Ab Montag wollen ÖVP, SPÖ und NEOS zügig in Richtung erster Dreier-Koalition seit 1946 segeln. Läuft alles nach Plan, wird die „DreiKo“ Leuchtturmprojekte definieren, inhaltliche „Cluster“ bilden, Verhandler-Teams präsentieren.
Bei Sicherheit, Zuwanderung und Integration steht eine künftige Regierung besonders unter Druck zu liefern. Diese Themen standen bei den Wählerinnen und Wählern hoch im Kurs und bugsierten die FPÖ klar auf den ersten Platz.
Die ÖVP geht mit einem üppigen Forderungskatalog, der profil vorliegt, in die Verhandlungen. Im Zentrum der Integrationsdebatte steht die Bundeshauptstadt. Deswegen hat der Chef der ÖVP Wien, Karl Mahrer, in den vergangenen Monaten mit Experten einzelne Positionen ausgearbeitet.
Die Volkspartei zeigt sich demnach erstmals bereit, Erleichterungen bei der Staatsbürgerschaft mitzutragen, konkret bei der Einkommensgrenze von 1217 Euro nach Abzug aller laufenden Kosten. Im Gegenzug soll der Staatsschutz die Antragsteller stärker durchleuchten, um festzustellen, ob sie wirklich integriert sind.
Den „politischen Islam“ will die Volkspartei mit einem eigenen Verbotsgesetz bekämpfen - in Anlehnung an das NS-Verbotsgesetz. Und sie nimmt in den Regierungsverhandlungen einen Neuanlauf fürs Kopftuchverbot.
Staatsbürgerschaft neu
SPÖ fordert leichteren Zugang zur Staatsbürgerschaft, ÖVP bliebt hart. So geht das politische Patt-Spiel seit Jahren. Die Volkspartei ist nun erstmals bereit, sich zu bewegen. Und zwar bei der Einkommensgrenze. Eine Senkung fordert die Wiener SPÖ mit Nachdruck.
Derzeit müssen Einzelpersonen, die eine Staatsbürgerschaft beantragen, monatlich 1217 Euro übrig bleiben - nach Abzug regelmäßiger Ausgaben wie Miete, Kreditzahlungen oder Unterhaltsverpflichtungen. Diese Netto-Grenze führt nicht nur zu langwierigen Verfahren, weil die Einwanderungsbehörden tief ins Alltagsleben der Antragssteller eintauchen müssen.
Sie ist auch von Menschen oft nicht zu stemmen, die „als Pflegekräfte oder Reinigungspersonal das System am Laufen halten“, argumentiert Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ).
„Wir brauchen Zuwanderung von Menschen, die arbeiten. Auch im Niedriglohnsektor."
Karl Mahrer, ÖVP-Wien
„Wir brauchen Zuwanderung von Menschen, die arbeiten. Auch im Niedriglohnbereich“, sagt ÖVP-Wien-Chef Karl Mahrer. Künftig sollte die Höhe des Arbeitseinkommens die wesentliche Richtschnur sein und nicht mehr die Lebenserhaltungskosten, die abgezogen werden müssen.
Dadurch würde der bürokratische Aufwand sinken. Und es könnten auch Menschen Zugang zur Staatsbürgerschaft erhalten, die derzeit nach Abzug aller monatlicher Kosten unterhalb der 1217 Euro liegen. „Es geht um die Selbsterhaltungsfähigkeit und nicht um starre Beträge. Wer gut integriert ist, soll nicht schikaniert werden“, sagt Mahrer.
Eine Verschärfung wünscht sich Mahrer bei Antragstellern, bei denen unklar sei, ob sie gut integriert sind. Sie sollte der Staatschutz DSN verstärkt überprüfen dürfen - auch durch „Screenings“ ihrer Internet-Aktivitäten. „Auffälligkeiten“ seien an die Einwanderungsbehörden der Länder zu melden, damit diese im Zweifelsfall ablehnen können.
Die Behörden sollten nicht nur stärker mit dem Staatsschutz, sondern auch mit Jugendämtern und Schulen vernetzt sein. Damit ein „Gesamtbild“ entsteht, ob Zuwanderer, die Staatsbürger werden wollen, die „Werte der liberalen Demokratie“ mittragen oder nicht. Der ÖVP-Mann denkt dabei an radikalisierte Mädchen und Burschen sowie an muslimische Väter, die ihre Töchter nicht zum Schwimmunterricht lassen oder Lehrerinnen den Handschlag verweigern. Das sollte alles dokumentiert werden.
Das Thema Islam zieht sich wie ein roter Faden durch den schwarzen Forderungskatalog. Er enthält zahlreiche Neuanläufe für Gesetze, an denen sich bereits der frühere ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz die Zähne ausbiss.
Verbotsgesetz politischer Islam
Die ÖVP geht mit einer Maximal-Forderung in die Verhandlungen - einem Verbotsgesetz gegen den Politischen Islam in Anlehnung an das NS-Verbotsgesetz. Damit sollen Menschen getroffen werden, die „auf der Straße ein Kalifat ausrufen oder islamistische Propaganda im Internet verbreiten“, sagt der Chef der Wiener Landespartei, Karl Mahrer.
Was genau unter „politischen Islam“ zu verstehen ist und wo die Grenzen zum alltäglichen Islam zu ziehen sind, ist eine juristisch extrem heikle Materie. Das musste auch ÖVP-Altkanzler Sebastian Kurz erkennen, der das Thema in seiner Amtszeit massiv trommelte.
