Robert Stoppacher: "Mit der Kanzlerpartei ist es am zähesten"
profil: Nach vielen Jahren ORF-Diskussionssendungen: Wer war Ihr liebster Gast?
Stoppacher: Alle Gäste waren uns lieb. Aber am liebsten waren mir nicht die großen Politiker, die Minister und Co, sondern Menschen wie der evangelische Bischof Michael Bünker. Die waren teils spannender, weil sie nicht vorbereitete, geschliffene Aussagen herunterspulten. Sie antworteten eher auf Fragen. Politikerantworten sind oft vorhersehbar. Aus Sorge, etwas Falsches zu sagen, sagen Politiker Erwartbares - mit Ausnahme von Matthias Strolz: Da erlebte man Überraschungen, weil er impulsiv antwortete.
profil: Strolz ist auch Mediencoach. Sind Menschen wie er schuld an der Gesprächsmonotonie, weil sie Politiker so für Interviews trainieren, dass sie wie Sprechautomaten wirken?
Stoppacher: Alle Spitzenpolitiker sind trainiert, aber Training muss nicht unbedingt erwartbare Antworten bedeuten. Ich war 41 Jahre im ORF. Auch früher stellten sich Politiker nicht ohne Vorbereitung vor eine Kamera. Aber es ist eingerissen, dass Politiker sehr genau aufpassen. Da kommt kein neuer Aspekt: Stay on the message.
profil: War es früher spannender?
Stoppacher: Mein Eindruck ist, dass man in Radiointerviews manchmal mehr herausholt als in Fernsehinterviews: weil die Atmosphäre entspannter ist, weil Fernsehen eine Bühnensituation schafft. Politiker kommen mit vorgefertigten Sprachmodulen; für ein kurzes Interview kann man sie auswendig lernen. Die "Pressestunde" dauert aber 60 Minuten. Das macht die Sendung spannend...
profil: ...aber nicht immer beliebt. Gerade Regierungspolitiker scheinen lieber zu Fellners oe24 zu gehen.
Stoppacher: Das ist auch mein Eindruck. Sie gehen eher zu anderen Formaten und zögern bei ORF-Sendungen. Gerade zu Jahresbeginn war das stark bemerkbar, da gingen türkis-grüne Minister eher zu den Privaten. Doch es wird besser.
profil: Warum war das so?
Stoppacher: Unter Türkis-Blau ging es sicher auch darum, den ORF zu schwächen. Es liegt in der DNA der FPÖ, dem ORF eher feindlich gegenüberzustehen. Zudem ist es so, dass sich Regierungsmitglieder aussuchen möchten, zu welchem Zeitpunkt sie kommen. Wenn etwa gerade Koalitionskrise ist, tritt man nicht gerne auf. Aber Wunschkonzert spielt es nicht mit uns.
profil: Ist das bei der Sonntagsrunde "Im Zentrum" ähnlich?
Stoppacher: Dort haben wir wie das Fußball-Nationalteam viele Trainer. Viele glauben, genau zu wissen, wie man eine Runde zusammenstellt, wem wir fälschlicherweise eine Bühne geben. Oft kommt auch die lustige Frage, warum der Kanzler nicht eingeladen ist. Wir laden ihn immer wieder ein, aber er kommt nicht.
profil: Prinzipiell nicht?
Stoppacher: Sich "Im Zentrum" mit der Opposition auseinanderzusetzen, das will kein Kanzler. Aber in sozialen Medien wird viel diskutiert, was angeblich alles falsch war. Aber so falsch kann es nicht sein, denn wir haben steigende Zuschauerzahlen und Marktanteile - wohl auch, weil die Zeit, in der Innenpolitik die Menschen ankotzte, vorbei ist. Innenpolitik ist spannender geworden; die großen Koalitionen erzeugten gewisse Fadesse.
profil: Ein Kritikpunkt lautet, dass zu wenig Frauen bei "Im Zentrum" sind.
Stoppacher: Meine Erfahrung ist: Wenn ich einen Mann anrufe, sagt er: "Ich komme - was ist das Thema?" Das erlebe ich bei einer Frau selten bis nie. Da höre ich: "Ach, der Sonntag. Nur vier Tage Vorbereitung. Der Kollege hat mehr Bücher dazu geschrieben." Dennoch ist es uns gelungen, die Frauenquote bei "Im Zentrum" von 24 auf 37 Prozent zu steigern. Wir können aber nicht eine neue Wirklichkeit schaffen; viele Spitzenrepräsentanten sind nun einmal männlich.
profil: Wie stark ist der Druck der Politik?
Stoppacher: Es gibt Wünsche und Begehrlichkeiten. Der Druck war früher teils stärker - Peter Westenthaler etwa war brutal. Diesen Druck gibt es heute nicht, eher den Versuch der Regierungsparteien - nicht nur der aktuellen -, das Thema durch Nichtteilnahme abzudrehen. Der Versuch scheitert allerdings: Wir besetzen Themen dann halt mit der Opposition - und schildern aus, wer abgesagt hat. Oder: Regierungsspitzen kommen nicht selbst, sondern sagen, wir schicken euch den oder die. Da werden wir allergisch, denn wir laden konkrete Personen ein und lassen uns nicht irgendjemanden schicken.
profil: Wie erleben Sie die türkise Message Control?
Stoppacher: Wenn wir einen Minister der ÖVP einladen, der absagt, und wir die Regierung, neun Bundesländer, alle Bünde und den halben Nationalratsklub durchtelefonieren und nur Absagen bekommen, dann denken wir uns: Eigenartig, dass gar niemand Zeit hat. Was tun sie alle am Sonntag um 22 Uhr? Vor allem während der Corona-Krise haben wir uns diese Frage gestellt, denn die Ausrede Abendtermin fiel ja weg. Aber auch die SPÖ kommt oft nicht. Nur die NEOS kommen gerne, die sind am unproblematischsten.
profil: Wer ist am problematischsten?
Stoppacher: Die ÖVP. Früher war es mit der SPÖ am schwierigsten. Mit der Kanzlerpartei ist es immer am zähesten. Die Kanzlerpartei hat offenbar das Gefühl, sie kann darüber bestimmen, wer kommt und was diskutiert wird.
profil: Wie übermächtig ist der Einfluss von Parteien?
Stoppacher: Politiker und Parteien ordnen ORF-Journalisten gern zu. Ich war nie Mitglied einer Partei, bin aber eingekastelt und aus Gründen, die mir nicht klar sind, der SPÖ zugeordnet worden. Als ich 2002 als Fernsehchefredakteur abgesetzt wurde, sagte mir die Geschäftsführung, dass sich die politischen Verhältnisse eben geändert hätten. In diesem bizarren System ist das folgerichtig, aber eben nur in diesem bizarren System. Als Leiter der Diskussionssendungen war ich danach auch glücklich.
profil: Welchen Gast hätten Sie gerne gehabt?
Stoppacher: Angela Merkel.
profil: Ihr Tipp an Ihren Nachfolger?
Stoppacher: Lass dir nichts gefallen!