Ruth Wodak: „Geht’s den Frauen gut, geht’s uns allen gut!“
Mit der Auszeichnung werden herausragende Lebenswerke von Personen gewürdigt, die sich für die Verwirklichung der Gleichstellung von Frauen und Männern eingesetzt haben. Die Verleihung erfolgte am 8. Oktober in Wien gemeinsam mit der Vergabe der Käthe Leichter-Preise, die an Andrea Bramberger und Traude Mitschka-Kogoj gingen. Lesen Sie folgend Ruth Wodaks Dankesrede.
Sehr geehrte Festgäste, liebe Freundinnen und Freunde!
Herzlichen Dank, dass Sie und Ihr heute alle gekommen seid, um mit mir diesen Preis zu feiern. Ich freue mich natürlich sehr und bedanke mich bei der Jury und selbstverständlich auch bei Ihnen, Frau Bundesministerin, für diese Auszeichnung. Außerdem bedanke ich mich bei all meinen FreundInnen, meinen LehrerInnen, MentorInnen, MitarbeiterInnen, SchülerInnen und vor allem bei meiner Familie für die jahrzehntelange solidarische Unterstützung.
Gleich vornweg: Ich höre sicherlich noch nicht auf, zu forschen und mich – wie immer weiterhin neugierig – mit neuen (und alten) Themen zu befassen; ich befinde mich – wie man so schön sagt – in „Halbpension“. Denn gerade heutzutage, in einer recht wissenschaftsfeindlichen Zeit, in der immer häufiger Erkenntnisse und Einsichten zu bloßen Meinungen degradiert werden, ist es umso wichtiger, sich kritisch reflektierend, systematisch und interdisziplinär mit den vielen komplexen, ungelösten Problemen hier und anderswo auseinanderzusetzen.
Natürlich bin ich auch überrascht, diese Auszeichnung gerade jetzt zu erhalten – denn, wie Sie wahrscheinlich alle wissen, widersprechen meine Forschungsschwerpunkte und -interessen wie auch meine kritisch-sozialwissenschaftliche Position manchen Inhalten und Zielen der derzeit Machthabenden.
So wurde 2003 (während Schwarz-Blau I) mein Wittgenstein-Forschungszentrum an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften trotz bester internationaler Evaluationen geschlossen, unter anderem aufgrund meiner Forschungen zu Identitätspolitik, Rassismus, Rechtspopulismus und Antisemitismus. Diese Themen, so befanden damals einige Mitglieder, passten nicht an die Akademie – wohl aber dann für 12 Jahre an die Lancaster University, in England.
Ich bin ein „Kind der Rückkehr“, ein Kind von Eltern, die von den Nazis vertrieben wurden.
Gerade diese Forschungen haben sich jedoch in den letzten 15 Jahren als besonders relevant erwiesen; mein diesbezügliches Buch „Politik mit der Angst: Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse“ wurde als Wissenschaftsbuch des Jahres 2017 im Bereich Kulturwissenschaften ausgezeichnet. So ändern sich also die Zeiten!
Ich bin ein „Kind der Rückkehr“, ein Kind von Eltern, die von den Nazis vertrieben wurden und die aus ihrer Überzeugung für ein „Nie wieder“, für eine bessere Welt nach 1945 kämpfen zu müssen, aus dem britischen Exil in dieses Land zurückgekehrt sind. Mit dem Eintreten für Gerechtigkeit und die Menschenrechte bin ich aufgewachsen und bin meinen Eltern für diese klare Positionierung sehr dankbar.
Besonders berührt und gerührt bin ich, dass die heutigen Preisverleihungen im Gedenken an Käthe Leichter stattfinden – an eine Sozialwissenschaftlerin, sozialistische Gewerkschafterin, Frauenrechtlerin und Kämpferin gegen den Faschismus und Nationalsozialismus. Käthe Leichter gehörte derselben Jugendorganisation an wie mein Vater, sie war als Vorbild bei uns zu Hause in Gesprächen immer wieder präsent.
