Renaturierung: Wie die ÖVP gegen Gewessler vorgehen kann
Die einen feiern die grüne Klimaministerin Leonore Gewessler als Klima-Heldin, die andern fordern ihre Amtsenthebung wegen Verfassungsbruch. Am Montag wurde das EU-Renaturierungsgesetz nach langem Ringen in Luxemburg beschlossen. Österreichs Zustimmung zum Renaturierungsgesetz ist jedenfalls rechtlich umstritten: Gewessler hätte sich an eine nach Ansicht der ÖVP aufrechten einheitlichen Stellungnahme der Länder halten müssen, die ihr die Zustimmung verweigert. Gewessler meint hingegen, dass mit einem Beschluss der Wiener Landesregierung vom 11. Juni, in der sie das Gesetz unterstützt, keine einheitliche Länderstellungnahme mehr vorliege.
Welche Maßnahmen die ÖVP bereits angekündigt hat
Nichtigkeitsklage
Bei einer Nichtigkeitsklage wird der Europäische Gerichtshof aufgefordert, über die Rechtmäßigkeit von EU-Rechtsakten zu entscheiden. Diese Rechtsakte können dann aus verschiedenen Gründen für nichtig erklärt – also aufgehoben – werden, zum Beispiel wegen Unzuständigkeit oder der Verletzung wesentlicher Formvorschriften. Einbringen können eine solche Klage sowohl EU-Organe wie die EZB oder der Rechnungshof und Mitgliedsstaaten, aber auch juristische und natürliche Personen, denen aber nur ein eingeschränktes Klagerecht bei Entscheidungen und Verordnungen, die sie unmittelbar betreffen, zukommt. Schon am Sonntag hatte Bundeskanzler Nehammer mit einer Nichtigkeitsklage im Falle einer Zustimmung gedroht – einbringen könnte sie wohl Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP).
Anzeige wegen Amtsmissbrauch
ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker kündigte am Montag an, dass die ÖVP Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch gegen Umweltministerin Gewessler einbringen werde. „Es besteht der Verdacht, dass Leonore Gewessler mit ihrer Zustimmung zur Renaturierungsverordnung rechtswidrig und wissentlich gegen die klaren Vorgaben des Verfassungsdienstes und gegen die Verfassung handelt – dies begründet Amtsmissbrauch“, so Stocker. Dass solche Anzeigen aus der Opposition kommen, ist nicht ganz unüblich – die FPÖ hat beispielsweise im Februar 2021 Strafanzeige gegen gleich mehrere grüne und schwarze Minister wegen Amtsmissbrauch eingebracht. Eine Anzeige gegen den eigenen Koalitionspartner einzubringen, ist eine Eskalation mit Seltenheitswert.
Was noch passieren könnte
Minister:innenanklage
Der Nationalrat kann Mitglieder der Bundesregierung wegen Gesetzesverletzungen beim Verfassungsgerichtshof anklagen – zum Beispiel, wenn ein Regierungsmitglied die Verfassung verletzt hat. Diese Anklage kann im Nationalrat mit einfacher Mehrheit beschlossen werden, allerdings muss mehr als die Hälfte aller Abgeordneten anwesend sein. Üblicherweise stimmen Regierungsparteien im Nationalrat nicht gegeneinander, ohne die ÖVP hätte das Vorhaben aber sicher keine Mehrheit. Würde die ÖVP einer solchen Anklage zustimmen, käme das wiederum einem Koalitionsbruch gleich. Auch die Länder haben grundsätzlich die Möglichkeit, eine solche Anklage vor den Verfassungsgerichtshof zu bringen: Bei Gesetzesverletzungen in Bereichen, die in die Zuständigkeit der Länder fallen, sind übereinstimmende Beschlüsse aller Landtage erforderlich, um einen Minister oder eine Ministerin anzuklagen. Da aber Wien und Kärnten die Zustimmung Gewesslers zum Renaturierungsgesetz begrüßen, ist eine Anklage durch die Länder unwahrscheinlich. Eine Verurteilung hat je nach Schwere der Rechtsverletzungen mitunter scharfe Sanktionen zur Folge: Die betroffene Ministerin könnte ihr Amt verlieren – und ihr Wahlrecht kann zeitweise ausgesetzt werden.
Misstrauensantrag im Nationalrat
Der Nationalrat kann der Bundesregierung oder einzelnen Mitgliedern das Vertrauen durch ein Misstrauensvotum entziehen. Misstrauensanträge können als Entschließungsanträge von fünf Abgeordneten eingebracht werden; eine Abstimmung über einen Misstrauensantrag verlangt das gleiche Quorum wie eine Ministeranklage: Der Beschluss wird mit einfacher Mehrheit gefasst, es müssen dabei aber mehr als die Hälfte der Abgeordneten anwesend sein. Erreicht das Misstrauensvotum diese nötige Mehrheit, ist das betreffende Regierungsmitglied durch den Bundespräsidenten des Amtes zu entheben.
Entlassungsvorschlag an den Bundespräsidenten
Auf Vorschlag des Bundeskanzlers kann der Bundespräsident einzelne Regierungsmitglieder entlassen – das bisher einzige Mal ist das 2019 passiert, als Sebastian Kurz Alexander Van der Bellen die Entlassung des damaligen Innenministers Herbert Kickl (FPÖ) vorgeschlagen hat. Karl Nehammer könnte nun Leonore Gewesslers Entlassung vorschlagen – der Ex-Grüne Van der Bellen muss diesem Vorschlag allerdings nicht nachkommen.