Nathaniel Freiherr von Rothschild

Rothschild-Nachfahre klagt Stadt Wien

Vor 100 Jahren stiftete Nathaniel Rothschild die Nervenheilanstalt am Wiener Rosenhügel. 1939 lösten die Nazis die Stiftung auf, 1956 wurde sie unter fragwürdigen Bedingungen wiederhergestellt. Nun könnte sich die Stadt Wien das verbliebene 80-Millionen-Euro-Vermögen der Rothschild’schen Stiftung komplett einverleiben.

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Nathaniel Freiherr von Rothschild, Mitglied des Wiener Zweiges der Bankiersfamilie, geboren 1836, gestorben 1905 in Wien, war Philanthrop. In seinem Testament stiftete er 20 Millionen Kronen (heute etwa 100 Millionen Euro) zur Errichtung einer Heilanstalt für mittellose Nervenkranke. 1912 wurde das Krankenhaus auf dem Wiener Rosenhügel eröffnet. Als Neurologisches Zentrum Rosenhügel besteht es noch heute, ebenso die gemeinnützige Nathaniel Freiherr von Rothschild’schen Stiftung für Nervenkranke, in deren Eigentum das Grundstück, die ursprünglichen Pavillons und diverse Verwaltungsgebäude stehen. Geschätzter Wert: 70 Millionen Euro. Dazu kommen sieben Millionen Euro Bankguthaben.

Fehlende Sensibilität

Gern rühmt sich die SPÖ-dominierte Bundeshauptstadt ihres Umgangs mit der dunklen NS-Vergangenheit. Im Fall der Rothschild’schen Stiftung fehlte diese Sensibilität, wie Recherchen von profil, „Kurier“ und „Financial Times“ belegen. Das Vermögen der Rothschild’schen Stiftung könnte bald vollends der Stadt Wien anheimfallen. Schon vor 20 Jahren verleibte sich die Gemeinde einen Teil davon ein. Doch diesmal wehrt sich ein in New York lebender Nachfahre der Wiener Rothschilds, Geoffrey R. Hoguet, 69, gegen die behördlichen Eingriffe und zieht vor Gericht.

Hoguet ist ein Urenkel von Albert Rothschild, Nathaniels jüngerem Bruder. Erst vor einigen Monaten erfuhr er von der Existenz der Rothschild’schen Stiftung – und vom fragwürdigen Umgang damit. Sein Wiener Rechtsanwalt Wulf Gordian Hauser brachte im November 2019 am Bezirksgericht Hietzing mehrere gegen die Stadt Wien gerichtete Anträge ein. Die darin erhobenen Vorwürfe wiegen schwer. Die Stadt Wien sei im Umgang mit der Stiftung „so verfahren, als ob die nationalsozialistischen Enteignungsdekrete nach wie vor aufrecht wären“.

Beamte ignorierten Statuten

Nach der Machtübernahme der Nazis in Österreich war die Stiftung im April 1939 aufgelöst worden. Das Vermögen wurde ins Eigentum der Stadt Wien übertragen. Im Juli 1956 wurde die Stiftung mit Beschluss der Wiener Landesregierung wiederhergestellt. Vor dem „Anschluss“ 1938 war gemäß der Stiftungsurkunde ein unabhängiges zwölfköpfiges Kuratorium unter Vorsitz der Familie Rothschild für die Verwaltung der Stiftung zuständig. Doch die im Jahr 1956 involvierten Rathausbeamten ignorierten wider besseres Wissen die Statuten. Per Bescheid wurde der Magistrat der Stadt Wien zur Verwalterin der Stiftung bestellt. In den Anträgen von Geoffrey R. Hoguets Anwälten an das Bezirksgericht Hietzing heißt es dazu: „Durch dieses Insichgeschäft hat die Stadt Wien sich das Stiftungsvermögen unter Verletzung des Stifterwillens treuwidrig zugeeignet, wobei die formell weiterbestehende Rechtspersönlichkeit der Stiftung nur noch eine juristische Hülle ist.“

Teil des Stiftungsvermögens war auch das Maria-Theresien-Schlössel in Döbling, wo ebenfalls eine Nervenheilanstalt untergebracht war. Ende 1997 wurde der Betrieb geschlossen. Im Dezember 2001 verkaufte die vom Magistrat Wien verwaltete Stiftung das Schlössel an die Stadt Wien um vergleichsweise günstige 92 Millionen Schilling. „Der Verdacht eines künstlich niedrig festgelegten Kaufpreises drängt sich auf“, heißt es dazu in der Eingabe beim Bezirksgericht Hietzing.

Änderung der Stiftungsurkunde

Im Mai 2017 änderte der Magistrat überraschend die Stiftungsurkunde und schrieb die seit 1956 geübte Praxis, dass der Magistrat die Stiftung verwalte, auch statutarisch fest. Eine weitere Änderung der Satzung betrifft die mögliche Auflösung der Stiftung. In diesem Falle soll das Stiftungsvermögen der Stadt Wien zufallen.

In den Anträgen an das Bezirksgericht fordert der Anwalt von Geoffrey R. Hoguet die Abberufung des Magistrates Wien als Stiftungsverwalterin und die Wiedereinsetzung eines unabhängigen Kuratoriums, wie es bis 1938 bestand. Die Änderung der Stiftungssatzung 2017 und der Verkauf des Maria-Theresien-Schlössels 2001 sollen für nichtig erklärt werden.

Die Stadt Wien engagierte als Beistand in der Causa den Rechtsanwalt und früheren SPÖ-Abgeordneten Hannes Jarolim. Laut diesem sei es „bemerkenswert“, wie versucht werde, „Vereinbarungen zur Rothschild’schen Stiftung, welche vor Jahrzehnten in größtem Respekt und Einvernehmen und ganz im Sinne des ursprünglichen Stiftungszwecks geschlossen wurden, nun in Frage zu stellen“. Die Argumente der Gegenseite seien nicht haltbar. Für die Darstellung auf „geschichtewiki“, einer Website der Gemeinde Wien, es habe 1963 einen Vergleich mit den Rothschild’schen Erben gegeben, wurde kein Beleg vorgelegt. Ein solcher „Vergleich“ wäre aufgrund der Komplexität der Stiftungsstruktur rechtlich auch schwer darstellbar gewesen.

Den ganzen Artikel lesen Sie im am Sonntag erscheinenden profil (Ausgabe 5/2020).

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.