Gewinnen die Nichtwähler erneut die Wahl?

Rennen um Platz 1: Gewinnen die Nichtwähler erneut die Wahl?

Bei der vergangenen Nationalratswahl stimmten über zwei Millionen Menschen nicht ab. Wer sind die Nichtwähler? Was bewegt sie? Und ist eine sinkende Wahlbeteiligung wirklich so schlimm? profil hat nachgefragt.

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Wie viele Nichtwähler gibt es?

Seit Ende der 1980er-Jahre ist die Wahlbeteiligung bei den Nationalratswahlen deutlich gesunken. Dass die Wahlpflicht 1992 in allen Bundesländern aufgehoben wurde, trug wohl dazu bei. 2013 waren die Nichtwähler mit Abstand die "Wahlsieger" mit rund 34,1 Prozent aller (potenziellen) Stimmen. Das sind über zwei Millionen Menschen, die nicht gewählt haben. Im Jahr 1990 waren es im Vergleich nur rund 13,9 Prozent und rund 782.419 Menschen. Eine Entwicklung, die durchaus normal ist, so Werner T. Bauer von der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung & Politikentwicklung: "Die Wahlbeteiligung war zuvor traditionellerweise sehr hoch, nun tritt eine Normalisierung ein."

Ist eine niedrige Wahlbeteiligung ein Problem?

Die sinkende Wahlbeteiligung per se sorge noch nicht für ein Legitimitätsproblem, so Bauer: "Es gibt auch Länder wie die USA oder die Schweiz, wo die Beteiligung unter 50 Prozent liegt." Das Problem sei vielmehr, dass ein großer Teil der Bevölkerung dann nicht mehr durch die Politik repräsentiert werde und sich Politiker somit auch nicht verpflichtet fühlen würden, ihre Interessen zu vertreten: "Man muss den Nichtwählern klarmachen, was ihre Abstinenz bedeutet", mahnt Bauer.

Wer sind die Nichtwähler?

Natürlich gibt es "die Nichtwähler" als klar definierte Gruppe nicht. Es gibt verschiedene Gründe und Ursachen, die jemanden zum Nichtwähler werden lassen. Gemeinhin unterscheidet man grob drei Gruppen von Nichtwählern: Nichtwähler, die tatsächlich zum Zeitpunkt der Wahl verhindert sind, Dauernichtwähler, die nicht an eine Veränderung durch Wahlen glauben und sogenannte "konjunkturelle Nichtwähler", die aus Protest nicht- oder ungültig wählen. Sie bilden die größte Gruppe.

In den letzten Jahren wurde bei Untersuchungen vermehrt versucht, die verschiedenen Nichtwähler in Milieugruppen/Typen einzuteilen. Bauer hebt vor allem drei Typen hervor:

  • Der "verdrossene Mittelstand" ist zunehmend enttäuscht von den etablierten Parteien. Seine Bindung an die Großparteien SPÖ und ÖVP, die früher durch Milieu und Familie bedingt war, löst sich auf. Eine Parteimitgliedschaft bringt weniger Vorteile als früher. Eine "emotionale Abkühlung" macht sich auch aufseiten der Parteien bemerkbar, die sich weniger um ihre Mitglieder bemühen.
  • Sozial benachteiligte Menschen, mit geringerer Bildung und geringerem Einkommen, gehen weniger häufig wählen. Wenn sie wählen, entscheiden sie sich aus Protest eher für radikalere Parteien am rechten Rand, wie die AfD und die FPÖ. Sie sind auch schwer durch neue Wahlmöglichkeiten und Initiativen zu motivieren, da sie weniger Zeit und oft nicht die nötige Bildung haben, um sich damit vertraut zu machen.
  • Auch junge Besserverdienende werden zunehmend wahlmüde. Sie trauen der Politik nicht mehr zu, tatsächlich etwas zu verändern. Da sie im Neoliberalismus geprägt wurden, denken sie, dass wichtige Entscheidungen eher in der Wirtschaft getroffen werden. Jüngere nützen außerdem lieber neuere und unkonventionellere Möglichkeiten, politisch aktiv zu sein, wie sie zum Beispiel NGOs oft bieten.

Warum kommt das Thema so wenig im Wahlkampf vor?

"Die großen Parteien haben wenig davon, Nichtwähler zu motivieren, da diese wahrscheinlich nicht sie wählen würden. Darum kommt das Thema eher bei kleineren Parteien zur Sprache", so Bauer. Diese können auch eher mit extremen Positionen versuchen, Nichtwähler zu motivieren, was für größere Parteien, die ihre gemäßigten Wähler nicht vergrämen wollen, eher schwierig ist.

Im diesjährigen Wahlkampf hat sich vor allem Peter Pilz den Kampf um die Nichtwähler-Stimmen auf die Fahnen geheftet, auch die Weißen wollen ein "interessantes Angebot" sein. Trotz Großpartei im Hintergrund hat es auch Sebastian Kurz geschafft, Nichtwähler zu seinen Fans zu machen. Diese seine jedoch "scheue Rehe", so Politikberater Thomas Hofer zu derstandard.at, "wenn da das Gefühl aufkommt, dass sie wieder nur das alte rot-schwarze Hickhack bekommen, können die schnell wieder weg sein."

Wird die Wahlbeteiligung dieses Jahr wieder sinken?

Ob die Wahlbeteiligung auch bei dieser Wahl wieder sinken wird, traut sich Bauer nicht vorherzusagen: "Es ist schwer einzuschätzen. Da die Wahl diesmal sehr spannend und umstritten ist, könnte die Wahlbeteiligung steigen. Viele könnten sich aber aufgrund des schmutzigen Wahlkampfes auch enttäuscht abwenden." Generell wirke sich eine Skandalisierung und Entwertung der Politik vor allem durch Boulevard-Medien negativ auf die Wahlbeteiligung aus, so Bauer.

Kommt es wirklich auf meine Stimme an?

Dass jede Stimme zählt, bewies die Bundespräsidentenwahl 2016. Im ersten Durchgang der Stichwahl hatte Alexander Van der Bellen nur einen Vorsprung von 30.863 Stimmen gegenüber Norbert Hofer, das knappste Resultat in der Geschichte der Zweiten Republik. Die Wahl wurde danach von der FPÖ angefochten. Bei der Wiederholung der Stichwahl gewann Van der Bellen dann mit einem deutlicheren Vorsprung von 53,79 Prozent – auch weil er mehr Nichtwähler mobilisieren konnte. 74,21 Prozent aller Wahlberechtigten gingen zur Wahl – der höchste Wert bei einer Bundespräsidentenwahl seit der Jahrtausendwende.