30 Jahre Republikanischer Club: "Norbert Hofer ist ein Déjà-vu"
Der unfassbare Grad an Verlogenheit und der anschwellende Antisemitismus trieben im Präsidentschaftswahlkampf 1986 vor allem junge Menschen auf die Barrikaden. Der Kandidat Kurt Waldheim war mit seiner NS-Wehrmachtskarriere zum Symptom für eine kollektive Lebenslüge geworden, in der sich die Kriegsgeneration als erstes Opfer von Hitler wähnte und sich damit rechtfertigte, damals doch "gar nichts getan“ zu haben.
Die neue Bewegung, die nicht in die Parteienlandschaft passte, nahm nicht mehr hartgesottene Nazis in den Fokus, sondern die Zuschauer, die Nutznießer, eben jene, die "nichts getan“ hatten. Mit dem traditionellen "hilflosen Antifaschismus“, der in seinen Ausdrucksformen erstarrt war, wollte man nichts zu tun haben. Unter Beteiligung fast aller Intellektuellen des Landes - Künstler, Schriftsteller, Maler, Schauspieler, Journalisten, Philosophen, Professoren und Studenten, Juden und Nicht-Juden - wurde im Frühjahr 1986 der "Republikanische Klub - Neues Österreich“ gegründet.
Die Versammlungen, die Aktionen, die Reden zeigten einen Querschnitt des österreichischen Geisteslebens. Selbst die scheue (spätere) Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek trat bei Kundgebungen auf. Der Dichter Peter Handke schrieb für den Club einen poetischen Text über die Ungerührtheit des Kandidaten: "Er antwortete, wie er es gewohnt war, mit den Formeln und Floskeln, die bei ihm, seit wann schon?, das Fleisch und das Blut ersetzten und sich zu einer menschenwürdigen Antwort verhielten wie das Knarren eines dürren Astes zu einem Schmerzens- oder Freudenlaut.“
Norbert Hofer ist für uns natürlich ein Déjà-vu
Die Geschichte des Clubs lässt sich über sein legendäres trojanisches Pferd erzählen. Bühnenarbeiter hatten es im Frühjahr 1986 nach einer Skizze des Bildhauers Alfred Hrdlicka aus Holzbrettern zusammengefügt, mit einer SA-Kappe auf dem Kopf, die Manfred Deix gemalt hatte. Die Idee war entstanden, nachdem SPÖ-Kanzler Fred Sinowatz, selbst verärgert, weil seine Partei es für politisch unklug hielt, Waldheims braune Vergangenheit offiziell zu thematisieren, vor die Presse trat und sich in Sarkasmus flüchtete: "Ich nehme zur Kenntnis: Nicht Kurt Waldheim war bei der SA, sondern sein Pferd.“ Der Satz wurde zum geflügelten Wort.
Aufgebaut erreichte das Pferd eine Höhe von vier Metern. Bei Waldheims spärlichen Auftritten außerhalb der Hofburg, bei den Salzburger Festspielen, in den Landeshauptstädten war es immer schon da, gleich einem Menetekel. Als Waldheim in den Vatikan eingeladen wurde, stand das Holzpferd ein paar Tage lang auf der Piazza Navona, mitten im Herzen Roms.
Derzeit lehnt es, in seine Teile zerlegt, an einer Wand im Republikanischen Club in der Rockhgasse im 1. Wiener Gemeindebezirk. Im Laufe der Jahre haben sich Dutzende Aktivisten mit Filzstiften darauf verewigt.
Hat es ausgedient? Ist der Ungeist, vor dem es einst warnte, heute nicht mehr zu bändigen? "Norbert Hofer ist für uns natürlich ein Déjà-vu. Wir dachten, dass sich vieles verfestigt hat im demokratischen Bewusstsein, aber wir müssen zur Kenntnis nehmen: Es gibt auch einen unglaublichen Backlash“, sagt Sibylle Summer, erste Sprecherin des Vereins, die von Anfang an dabei war.
Die frühen Jahre des Clubs waren atemlos. Bei Veranstaltungen saßen alte Juden und Jüdinnen, die in der Emigration gewesen waren, in der ersten Reihe, Kommunisten und Bürgerliche. Endlich spielte ihr Schicksal eine Rolle. In der letzten Reihe sah man oft Otto Binder, den Vater von Margit Fischer, der energisch mit seinem Stock auf den Parkettboden klopfte, wenn seiner Ansicht nach die Sozialdemokratie zu heftig attackiert wurde. Gemeinsam sorgte man sich wegen des stärker werdenden Rechtspopulismus und dessen Gefahren für Europa.
