SPÖ-Parteitag

Rotes Rückzugsgefecht

Streit unter Alphamännern, umstrittene Positionierung, wenig Bastionen: Die SPÖ hat mehr Probleme als Lösungen. Dabei sollte vor dem Parteitag eigentlich frischer Wind wehen.

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„Bitte frankieren und Kurz die Meinung sagen“ steht auf der Postkarte. Sie ist an „ÖVP-Bundesparteiobmann Sebastian Kurz“ adressiert und liegt zwischen den roten Werbeartikeln im Wartebereich der SPÖ-Parteizentrale in der Wiener Löwelstraße. Kurz ist seit zwei Jahren nicht mehr ÖVP-Chef und Kanzler, die Karte eine Zeitreise in die Vergangenheit. Dabei sollte eigentlich in der SPÖ frischer Wind wehen.

Seit fünf Monaten ist Andreas Babler Parteiobmann. Anfangs bejubelt, mittlerweile ist Ernüchterung eingekehrt. Nach der verstolperten Vorsitzwahl im Juni soll ein Parteitag in Graz am kommenden Wochenende der zweite Startschuss für Babler werden. Bisher kommt die SPÖ nicht vom Fleck. Aus zehn Gründen.

Rote Zahlen

Seit den 1980er-Jahren verlor die SPÖ bei fast jeder Nationalratswahl an Stimmen. Zuletzt konnte Alfred Gusenbauer 2002 signifikant dazugewinnen, nachdem sich die FPÖ in Knittelfeld aus Schwarz-Blau 1 katapultiert hatte. Seine Nachfolger Werner Faymann und Pamela Rendi-Wagner mussten die jeweils schlechtesten Ergebnisse der Parteigeschichte verantworten, Christian Kern gewann 2017 mit 0,04 Prozent minimal dazu, verlor aber Platz 1 und Kanzleramt. Der Abwärtstrend hat finanzielle Folgen: Erhielt die SPÖ 2013 noch fast 14 Millionen Euro an Parteien- und Parteiakademieförderung, waren es heuer nur noch 9,7 Millionen. Zum Vergleich: Die ÖVP bekam 2023 rund 16,3 Millionen Euro, die FPÖ 7,7 Millionen.

Wie die Wähler verabschiedeten sich auch die Mitglieder: Ende der 1970er-Jahre zählte die SPÖ stolze 720.000 Mitglieder, Anfang 2022 waren es nur mehr 134.000. Das spürt die Partei in ihren Finanzen: 2013 gaben die Bundes- und Landesparteien im Rechenschaftsbericht mehr als zehn Millionen Euro an Mitgliedsbeiträgen an. Im letzten veröffentlichten Bericht von 2020 waren es rund 7,6 Millionen. Unter Babler sind 16.000 Mitglieder neu eingetreten, doch die erste Eintrittswelle seit Jahrzehnten ebbte über den Sommer wieder ab.

Die Folge der sinkenden Einnahmen war 2019 ein Schuldenstand von fast 15 Millionen Euro. Ein harter Sparkurs und eine Kündigungswelle folgten. Die Schulden seien mittlerweile auf einen einstelligen Millionenbetrag gesunken, sagt die neue Bundesgeschäftsführerin Sandra Breiteneder: „Wir sind noch nicht schuldenfrei, aber wir können uns einen Wahlkampf ganz gut leisten.“ Ob das in der Millionenschlacht reichen wird?

SPÖ-Milieu schrumpft

Die Sozialdemokratie verstand sich immer als „Arbeiterbewegung“, Parteichef Andreas Babler hält seine proletarische Herkunft hoch. Doch diese klassische Klientel schrumpft: Als die SPÖ unter Bruno Kreisky im Jahr 1970 stärkste Partei wurde, waren 60 Prozent der unselbstständig Beschäftigten Arbeiter – und wählten mehrheitlich SPÖ. Heute hat sich der Anteil der Arbeiter an den Beschäftigten halbiert. 

40 Prozent von ihnen haben keine österreichische Staatsbürgerschaft, dürfen also nicht wählen. Selbst in dieser deutlich kleineren Klientel ist die SPÖ nicht mehr Ziel-1-Gebiet, sondern konkurriert mit der FPÖ. Bleiben Frauen als rote Hoffnung, aber diese verblasst: Früher existierte ein „gender vote gap“, Frauen wählten deutlich seltener FPÖ und häufiger SPÖ und Grüne als Männer. Diese Kluft zwischen den Geschlechtern ist Geschichte, das Wahlverhalten von Frauen und Männern näherte sich heuer bei den Landtagswahlen an. Eine weitere Wählerinnenbastion der SPÖ geht verloren.