Leider müssen wir feststellen, dass auch heute noch viele Vorurteile und Stereotype gegenüber Frauen und Minderheiten bestehen.
Auch eine 68-erin bin ich, d.h. ich hatte das Privileg in der Zeit eines gewaltigen Umbruchs zu studieren, in der die Modernisierung Österreichs vorangetrieben wurde. Die Universitäten öffneten sich endlich mehr Frauen gegenüber.
Insofern bin ich auch eine Feministin der ersten Stunde: Johanna Dohnal war unser Vorbild, 1975 haben wir die erste Frauengruppe an der Uni Wien gegründet mit dem Namen "Frauengruppe Uni-Wien“. Zum Erstaunen unserer damaligen (männlichen) Chefs habilitierten sich alle Frauen aus dieser Gruppe; und wir publizierten 1975 – ebenfalls zum Erstaunen unserer männlichen Kollegen - zusammen ein Buch mit dem Titel „Das ewige Klischee“. Leider müssen wir feststellen, dass auch heute noch viele Vorurteile und Stereotype gegenüber Frauen und Minderheiten bestehen und sogar ein vehementer Backlash auf uns zuzukommen scheint, ja teilweise schon stattfindet.
Übrigens: Meine erste Erfahrung mit der patriachalischen Wissenschaft machte ich 1971 – ich begann damals mit meiner Dissertation im Fach Soziolinguistik, ein Fach, das in Österreich zu der Zeit so nicht existierte. Nur ein Professor in Graz wandte sich einigen sprachsoziologischen Fragestellungen zu. Also fuhr ich nach Graz, um mir Ratschläge für meine geplante Feldforschung zu holen. Freundlicherweise erklärte mir der Professor, dass ich mir zwei Sachen merken müsse – erstens, dass man bei der Feldforschung viel Schnaps trinken muss; und zweitens, dass man Frauen bei Vorträgen nur anschaue, Männern aber zuhöre. Diese Ratschläge waren nicht gerade hilfreich; aber mir wurde klar, dass solche Einstellungen verändert gehören und dass Kommunikation eine von vielen Dimensionen darstellt, an der Veränderungen notwendig sind.
Es ist uns damals gelungen, die Gleichbehandlung an den Universitäten zu erkämpfen.
Freundschaften aus dieser ersten Zeit an der Universität Wien sind mir heute noch außerordentlich wichtig. Es ist uns damals gelungen, die Gleichbehandlung an den Universitäten zu erkämpfen und endlich – auch als Wissenschaftlerinnen hörbar und sichtbar zu werden. An dieser Stelle will ich einer engen Freundin danken, die uns alle mit ihrer Leidenschaft angesteckt hat, nämlich der vor einigen Jahren verstorbenen Gender-Historikerin Edith Saurer.
Uns war allerdings schon damals klar, dass „Frausein alleine kein Programm ist“. Es kommt natürlich auf Werte, Einstellungen, Qualifikationen und Haltungen an, auf eine Vision einer gerechten Gesellschaft, in der eine anachronistische Geschlechterpolitik keine Rolle mehr spielen darf. Gerade deshalb wünsche ich dem Frauenvolksbegehren, das heute, am 8. Oktober zu Ende geht, viel Erfolg!
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Sichtbar werden, gehört werden, ernst genommen werden – dieses Motto war damals wichtig und ist es bis heute geblieben. Sichtbar und hörbar werden bedeutet, dass kommuniziert werden muss, ob mündlich, schriftlich oder durch Bilder: „Sprachhandeln“, explizit Position beziehen, Klarheit herstellen.
Dabei fällt man notwendigerweise manchmal unangenehm auf, besonders Frauen wurden und werden dann unter anderem als „karrieresüchtig, streng oder irritierend“ charakterisiert. Geduld und Beharrlichkeit sind vonnöten, lang- und mittelfristiges Abschätzen von Folge- und Spätfolgewirkungen, wie wir es auch von Politikern und Politikerinnen erwarten.