Die bisher größte Kundgebung der Zweiten Republik, das Lichtermeer am Wiener Heldenplatz 1993, nahm im Club ihren Ausgang. Sie war gegen das ausländerfeindliche Volksbegehren der FPÖ gerichtet. Die Proteste gegen "eine Koalition mit dem Rassismus“ Ende des Jahres 1999 und erst recht die Aktionen und Kundgebungen nach Angelobung der schwarz-blauen Regierung wurden im Club vorbereitet. Das Publikum war jünger geworden. Die sogenannte "Internet-Generation“, wie sie vom damaligen ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel verächtlich genannt wurde, verabredete sich zu wöchentlichen Demonstrationen gegen die ungeliebte Regierung.
Das offene Spiel mit dem Ressentiment ist im Laufe der Jahre so sehr zu einem Erfolgsmodell geworden, wie wir uns das gar nicht vorstellen konnten
Der Schriftsteller Doron Rabinovici war 24 Jahre alt, als er den Club mitgründete und einer seiner Wortführer wurde. Erst die Auseinandersetzung um Waldheim habe ihn in Österreich heimisch werden lassen, sagte er einmal.
Die Causa Waldheim ist längst Geschichte. Die Parole von damals - "Wer Waldheim sät, wird Haider ernten“ - scheint sich bestätigt zu haben. "Das offene Spiel mit dem Ressentiment ist im Laufe der Jahre so sehr zu einem Erfolgsmodell geworden, wie wir uns das gar nicht vorstellen konnten. Es hat sich etwas verändert. Die Hetze hat an Kraft gewonnen. Unsere Gegenwehr von damals funktioniert so nicht mehr gegenüber den Rechtsextremen“, sagt Rabinovici.
Seine Analyse ist nüchtern und hart: "In Österreich sind die Freiheitlichen die Nachfolger der Vorläufer der Nazis, die legitimen Erben jener Kraft, die schon einmal Europa zerstört hat.“
Die Worte klingen bitter. Warum engagiert er sich immer noch, wenn es doch aussichtslos erscheint?
Der Republikanische Club ist ein Ort, an dem Fragen offen diskutiert werden, ohne dass sofort feststeht, was das Richtige und was das Falsche ist
Rabinovici: "Der Republikanische Club ist eine Gruppierung, die sowohl bereit ist, kritisch die Fragen in Österreich zu behandeln, sich mit Rassismus und Nationalismus auseinanderzusetzen, gleichzeitig aber auch kritische Fragen an die Linke zu stellen. Der Republikanische Club ist jener Ort, wo einerseits, Die satanischen Verse‘ von Salman Rushdie das erste Mal in Österreich gelesen wurden und wo andererseits antimuslimische Hetze bekämpft wird. Der Republikanische Club ist ein Platz, wo antizionistischer Antisemitismus von Anfang an ein Thema war, ohne deswegen eine Plattform für anti-palästinensische Denunziation bereitzustellen. Der Republikanische Club ist ein Ort, an dem Fragen offen diskutiert werden, ohne dass sofort feststeht, was das Richtige und was das Falsche ist.“
Der Republikanische Club ist in der Tat ein Fremdkörper im politischen System Österreichs. Er ist keiner Partei verpflichtet und auch keinem Klüngel. Und er hat Österreich verändert.
Er bietet in der Woche zwei, drei Diskussionsveranstaltungen, bei denen es zum Teil recht kontrovers zugeht. Er bekommt Subventionen von der Gemeinde Wien. Er hat ein paar Tausend Mitglieder, auf deren Mitgliedsbeiträge er mehr oder weniger zählen kann. In einem Punkt ist er eine typisch österreichische Erscheinung: daheim wenig beachtet, im Ausland schon einmal überschätzt.
Rabinovici ist bis heute im Vorstand des Clubs aktiv. Er stand ihm in aktionistischen wie in ruhigen Zeiten zur Seite. Er wird es wohl weiter tun. Er hält die Stellung für andere Intellektuelle, Schriftsteller oder Künstler. Für zukünftige Aufgaben - wenn etwa Norbert Hofer in die Hofburg einziehen sollte.