Zankpartei

Zwischen Wien und Eisenstadt liegt eine kurze Autofahrt, in der SPÖ trennen die Städte aber Welten. Die Beziehung der beiden SPÖ-Landeschefs Michael Ludwig und Hans Peter Doskozil hat einen Tiefpunkt erreicht. Eigentlich schien die große Schlacht der Alphagenossen durch ein siegerloses Unentschieden beendet: Die von Wiens Bürgermeister Ludwig unterstützte Ex-SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner fand bei den Mitgliedern zu wenig Unterstützung, Doskozil konnte sich bei den Delegierten am Parteitag nicht durchsetzen.

Doch nun schmollen beide mächtigen Roten. Ludwig zieht sich aus den Bundesgremien zurück, offiziell, um sich auf Wiener Probleme zu konzentrieren. Doskozil schwänzt Bablers ersten Parteitag, weil er als Landeshauptmann den burgenländischen Landesfeiertag zelebrieren muss. Zudem fühlt sich die burgenländische Landespartei bei der Kandidatenliste für die EU-Wahl übergangen, ihr Chef sprach der Bundespartei prompt Verlässlichkeit, Vertrauen und Berechenbarkeit ab. Der Zank geht weiter – wie unter Rendi-Wagner.

Masterplan fehlt

Nach High-Noon-Monaten wollte die SPÖ im Sommer hinter den Kulissen tüfteln. Der Parteichef ging auf Bundesländertour, in Wien wurde die parteieigene Website umgebaut und eine Herbstkampagne vorbereitet. Mit durchwachsenem Erfolg: Das neue Webdesign schwächelt, im Netz finden sich rote Seiten vergangener Jahre, die auf der Website der Partei begraben wurden. Unter spoe.at/herbstkampagne steht etwa: „Diese Seite existiert nicht.“ 

Analog rumpelt es ebenso – obwohl manche Forderungen nur recycelt werden. Am Parteitag soll ein „Masterplan gegen die Teuerung“ beschlossen werden. Doch eingefrorene Mietpreise bis 2025 und eine niedrigere Mehrwertsteuer für Lebens-mittel fanden sich schon im „5-Punkte-Plan zur Preissenkung“, den Ex-Parteichefin Rendi-Wagner im August 2022 vorgelegt hatte. Die „Anti-Teuerungskommission“ folgte im „3-Punkte-Sofortpaket gegen Teuerung“, das die SPÖ im April – vor Babler – nachgelegt hatte. Die einzige Neuerung in Bablers „Masterplan“ sorgt für parteiinterne Kritik: Eine „Inflationsbremse“ in der Verfassung „kann nicht gut gehen“, hielt etwa Franz Vranitzkys ehemaliger Kabinettschef Max Kothbauer fest. Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) befand, die Verfassung habe andere Aufgaben „als wirtschaftliche Befindlichkeiten festzulegen“.

Parteichef allein zu Haus

„Der bessere Sozi?“, fragt die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ diese Woche – und jazzt Babler zur neuen europäischen Hoffnung der Sozialdemokratie hoch, der es gelingt, moderne Umwelt- und humane Migrationspolitik zu entwickeln. In Österreich ist die anfängliche Euphorie verebbt. 

Bablers Pläne, von Tempo 100 bis zur 32-Stunden-Woche, stoßen auf lautstarke interne Kritik. Seine Ankündigung, die Nummer 1 zurückzuerobern, zeitigt bisher keine Erfolge: In Umfragen liegt die SPÖ auf Platz 2 oder gar 3. 

Zurechtgestutzte Beteiligung

Als selbst ernannter Kandidat der Basis versprach Andreas Babler den Mitgliedern mehr Mitsprache. Als Parteichef stößt er damit in den hohen Gremien auf wenig Gegenliebe. Das Resultat ist Mitbestimmung light: Die Basis darf nicht jederzeit über den Parteivorsitz entscheiden, sondern nur, wenn eine Wahl ansteht und ein Gegenkandidat oder eine Gegenkandidatin 1500 Unterstützungserklärungen sammelt. Und: Verpflichtende Abstimmungen über allfällige Koalitionsabkommen stehen in Graz gleich gar nicht zur Wahl. 

Bablers Team hofft, beim nächsten Parteitag mehr Erfolg zu haben – und verweist darauf, dass der Parteivorstand schon jetzt eine Abstimmung über den Koalitionspakt beschließen könnte. Eine Basis-Revolution sieht anders aus.