Die ÖVP begnügte sich schließlich mit einem religionsneutral formulierten Verbot von „religiös motivierten extremistischen Verbindungen“, das schließlich 2021 in Kraft trat.
Die ÖVP will nun weitergehen und setzt in den Regierungsverhandlungen auf Verbündete in der SPÖ. So hat der rote Landesparteichef in Niederösterreich, Sven Hergovich, erst im August diesen Jahres ein „Verbotsgesetz gegen Islamismus“ gefordert, wenn im Zusammenhang mit dem politischen Islam „Demokratie, Frauenrechte oder die Rechte Andersgläubiger infrage gestellt werden“.
Ein Verbotsgesetz, würde auch Plattformen wie TikTok stärker unter Druck setzen, radikale Inhalte zu löschen, argumentieren sowohl Hergovich als auch die ÖVP.
Gesetz gegen „Sittenwächter“
Einen weiteren Straftatbestand will die ÖVP gegen sogenannte „Sittenwächter“ einführen. Sie versteht darunter „Menschen, die Mädchen oder Frauen in Schulen, auf der Straße oder im Internet unter Druck setzen, sich zu verhüllen“. Die bestehenden Gesetze gegen Nötigung und gefährliche Drohung sollten um einen entsprechenden Paragrafen erweitert werden.
Moscheen-Schließung
In der Vergangenheit wurden Moscheevereine, in denen sich Terroristen radikalisiert haben sollen, von ÖVP-Innenministern mit großer Geste geschlossen, um kurz danach wieder aufzusperren. In der nächsten Regierung will die Volkspartei „wenn es notwendig ist, an verfassungsrechtlichen Normen kratzen und diese gegebenenfalls ändern“, damit es beim nächsten Mal besser klappt.
Das Vereins- und Versammlungsrecht ist als Grundrecht besonders abgesichert. Für eine Verfassungsmehrheit bräuchte die Dreier-Koalition die Grünen oder die FPÖ.
Kopftuchverbot
Es war der rechtliche Bauchfleck der Kurz-ÖVP - das Kopftuchverbot im Kindergarten und in Schulen bis 14 Jahre. Der Verfassungsgerichtshof hob es 2020 auf, weil es nur auf den Islam abzielte und damit gegen den Gleichheitsgrundsatz verstieß.
Einen Verbündeten hätte die ÖVP. Die Neos fordern seit 2018 ein Kopftuchverbot bis 14. Allerdings zielt ihr Verbot auf alle religiösen Kleidungsstücke ab – neben Hijab auch auf die jüdische Kippa oder die Patka der Sikhs. Es wäre religionsneutral und für Höchstgerichte wohl einfacher zu akzeptieren.
Die ÖVP will aber auch dieses Mal nur das Kopftuch verbieten. Juristen arbeiten an einer „verfassungskonformeren“ Version, um dieses Mal eine Mehrheit der Höchstrichter zu überzeugen.
Mahrer wirkt wild entschlossen: „Im säkulären Rechtsstaat ist Religionsneutralität wichtig. Burschen die Kippa tragen, sind jedoch nicht ansatzweise dem Druck ausgesetzt wie muslimische Mädchen. Das Kopftuch ist ein Unterdrückungssymbol, das junge Mädchen in vielen Fällen in den gegebenen patriarchalen Familienstrukturen nur vordergründig ,freiwillig’ tragen“, argumentiert Mahrer.
Es „segregiere“ sie in der Öffentlichkeit und presse sie in eine religiöse Rolle. „Das nimmt ihnen die Möglichkeit, sich persönlich und religiös selbst zu entfalten.“
Für Erwachsene sollte das Kopftuchverbot überall dort greifen, wo „Befehls- und Hoheitsgewalt seitens des Staates ausgeübt wird“. Die Volkspartei meint damit Frauen, die in Behörden tätig sind, insbesondere Lehrerinnen, Polizistinnen, Staatsanwältinnen und Richterinnen.
Kassasturz bei Moscheen
2015 wurde das Islamgesetz von 1912 reformiert. Darin wurde unter anderem die Auslandsfinanzierung von Moscheevereinen untersagt. Die ÖVP sieht große Lücken und vermutet, dass manche Vereine aber auch Imame weiterhin aus dem Ausland finanziert werden könnten.
Durch eine Reform des Islamgesetzes soll eine Offenlegungspflicht für die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), Moschee-Gemeinden und Islam-Vereine erwirkt werden, damit Finanzbehörden umfassend Einschau erhalten.
„Säkularere“ IGGÖ
Die Islamische Glaubensgemeinschaft selbst will die ÖVP über das neue Islamgesetz „breiter machen“ und damit ihren „Alleinvertretungsanspruch“ für Muslime in Österreich „beenden“. Die Organisation solle um neue Vereine erweitert werden, „damit sich auch säkularere Muslime besser vertreten fühlen“. Andererseits solle die IGGÖ „durchforstet“ werden, inwieweit sie „radikalen Organisationen nahesteht“.
Eine Kernaufgabe der IGGÖ ist der Islam-Unterricht. Daran will die Volkspartei nicht rütteln, die Lehrinhalte aber stärker staatlich kontrollieren.
Wie viel Punkte SPÖ und NEOS von diesem Härte-Werte-Paket mittragen können und wollen, wird sich in den künftigen Tagen und Wochen zeigen.