Robert Treichler: Silberstein und Starbucks
Das profil-Cover der Vorwoche war ein rotes Tuch. Das ist bei Titelseiten von Nachrichtenmagazinen nicht ungewöhnlich und auch nicht unerwünscht. Im konkreten Fall wurden jedoch Vorwürfe gegen profil laut, die über den gewöhnlichen Ärger hinausgehen: Das Cover sei antisemitisch – und profil betreibe Hetze gegen die SPÖ.
Zur Erinnerung: Unter dem Titel „Das Geheimnis des Herrn Silberstein“ waren drei Männer abgebildet: Tal Silberstein, kurz davor in Israel festgenommener Wahlkampfberater der SPÖ; Alfred Gusenbauer, SPÖ-Altkanzler, der geschäftlich mit Silberstein in Beziehung steht; Christian Kern, Kanzler und SPÖ-Spitzenkandidat, für dessen Wahlkampfkampagne Silberstein bis zu seiner Verhaftung tätig war.
Zum ersten Vorhalt: War die Covergestaltung antisemitisch? Beanstandet wurden erstens die Verwendung des Wortes „Geheimnis“ im Zusammenhang mit einem jüdisch klingenden Namen und zweitens die Bezeichnung „Herr Silberstein“.
Man kann nicht behaupten, die Zeile „Das Geheimnis des Herrn Silberstein“ sei eine publizistische Neuschöpfung. „Das Geheimnis des Herrn Schäuble“ („Die Presse“); „Das Geheimnis des Herrn Murakami“ („Frankfurter Allgemeine Zeitung“); „Das Geheimnis des Herrn Zorzi“ (spiegel.de) und viele andere gab es schon. Jedoch kann ein harmloser Wortlaut im Kontext von Berichterstattung über einen Israeli mit jüdischem Namen – unfreiwillig oder beabsichtigt – antisemitische Konnotationen bergen.
Die profil-Redaktion setzt sich mit genau dieser Problematik seit vielen Jahren journalistisch auseinander. Die versteckten, angedeuteten, vermeintlich unangreifbaren Anspielungen, die Antisemitismus unter dem Radar verbreiten sollen – wir kennen sie, wir wissen, wer sich in Österreich dieser Taktik bedient. Würde dergleichen auf einem profil-Cover zu finden sein, wir wären entsetzt. Ich sehe so etwas im gegenständlichen Fall nicht.
Und doch bleibt ein unangenehmes Faktum bestehen, dass auch eine Redaktion, die sich alle Mühe gibt, in der Frage des Antisemitismus untadelig zu sein, nicht leugnen kann: Jeder Bericht, der von (potenziellen) Verfehlungen eines Juden, einer jüdischen Institution oder des Staates Israel handelt, wird von Antisemiten begeistert aufgenommen. Das ist eklig, aber schlechthin unvermeidlich.
In dieser Affäre geht es um die Glaubwürdigkeit und das Urteilsvermögen von Christian Kern. Nicht um die israelische Staatsbürgerschaft von Silberstein und nicht um Hetze gegen die SPÖ.
Zum zweiten Vorhalt: „Falter“-Herausgeber Armin Thurnher, ein von Gusenbauer „hochgeschätzter Journalist“ (wie in einer Aussendung der SPÖ vom März 2008 nachzulesen ist) und Co-Autor eines Gesprächsbandes mit dem Ex-Kanzler („Die Wege entstehen im Gehen“, Czernin Verlag), behauptet, profil habe aus einer „Affäre Silberstein“ eine „Affäre von Gusenbauer oder der SPÖ“ gemacht.
Ist das so?
Es gilt zu unterscheiden: Die strafrechtlichen Vorwürfe (Geldwäsche, Korruption, Betrug, Dokumentenfälschung) gegen Silberstein und andere haben mit Gusenbauer und der SPÖ nichts zu tun. Sie betreffen Vorgänge in Rumänien und Israel, in die kein SPÖ-Politiker verwickelt ist. Im Übrigen gilt für Silberstein die Unschuldsvermutung.
Bleibt die politische Dimension. Die SPÖ verlangt ein Verbot von Briefkastenfirmen ohne Produktionsstandort. Steuerbetrug und Geldwäsche müssten härter bekämpft werden. Auf die „Panama Papers“ reagierte sie mit der Forderung nach Sanktionen gegen Steueroasen. Zugleich beschäftigte SPÖ-Chef Kern mit Tal Silberstein einen Mann, der unter Verdacht steht, mithilfe von Briefkastenfirmen – auch in Panama – Geldwäsche betrieben zu haben. Wie profil berichtete, bestand dieser Verdacht lange vor der Festnahme Silbersteins.
Während also Kern unbescholtene Unternehmen wie Starbucks öffentlich anprangerte, weil sie seiner Meinung nach zu wenig Steuern zahlen, hielt er Silberstein, der laut Gusenbauer gut darin ist, „konzeptionelle und strategische Ideen zu formulieren“, für einen unbedenklichen Berater. Das ist – wenige Wochen vor der Wahl – ein Debakel. Kein strafrechtliches, sondern ein politisches.
Ich finde es im Übrigen auch nicht moralisch verwerflich, dass Gusenbauer für das Minenunternehmen Gabriel Resources Ltd. tätig ist, das den Staat Rumänien vor einem internationalen Schiedsgericht klagt. Ich halte ein solches Klagerecht prinzipiell für sinnvoll. Die SPÖ allerdings möchte Freihandelsabkommen wie CETA oder TTIP wegen solcher Klagerechte zu Grabe tragen. Nur deshalb ist auch diese Diskrepanz ein politisches Problem für Kern.
In dieser Affäre geht es um die Glaubwürdigkeit und das Urteilsvermögen von Christian Kern. Nicht um die israelische Staatsbürgerschaft von Silberstein und nicht um Hetze gegen die SPÖ. Oder vielleicht Parteinahme für ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz? Der wurde von profil schon mal als „Rädelsführer der Law-and-Border-Fraktion“ bezeichnet. So viel dazu.
[email protected] Twitter: @robtreichler