Rudolf Hundstorfer: "Müssen Wahrheiten deutlicher sagen"
profil: Wie lautet nach ein paar Tagen Wundenlecken Ihre Analyse: Warum hat die SPÖ ein Wahldebakel erlitten? Rudolf Hundstorfer: Ich halte von all den Wählerstromanalysen wenig, die ein paar Stunden nach der Wahl erstellt werden. Aus den Gesprächen, die ich geführt habe, ergibt sich das Bild: Es liegt sicher teilweise am Flüchtlingsthema. Das verstärkt Ängste, die ohnehin vorhanden sind. profil: Vor allem die Angst vor Arbeitslosigkeit? Hundstorfer: So einfach ist es nicht. Im steirischen Weiz etwa ging die Arbeitslosigkeit um 1,7 Prozent zurück, in Murau um 3,7 Prozent – und auch dort haben wir acht und neun Prozentpunkte verloren.
profil: Nichts gegen Weiz oder Murau: Österreich hat Rekordarbeitslosigkeit. Hundstorfer: Keine Frage, aber es ist oft die gefühlte Arbeitslosigkeit. In der Steiermark steigt die Arbeitslosigkeit geringer als in anderen Bundesländern, in einigen Regionen geht sie sogar zurück. Dennoch gibt es dort Ängste, und das liegt auch an der Verdrängung auf dem Arbeitsmarkt – vor allem durch Zuwanderer, da müssen wir ehrlich sein. Diejenigen Migranten, die in den vergangenen fünf Jahren zuwanderten, sind in der Regel gut qualifiziert, ein Drittel von ihnen hat Uni- oder Fachhochschulabschluss. Und die verdrängen die Türken, die vor 25 Jahren kamen und heute Österreicher sind.
profil: Warum kann die SPÖ bei der einstigen Kernklientel Arbeiter nicht mehr punkten? Hundstorfer: Wir müssen ein paar Wahrheiten deutlicher sagen: Eines der Geheimrezepte gegen Arbeitslosigkeit ist Qualifikation, Qualifikation, Qualifikation – und das andere ist Mobilität. Zu beidem müssen die Menschen aber auch bereit sein. Sonst können wir ihnen nicht helfen. Die Jungen wissen das bereits: Vor Kurzem hat der Autozulieferer Man in Steyr 30 Arbeiter gesucht, die für ein Jahr ins deutsche Wolfsburg wechseln. Binnen vier Stunden waren die 30 beisammen. Ältere sind da teils weniger flexibel.
profil: Aber gerade bei den Jungen punktet die FPÖ. Hundstorfer: Das Thema Neid war in der Steiermark ein irrsinnig emotionales Hauptthema. So nach dem Motto: Ich geh hackeln – und mein Nachbar liegt auf der faulen Haut und kriegt Mindestsicherung. Der Herr Mateschitz und andere Millionäre werden bewundert. Und auf den Asylwerber ist man neidisch. profil: Hat die SPÖ mit ihrer langjährigen Kampagne für Millionärssteuern diesen Neid geschürt? Hundstorfer: Gerade wir als SPÖ müssen weiterhin das Gerechtigkeitsthema forcieren, alles andere wäre eine Selbstaufgabe. Aber mit dem Begriff Millionärssteuer waren wir nie sehr erfolgreich. Man darf die Debatte nicht über Neid führen. Man sollte eher die Frage stellen: Du hast ein hohes Einkommen oder Vermögen, was kannst du zur Finanzierung des Sozialstaates beitragen? Wir sind der Meinung: Vermögende können zur Finanzierung des Sozialstaates mehr beitragen. Derzeit ist der ganze Sozialstaat auf Steuern auf Arbeitseinkommen aufgebaut. Das führt dazu, dass etwa die Finanzwirtschaft wenig Steuern und Sozialabgaben zahlt, weil sie nicht viele Mitarbeiter hat. Um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu bewerkstelligen, müssen wir intensiv darüber diskutieren, wie wir Wertschöpfung besteuern und so die Finanzierung des Sozialstaats verbreitern.
profil: Ein Comeback der Idee der Maschinensteuer aus den 1980er-Jahren? Hundstorfer: Wir sollten nicht in die Falle der Maschinensteuer tappen und stattdessen Varianten überlegen, wie wir Steuern auf Arbeit senken. Diesmal wirklich. profil: Und das soll den Menschen ihre Ängste nehmen? Hundstorfer: Ich glaube schon. Die Arbeitswelt verändert sich massiv. Es ändern sich Arbeitsorganisationen, Arbeitszeitformen, der Zugang zu Arbeit. All das macht Angst. Und manche der Ängste sind nachvollziehbar. profil: Offenbar trauen wenige der SPÖ und der Regierung zu, die Probleme zu lösen. Hundstorfer: Wir als gesamte Regierung machen sicher den Fehler, dass wir bei gewissen Dingen, die schon ausverhandelt scheinen, wieder und wieder neu zu diskutieren beginnen und glauben, dass das gut ist. profil: Sie meinen die Steuerreform? Hundstorfer: Ja. Es sollte sich jeder bewusst sein: Wenn man ein Thema für erledigt erklärt hat, soll das auch so sein. Manchen Repräsentanten der ÖVP fällt es offenbar sehr schwer, die Verantwortung für Beschlüsse zu übernehmen.
profil: Ist die Große Koalition ein Auslaufmodell? Hundstorfer: Prinzipiell glaube ich das keinesfalls. Aber: Auch die ÖVP muss sich abgewöhnen, ständig Vereinbartes infrage zu stellen. Ein Beispiel: Wir haben bei der Regierungsklausur im März vereinbart, am 29. Februar 2016 ein Konzept zur Sicherung der Pensionen vorzulegen. Dann kann ich als ÖVP nicht im April 2015 sofort 99 Änderungen bei den Pensionen einfordern. Das ist unseriös. Die ÖVP soll sich lieber Gedanken über eine moderne Gewerbeordnung machen. Da höre ich aber nie etwas. profil: Wenn die Koalition mit der ÖVP untermittelprächtig funktioniert – sollte die SPÖ auf Bundesebene über die Variante Rot-Blau diskutieren? Hundstorfer: Das Thema stellt sich so nicht. profil: Für manche in der SPÖ schon. Hundstorfer: Diese Debatte entstand aus der Emotion nach den Landtagswahlergebnissen. Es gibt fraglos Leute, die darüber diskutieren.
profil: Ein entschiedenes Nein zu Rot-Blau klingt anders. Hundstorfer: Es finden in der Steiermark und im Burgenland derzeit Koalitionsgespräche statt. In der ÖVP gibt es sicher Kreise, die gerne Schwarz-Blau machen wollen. profil: Und Hans Niessl macht Rot-Blau im Burgenland. Wie kommentieren Sie das? Hundstorfer: Ich bin Bundespolitiker und kommentiere Bundespolitik. profil: Gut, dann zur Bundespolitik: Es gibt immer wieder Debatten, ob die SPÖ mit Werner Faymann den richtigen Bundeskanzler und Parteichef hat. Hundstorfer: An dieser Diskussion beteilige ich mich nicht. Er ist der Kanzler und der Parteivorsitzende. Basta. profil: Sie sind der Mann für alle Fälle, sei es Bundespräsident, Bürgermeister, Kanzler. Wo sitzen Sie nächstes Jahr? Hundstorfer: Ich bleibe Sozialminister bis zum Jahr 2018. Punkt.