Altimmobilien zugänglich gemacht werden können. Denn vererbte Häuser würden oftmals ungenutzt bleiben.

Die demografische Entwicklung, die Gemeinden vor verschiedene Herausforderungen stellt, thematisiert auch Mitterer: „Um null Bodenverbrauch zu erreichen, müssten wachsende Gebiete dennoch weiter erschließen, während schrumpfende Gebiete Boden entsiegeln müssten“, so die Verwaltungsexpertin zu profil.

Bodenschutz versus Straßenbau

Damit allein wird das Thema Bodenschutz aber nicht erledigt sein. Denn im Regierungsprogramm finden sich auch Vorhaben, die dem Bodenschutz diametral entgegenstehen. Etwa der Bau neuer Straßen und Autobahnen – Stichwort Lobau-Autobahn – oder die Fahrspurerweiterung von bestehenden Verkehrsadern im höherrangigen Straßennetz. Der WWF beurteilt die geplante Forcierung des Straßenbaus als deutlichen Rückschritt: „Neue Autobahnen und Schnellstraßen schaffen wissenschaftlich erwiesen wieder nur mehr Verkehr und sabotieren die Klima- und Bodenschutz-Ziele.“

profil hat die drei Regierungsparteien gefragt, wie dieser Zielkonflikt gelöst werden soll. Auf der einen Seite möglichst wenig Boden zuzubetonieren, auf der anderen bestehende Straßen zu verbreitern oder neue Autobahnen zu bauen.

Von Seiten des SPÖ-Parlamentsklubs heißt es dazu: „Es ist ein Erfolg, dass die Zielsetzung, den Flächenverbrauch auf 2,5 ha pro Tag zu reduzieren, weiterhin Ziel der Bundesregierung bleibt. Das war nicht selbstverständlich, zeigt aber die Kompromissfähigkeit der Regierungsparteien. Bis Ende 2026 wird zudem ein klarer Zielpfad entwickelt und die Planungs- und Widmungskompetenzen sollen stärker gebündelt werden.“

Die Neos gehen noch einen Schritt weiter und wollen den Gemeinden ein Stück weit die Kompetenzen entziehen: „Es gibt im Regierungsprogramm das klare Bekenntnis, den Bodenverbrauch effektiv auf 2,5 Hektar pro Tag zu reduzieren. Diese quantitative Festlegung war für uns Neos in den Verhandlungen besonders wichtig. Bodenverbrauch ist ein vielfältiges Querschnittsthema, das alle Ebenen betrifft. Wir wollen dafür mehr Kompetenzen auf Landesebene bündeln und die Länder mit einem gemeinsamen Zielpfad in die Pflicht nehmen – dieser soll bis Ende 2026 entwickelt werden.“ Große Hebel wären dafür beispielsweise höhere Bebauungsdichten, adäquates Widmen von Bauland nach tatsächlichem Bedarf oder die Stärkung der Nutzung von Bestandsgebäuden.

Das ÖVP-geführte Landwirtschaftsministerium möchte an der Arbeit der vergangenen Regierung anknüpfen und betont, dass die verschiedenen Interessen nicht gegeneinander ausgespielt werden sollen: „Die Bundesregierung setzt daher auf einen ausgewogenen Ansatz, der sowohl den Schutz wertvoller Flächen als auch die notwendige Infrastruktur und leistbares Wohnen berücksichtigt. Unser Ziel ist es, Österreichs Wachstum klug zu steuern, damit Wirtschaft, leistbares Wohnen und Bodenschutz nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern gemeinsam zur nachhaltigen Entwicklung unseres Landes beitragen“, antwortet eine Sprecherin des Ministeriums. Und: „Jeder – von Gemeinde, Länder bis hin zum Bund ist in seinem Wirkungsbereich gefordert, Maßnahmen, die in vergangenen Jahren gemeinschaftlich im Rahmen der Österreichischen Raumordnungskonferenz erarbeitet wurden, umzusetzen.“

Konkrete Antworten will die Bundesregierung bis Ende 2026 liefern. Dann soll feststehen, wie die Dreier-Koalition den Bodenverbrauch hierzulande eindämmen möchte.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.