Der frühere russische Vize-Finanzminister Vladimir Chernukhin mit Präsident Vladimir Putin im Jahr 2002.  
Pandora Papers

Russische Millionen, britische Parteispenden und eine Wiener Privatbank

Vladimir Chernukhin war Vize-Finanzminister Russlands. Nun lebt er in Großbritannien, wo seine Frau der konservativen Tory-Partei viel Geld zukommen ließ. Offshore-Firmen Chernukhins tätigten ihre Bankgeschäfte auch über Österreich. Es geht um Immobilien in Frankreich – und um eine 40-Meter-Yacht.

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Côte d‘Azur, Südfrankreich – das Mekka der Reichen und Schönen. Wer wirklich zur High Society zählen will und über das nötige Kleingeld verfügt, gönnt sich hier schon mal ein hübsches Refugium in einem der malerischen Örtchen. Am besten ein Anwesen wie jenes, das im Zentrum dieses Artikels steht: direkt an der Küste gelegen, nur einen Steinwurf vom Yachthafen entfernt, im oberen Bereich eine Villa mit Blick aufs Meer, vorgelagert ein großer Swimming-Pool. Alles, was das Herz begehrt.

Doch es geht bei dieser konkreten Liegenschaft um mehr als nur um Sommer, Sonne und Savoir-vivre. Das Anwesen kann getrost als Beispiel dafür herhalten, wie sich das Geld reicher Russen in den vergangenen zwei Jahrzehnten seinen Weg durch Europa gebahnt hat – und oft genug in Immobilienbesitz umgemünzt wurde.

Ein Aspekt dieses Phänomens ist die Involvierung österreichischer Banken: Einige von ihnen servicierten und servicieren nur allzu gerne jene Briefkastenfirmen, die als Vehikel für die – mitunter schwer zu durchschauenden – Geldflüsse genutzt werden. Das zeigen nun eindrücklich die Pandora Papers, und zwar mit Blick auf eine Wiener Privatbank und einen ihren besonderen Kunden.

Der russische Ex-Minister

Bei den Pandora Papers handelt es sich um geleakte Daten von 14 Offshore-Kanzleien auf der ganzen Welt, die dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) zugespielt wurden. Das ICIJ rief daraufhin das größte Rechercheprojekt aller Zeiten ins Leben. In Österreich sind profil und ORF daran beteiligt.

In dem riesigen Datenschatz findet sich ein höchst spannender Name: Vladimir Chernukhin, geboren 1968 in Moskau. In den 1990er Jahren arbeitete Chernukhin im russischen Ministerium für Außenhandel. Nach einem kurzen Abstecher in die Führungsriege der staatlichen VEB – der „Bank für Außenwirtschaft“ – wurde Chernukhin in der ersten Amtszeit von Präsident Vladimir Putin zum Vize-Finanzminister bestellt. Diesen Posten bekleidete er zwei Jahre lang, dann wechselte er zurück zur VEB – als deren Chef. 2004 verließ Chernukhin die VEB und Russland: Wie andere Oligarchen auch ließ er sich in Großbritannien nieder, später wurden er und seine Frau Lubov britische Staatsbürger. Lubov Chernukhin wiederum sorgt seit Jahren für Schlagzeilen – durch Parteispenden in ihrer neuen Heimat.

Tennis mit Boris Johnson

Laut der Zeitung „The Guardian“ ließ die Frau des russischen Ex-Ministers den britischen Konservativen – der Tory-Partei – seit 2012 insgesamt 2,1 Millionen Pfund (2,5 Millionen Euro) zukommen. Zweimal spielte sie Tennis mit dem heutigen Premierminister Boris Johnson, einmal dinierte sie mit Johnsons Vorgängerin Theresa May. Die Teilnahme an diesen exklusiven Events ersteigerte sie jeweils um zigtausende Pfund.

Laut „Guardian“ deuten Funde in den Pandora Papers darauf hin, dass zumindest ein Teil des Geldes, über das Lubov Chernukhin verfügt, aus den Firmenstrukturen ihres Mannes fließen könnte. Vladimir Chernukhin wiederum soll auch noch viele Jahre, nachdem er Russland verlassen hatte, über gute Connections in seine ehemalige Heimat verfügt haben.

Konten in Wien

Doch die Chernukhins haben nicht nur in Großbritannien Spuren hinterlassen, sondern auch in Österreich. In den Pandora Papers finden sich Unterlagen, die eine Geschäftsbeziehung zur Wiener Bank Winter & Co. AG dokumentieren – einer 1892 gegründeten Privatbank. Das Institut weist laut Eigenbeschreibung „eine lange Tradition in Warenfinanzierungen und im Ostgeschäft“ auf und biete „anspruchsvollen Firmenkunden und vermögenden Privatkunden“ maßgeschneiderte Lösungen an. Auf der eigenen Internetseite wirbt man auch mit einem „Höchstmaß an Vertraulichkeit“.

profil und ORF stießen in den Pandora Papers unter anderem auf Formulare bezüglich eines Kontos einer Offshore-Firma namens Sunny Gulch Village Ltd. bei der Bank Winter aus dem Jahr 2014. Die „Büroadresse“ der Sunny Gulch war laut Formular ein Postfach in Road Town Tortola auf den Britischen Jungferninseln. Als tatsächlicher wirtschaftlicher Berechtigter („Ultimate Beneficial Owner“) wurde gegenüber der Bank Vladimir Chernukhin offengelegt.

