Rohrer zur Causa Ischgl: "Viele Gerichte werden sich damit beschäftigen"

Ronald Rohrer, Vorsitzender der Experten-Kommission zur Causa Ischgl, spricht mit profil über über Behördenfehler, blinde Flecken der Prüfung und betrunkene Holländer. Bis jetzt gab er nur ein Interview: in der ZIB2.

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profil: Ihr Bericht wird sehr unterschiedlich interpretiert. Die Tiroler Landesregierung wertet ihn als Freispruch - die Opposition hat die Rücktrittsforderungen gegenüber dem Gesundheitslandesrat erneuert. Wer hat recht?

Rohrer: Die Leute wollen halt hören, wer schuld ist. Aber das war nicht die Aufgabe des Berichts. Wir haben objektiv festgestellt: Was hätte man bei richtiger Einschätzung der Situation besser machen können?


profil: Die Argumentation der Landesregierung lautet: Der Bericht Ihrer Kommission hätte nur "Fehleinschätzungen" festgestellt - aber kein Behördenversagen. Dabei haben Sie doch herausgefunden, dass das Land die Öffentlichkeit gleich zwei Mal - wider besseres Wissen-falsch informiert hat. Sind das nicht eher Täuschungen als bloß Fehleinschätzungen?

Rohrer: In dem Fall rede ich nicht von Fehleinschätzungen. Ich habe gesagt: Das war falsch, das brauchen wir nicht diskutieren. Falsch ist eine objektive Feststellung. Täuschung wäre es nur, wenn das unter Vorsatz passiert ist. Das habe ich nicht erhoben. Für mich war das nicht relevant.

 

profil: Ihr Bericht deckt sich in fast allen Punkten mit den profil-Recherchen der vergangenen Monate. Es gibt nur einen Unterschied: Sie haben erklärt, die Behörden hätten auf die ersten Warnungen aus Island am 4. und 5. März richtig reagiert. Tatsächlich wurde aber nur eine einzige Reinigungskraft als Kontaktperson der infizierten Isländer identifiziert. Das ist doch sehr unrealistisch. Diese 14 positiven Urlauber waren wohl in Frühstücksräumen, in Lokalen und in Gondeln - und hatten vermutlich mit viel mehr Menschen Kontakt.

Rohrer: Das kann schon sein, dass die in Frühstücksräumen Kontakt zu anderen Personen hatten. Um das zu klären, hätte ich den ganzen Polizeiposten Ischgl anhören müssen. Und dann wäre ich im nächsten Jahr auch noch nicht fertig gewesen. Die Frage ist für mich: Was wäre denn dann anders gelaufen?

profil: Die Behörden hätten die Hotels schließen können, in denen die Isländer waren.

Rohrer: Das wäre denkbar gewesen, das haben wir nicht geprüft.

profil: Das heißt, Ihr Bericht stellt keinen Vollständigkeitsanspruch?

Rohrer: Was die Behörden betrifft, haben wir keine Anhaltspunkte, dass es da noch weitere Problemfelder gegeben hätte. Aber ich kann es natürlich nicht ausschließen.

profil: Das Ziel Ihres Berichts war ja, etwas aus dem Fiasko zu lernen. Was sollte in Zukunft anders laufen?

Rohrer: Wir waren immer in Wagrain Ski fahren. Was wir dort an betrunkenen Holländern auf der Piste gesehen haben-unglaublich! Einen haben wir aus einem Weidezaun herausgezogen, der war kaum mehr ansprechbar. Da hat man den Eindruck, dass das Skifahren nur die Tarnung ist. Da muss ein Bewusstsein geschaffen werden: So seid ihr bei uns nicht willkommen. Als Sportler und als lustige Leute werdet ihr bei uns gut verpflegt - aber nicht, wenn ihr euch nur in einen Vollrausch trinkt. Das müsste man über deutsche und nordische Medien sehr deutlich transportieren.

profil: Und auf politischer Ebene - braucht es da nicht auch Konsequenzen?

Rohrer: Primär muss einmal der Landeshauptmann seine Landespolitiker und seine Landesbehörden neu ausrichten. Da muss ein geschärftes Bewusstsein entwickelt werden. Wie er das macht, da mische ich mich nicht ein.

profil: Ihr Bericht übt auch Kritik an der Bundesregierung. Mit ihrer Quarantäne-Ankündigung für Ischgl hätten Kurz und Co das Abreise-Chaos ausgelöst.

Rohrer: Es wäre sinnvoll gewesen, wenn die Bundesregierung veranlasst hätte, dass der für Ischgl zuständige Bezirkshauptmann erst eine Verordnung für die Quarantäne und die geordnete Ausreise erlässt. Und erst wenn ich die habe, dann gehe ich an die Öffentlichkeit. Es war ein bisschen umgekehrt - erst die Ankündigung, dann die Verordnung. Und dann kam es zu dieser überfallsartigen Ausreise ohne Kontrollen.

profil: Hätte der Gesundheitsminister vor der Pressekonferenz eine Weisung erteilen können?

Rohrer: Ja, der Gesundheitsminister wäre weisungsberechtigt gewesen, der hätte dem Landeshauptmann die Quarantäne anordnen können, der sie wiederum an den Bezirkshauptmann weiterleiten hätte müssen - Anschober hat aber keine Weisung gegeben.

profil: Wie lange wird die Causa Ischgl noch für Schlagzeilen sorgen?

Rohrer: Es ist sehr komplex, sehr diffizil und viele Gerichte werden sich noch damit beschäftigen.

 

Mehr zur Causa Ischgl lesen Sie im aktuellen profil.

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.