Umdenken um Umzug

Die Löwelstraße in der Wiener Innenstadt ist eine stolze Adresse. Seit 1945 ist sie die Zentrale der SPÖ. Doch die Büros sind aus der Zeit gefallen, und nicht nur auf der Haupttreppe weist schwarzes Klebeband auf dringenden Renovierungsbedarf hin. Der Wiener SPÖ, die mit der Bundespartei in der Löwelstraße residiert, reicht es: Bis 2026 will sie in das Arbeiterheim Favoriten in der Wiener Laxenburgerstraße ziehen. Dort wäre auch ausreichend Platz für die Bundespartei. Doch ob diese sich erneut auf eine Wohngemeinschaft einlässt, ist unter Babler wieder offen. Das neue Führungsduo in der Löwelstraße, Sandra Breiteneder und Klaus Seltenheim, will die historische Adresse weder überhastet noch um jeden Preis verlassen – erst recht nicht im kommenden Superwahljahr. So plant die Wiener SPÖ ihren Umzug vorerst allein.

Leerstelle Außenpolitik

Sie verurteilte Hakenkreuz-Schmierereien und Hamas-Terror – ansonsten war von der SPÖ zur Attacke auf Israel kaum etwas zu hören. Erstaunlich wenig für eine Partei, die sich gern auf die stolze Tradition des Weltpolitikers Bruno Kreisky beruft. Das große Schweigen hat mehrere Gründe: Nahost stellt für die SPÖ heikles Terrain dar, auch wegen der historischen Solidarität mit Palästinensern, die Parteiausschlussverfahren gegen die Parteijugend sprechen eine beredte Sprache. Zudem sind die Positionen von Parteichef Andreas Babler erst in Ausarbeitung, Ex-Kreisky-Sekretär und Spitzendiplomat Wolfgang Petritsch werkt daran. Viel Vorarbeit gibt es nicht: Vor Babler war Pamela Rendi-Wagner selbst für Außenpolitik zuständig – und hinterließ vor allem Leerstellen. Einer der peinlichen Tiefpunkte: die vielen SPÖ-Abgeordneten, die die Rede von Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj im Parlament schwänzten.

Aushängepolitiker fehlen

Es gibt erfahrene Auskenner wie Josef Muchitsch, den SPÖ-Sozialsprecher, detaillierte Tüftler wie Jan Krainer, den SPÖ-Budgetsprecher, oder laute Zukunftshoffnungen wie Eva-Maria Holzleitner, die SPÖ-Frauensprecherin. Sonst ist der rote Parlamentsklub für eine Oppositionspartei aber bemerkenswert unauffällig. Nur politischen Feinspitzen etwa wird der Name der SPÖ-Bildungssprecherin bekannt sein (Auflösung: Petra Tanzler, seit 2021). Der Vergleich macht sicher: Der abtretende NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker hat vorexerziert, wie man sich als Oppositions-abgeordneter den Status eines Experten und Medien-Dauergasts erarbeitet. Die SPÖ hat wenige dieser Aushängepolitiker, die klar für eine Zielgruppe stehen.

Schwächeln in Städten, Zuschauer am Land

Mit 42 Einwohnern ist Gramais die kleinste Gemeinde Österreichs. Bei den Tiroler Landtagswahlen erreichte die SPÖ dort keine einzige Stimme. Gramais ist ein Extrem-, aber kein Ausnahmefall: In 58 von 272 Tiroler Gemeinden kam die SPÖ über ein einstelliges Ergebnis nicht hinaus. Über Jahrzehnte konnte die SPÖ ihre traditionelle Schwäche am Land durch gute Ergebnisse in den Städten wettmachen. Das ist vorbei, urbane Zentren sind keine roten Bastionen mehr.

In Graz, wo bis 2003 SPÖ-Bürgermeister Alfred Stingl regierte, landete die SPÖ bei der Wahl 2021 auf dem beschämenden fünften Platz, abgeschlagen hinter KPÖ, ÖVP, Grünen und FPÖ. In der Stadt Salzburg, bis 2017 mit Heinz Schaden in roter Bürgermeisterhand, droht ihr bei der Gemeinderatswahl im kommenden Jahr ein ähnliches Schicksal – schon heuer bei den Landtagswahlen wurde die SPÖ auf den vierten Platz hinter ÖVP, Kommunisten und FPÖ durchgereicht. Einstige Hochburgen wie Wels in Oberösterreich gingen schon an die FPÖ verloren. Und in Niederösterreichs Landeshauptstadt St. Pölten, eine der wenigen roten Inseln im schwarzen Bundesland, wurde heuer bei den Landtagswahlen die ÖVP knapp stärkste Partei. Viele Stärkefelder hat die SPÖ nicht mehr. 

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.