Das war der Österreicher, der im Krieg in der Ukraine fiel
Richard S. meldete sich freiwillig, um im Krieg in der Ukraine zu kämpfen. Seit fast drei Jahren hält dort die russische Invasion an, die zahllose Todesopfer gefordert hat. Einer von ihnen ist Richard S. – ein Niederösterreicher, der am 20. Jänner durch eine russische Drohne in der Oblast Saporischschja getötet wurde. Sein Kommandant teilte die Nachricht vor wenigen Tagen der österreichischen Botschaft mit. Richard S. soll ein ehemaliger Geschichtsstudent an der Universität Wien gewesen sein. Er schloss sich während seiner Zeit in Wien der Burschenschaft Olympia an, einer Verbindung, die auch als Sammelbecken für Rechtsextreme gilt. Dort lernte er Martin Sellner kennen, den späteren Kopf der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ). Die beiden wurden enge Freunde. Richard S. stieg zur zentralen Figur innerhalb der rechtsextremen Bewegung auf.
2015 verließ Sellner die Burschenschaft, angeblich wegen interner Zerwürfnisse mit dem IBÖ-Gründer Alexander Markovics. Sellner trat daraufhin der Universitätssängerschaft Barden zu Wien bei. Richard S. folgte ihm. Bis zu seinem Tod sollen die beiden Freunde geblieben sein. „Vor einigen Tagen ist einer meiner ältesten Freunde und Mitstreiter viel zu früh, mit 30 Jahren, von uns gegangen“, schrieb Sellner vor wenigen Tagen auf seinem Profil auf „X“ (ehemals Twitter). Am 20. Jänner starb Richard S. auf dem Schlachtfeld in der Ukraine.
Angeblich war er dort nicht als der rechtsextreme Identitäre bekannt, der er einst in Wien gewesen sein soll. In Österreich ist seine Vergangenheit gut dokumentiert: Laut des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW) war Richard S. regelmäßig auf Kundgebungen und Demonstrationen der Identitären Bewegung zu sehen. Im Jänner 2016 nahm er an einem Angriff auf antifaschistische Demonstranten in Graz teil. Im selben Jahr im April war er bei der Besetzung des Daches der Grünen-Parteizentrale in Graz dabei. Noch im selben Monat wird er dabei gefilmt, wie er mit Sellner und anderen Mitgliedern der IBÖ die Audi-Max-Bühne an der Universität Wien stürmt. Im Juni nahm er bei einer Identitären-Demo in Berlin teil. Zwei Jahre später, im Februar 2019, sieht man ihn lächelnd in neongelber Warnweste bei einer Kundgebung der Identitären vor dem Justizministerium. Seine Verbindung zur FPÖ blieb vage, doch im April 2019 soll er beim EU-Wahlkampfauftakt in der Lugner City gesichtet worden sein.
Dann verschwand Richard S. aus der österreichischen Öffentlichkeit. Zwei Wochen nach Beginn der russischen Invasion soll er sich der Internationalen Legion in der Ukraine angeschlossen haben. „Als ich im Frühjahr 2022 das erste Mal in der Ukraine war, war Richard schon dort“, erzählt ein ehemaliger Kamerad gegenüber profil. Warum S. in den Krieg gezogen ist, kann er nur vermuten: „Er sagte einmal, dass er vor dem Krieg Freunde und Bekannte in der Ukraine gehabt habe.“ Dort lernte Richard S. später auch seine Freundin kennen. Sie lebt und arbeitet in Kiew. Über seine Vergangenheit und ihr gemeinsames Leben möchte sie jedoch nicht sprechen.
Die rechtsextreme Vergangenheit von S. soll in der Armee Nebensache gewesen sein. „Politik spielte bei uns keine Rolle“, sagt sein Kamerad. „Mit Sicherheit würde ich ihm Unrecht tun, wenn ich behaupten würde, er sei ein Liberaler geworden. Aber mit der Identitären Bewegung oder der FPÖ hatte er in den vergangenen Jahren nichts mehr zu tun.“ Doch auf Instagram tauchen Fotos von S. auf, die ein anderes Bild von ihm zeigen: In voller Kampfmontur, in seinen Händen hält er ein Maschinengewehr, auf seiner Brust ist ein Abzeichen angebracht, ein Moral Patch, mit dem Aufdruck „Oida“, darunter prangt ein Totenkopf, der stark an den SS-Totenkopf erinnert – ein Symbol, das von der Schutzstaffel (SS), einer paramilitärischen Organisation der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), verwendet wurde. Sein Hauptmerkmal ist ein Totenschädel mit gekreuzten Knochen, die entweder hinter oder unter dem Schädel positioniert sind.
S. soll einst zum militanten Kader der IBÖ gehört haben. Es wird vermutet, er habe sich nach seiner Zeit in Österreich noch weiter radikalisiert – vom Identitären zum Neonazi. Die österreichische Neonazi-Szene zeigt immer wieder proukrainische Tendenzen. Das hat laut DÖW mit der Ideologie des „Abwehrkampfes gegen den Bolschewismus“ zu tun. Dass Neonazis oder unpolitische Söldner aufseiten der Ukraine kämpfen, sei daher wenig überraschend. Richard S. soll sogar die ukrainische Staatsbürgerschaft angestrebt haben – eine Entscheidung, die ihm gemäß österreichischem Recht den Verlust seiner eigenen Staatsbürgerschaft eingebracht hätte.
Während des Zweiten Weltkriegs kooperierten einige ukrainische Nationalisten mit den Nazis im Kampf gegen die Sowjetunion. Russland nutzt diese historische Verbindung heute propagandistisch, um die Ukraine als „neonazistisch“ darzustellen. Tatsächlich starben im Zweiten Weltkrieg acht Millionen Ukrainer im Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Im Laufe der Jahre wurde die Ukraine, besonders vor dem Kriegsbeginn 2014, zu einem Treffpunkt für Neonazis und Hooligans.
Der Leichnam von Richard S. soll in den kommenden Tagen nach Österreich überführt werden.