Gelddrehscheibe in der Karibik

Die Sunny Gulch bewegte über die Bank Winter Millionenbeträge. Laut einem – in den Pandora Papers enthaltenen – Jahresabschluss per 31. Dezember 2014 hatte die Offshore-Firma damals rund 2,1 Millionen US-Dollar (1,7 Millionen Euro) bei der kleinen Privatbank in Wien liegen. Als hauptsächlicher Geschäftszweck der Firma war einerseits „Investmentholding“ angegeben, andererseits aber auch die Finanzierung von Tochtergesellschaften und anderer verbundener Unternehmen („affiliates“). Das Volumen kann sich sehen lassen: 2013 machten die Kreditforderungen der Sunny Gulch gegenüber gut zwei Dutzend anderer Firmen insgesamt mehr als 160 Millionen Dollar (116 Millionen Euro) aus – allesamt unbesichert und ohne bestimmte Rückzahlungsfristen. Ein bemerkenswerte Konstruktion.

In den Pandora Papers findet sich darüber hinaus ein Pfandvertrag datiert mit Juli 2015, durch den die Sunny Gulch der Bank Winter Geld und Wertpapiere auf ihren Konten als Sicherheit einräumte – und zwar für allfällige Forderungen gegenüber vier anderen Offshore-Firmen in Luxemburg. Dies erinnert an sogenannte „Back-to-back“-Kredite, die durchaus ein gewisses Risiko in Zusammenhang mit der Geldwäscheprävention darstellen können. Unabhängig davon führt dieser Vertrag allerdings auch an den Anfang dieser Geschichte zurück: an die wunderschöne Côte d‘Azur.

Renovierung an der Côte d‘Azur

Eine jener Gesellschaften, zu deren Gunsten die Sunny Gulch Vermögenswerte bei der Bank Winter verpfändete, war eine Resadero Investments S.A. in Luxemburg. Diese Firma hatte im November 2007 das eingangs beschriebene Anwesen in in einem Örtchen an der französischen Südküste um rund zehn Millionen Euro erworben. Der Wert dürfte in den Folgejahren deutlich angewachsen sein – möglicherweise wurde in die Liegenschaft investiert. In einem Vertrag aus den Pandora Papers wurde der Wert der Liegenschaft im Dezember 2011 mit stolzen zwanzig Millionen Euro angegeben. Als Financier war demnach die Bank Winter eingestiegen. Sie gewährte der Resadero einen Kredit von mehr als 19 Millionen Euro, der jahrelang aufrecht blieb. Ein einträgliches Geschäft: Laut Jahresabschlüssen der Resadero beliefen sich die Zinsen auf mehrere hunderttausend Euro pro Jahr.

Im Dezember 2018 wurde Lubov Chernukhin als Zeugin in einem Zivilprozess in Großbritannien befragt. Dabei tauchten auch Fragen zur Resadero auf. Lubov Chernukhin sollte sagen, wer ihrem Verständnis nach der „Ultimate Beneficial Owner“ – also der tatsächliche wirtschaftliche Berechtige – der Liegenschaft an der Côte d‘Azur war. Ihre Antwort: „Das ist Vladimir natürlich, und dann ich.“ Sie sei Hälfteeigentümerin dieses Grundstücks. Auch 2007 sei ihr Ehemann der Eigentümer gewesen, möglicherweise sie. Es habe sich um ein „komplettes Renovierungsprojekt“ gehandelt.

Ein Chalet und eine Yacht

Zumindest noch eine weitere Firma aus dem Sunny-Gulch-Pfandvertrag hatte jahrelang einen Millionen-Kredit der Bank Winter - eine Salvato Investments S.A., ebenfalls mit Sitz in Luxemburg. In diesem Fall ging es allerdings nicht um eine Villa am Meer, sondern um ein Chalet in einem Wintersportort in den französischen Alpen. Konkrete Angaben zum tatsächlichen wirtschaftlichen Berechtigten der Salvato finden sich in den vorliegenden Unterlagen nicht. Allerdings kam im Zivilprozess 2018 einen Moment lang die Sprache auch auf ein „Ski-Haus“ in Frankreich. Gut möglich, dass damit das Chalet gemeint war.

Dem durchaus weit verzweigten Offshore-Netzwerk von Vladimir Chernukhin jedenfalls zurechenbar ist – laut Pandora Papers – eine Northville Overseas Limited auf den Britischen Jungferninseln: Auch diese Firma hatte ein Konto bei der Bank Winter. Zunächst waren Vladimir und Lubov Chernukhin als tatsächliche wirtschaftliche Berechtigte eingetragen, später dann nur noch Vladimir. Vorliegenden Unterlagen zufolge war die Northville Eigentümerin ein 40,67 Meter langen Motoryacht unter Flagge der Cayman Islands. Name des Schiffs: „Mon Plaisir“. Das Vergnügen war sicher nicht ganz billig.

Alle Gesetze eingehalten“

Die Bank Winter wollte auf Anfrage von profil und ORF keine Stellungnahme abgeben.

Ein britischer Anwalt von Vladimir und Lubov Chernukhin wiederum ging nicht auf alle einzelnen Detailfragen ein: Man halte es nicht für notwendig oder angemessen alle Vorwürfe zu adressieren. Das sei jedoch nicht als Zugeständnis zu sehen, was die Richtigkeit anbelange. Der Anwalt stellte in den Raum, dass die übermittelte Anfrage auf falschen, unvollständigen und/oder irreführenden Informationen beruhen würde. Allgemein teilte er mit, dass seine Klienten immer von angesehenen Steuerberatern beraten worden seien und alle Gesetze eingehalten hätten. Keine der politischen Spenden von Lubov Chernukhin sei auf unangemessene Weise finanziert worden oder von jemand Anderem beeinflusst worden. Sie sei berechtigt, diese Spenden zu tätigen. Der Anwalt ließ wissen, dass seine Klienten in keiner Weise mit dem Kreml verbunden seien.

Die Recherchen unserer Projektpartner finden Sie hier.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.