So war Nachkriegsösterreich von einem Schleier des Schweigens umhüllt.
Natürlich kann man schweigen und damit auf Sichtbarkeit und Haltung verzichten; auch Schweigen gilt als Kommunikation – dies hat der bekannte Kommunikationstheoretiker und Psychotherapeut Paul Watzlawick schon in den 1970er-Jahren schlüssig nachgewiesen. Allerdings verbleit eine solche Kommunikation oft vage und in alle Richtungen hin interpretierbar. Im Lateinunterricht haben wir doch gelernt, dass „Qui tacet, consentire videtur“ (wer schweigt, scheint zu zustimmen). Umso erfreulicher, wenn sich die Verantwortlichen wenigstens ab und zu klarer positionieren…
So war Nachkriegsösterreich von einem Schleier des Schweigens umhüllt, sowohl Opfer wie Täter schwiegen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Erstere wohl, weil sie mit dem Überleben beschäftigt waren und sich und ihre Familien vor traumatischen Erinnerungen schützen wollten; letztere aus Schuld und Scham wegen ihrer verschiedenen Rollen als Täter, Mittäter oder Mitwisser. Doch 1968, 1986 und die sogenannte „Waldheim-Affäre“, und 1995 wie 2001/2 - die beiden Wehrmachtausstellungen - durchbrachen abrupt das öffentliche Schweigen und ermöglichten damit wesentliche Auseinandersetzungen mit und Einsichten in Vergangenheiten, die die althergebrachten Muster der politischen Kommunikation veränderten. Die nachhaltige Wirkung dieser - auch diskursiven - Interventionen in die österreichische Gesellschaft haben wir in unseren interdisziplinären Forschungen zu all diesen Ereignissen klar dokumentiert.
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Und wo stehen wir jetzt?
Weitere Forschungen zur politischen Kommunikation in den letzten zwei Jahrzehnten deuten auf signifikante Veränderungen hin:
Erstens erleben wir immer häufiger ein Durchbrechen des Nachkriegskonsens durch Enttabuisierung und Normalisierung ehemals tabuisierter Begriffe und ausgrenzender Ideologien. Die vielen sogenannten Einzelfälle, die ich nicht aufzählen will, belegen diese Tendenz deutlich. Dass dazu vielerorts geschwiegen wird, überrascht, verstört und macht traurig. Sind etwa die Ergebnisse jahrelanger Forschungen und Debatten obsolet geworden? Die sogenannte „Kampfrhetorik“ in diesem Zusammenhang ist zwar nicht neu; aber es zeigt sich, dass Inhalte zugunsten wiederholter aggressiver ad hominem Argumente vernachlässigt werden.
Zweitens erleben wir eine mediale Hyper-Inszenierung von Politik. Wiederum auf Kosten von Inhalten. Der mediale Auftritt wird zur Priorität. So meinte die berühmte Philosophin Hannah Arendt schon in den späten 1960er-Jahren, dass Weltpolitik „vor allem Imagepflege sei“, „Sieg in der Reklameschlacht um die Weltmeinung“. Dies ist sicherlich in vielen Aspekten heute - mehr denn je - der Fall.
Drittens erleben wir einen qualitativ anderen Umgang mit Unwahrheiten und Lügen in der politischen Kommunikation.
Es handelt sich um ein Zeitalter der „Schamlosigkeit“.
Es handelt sich, wie ich behaupte – angelehnt an den israelischen Semantiker Daniel Dor -, nicht so sehr um ein „post-faktisches Zeitalter“ (Unwahrheiten in der Politik hat es immer schon gegeben), sondern um ein Zeitalter der „Schamlosigkeit“, wo man sich nicht einmal mehr wegen einer offensichtlichen Lüge entschuldigen muss und wo „bad manners“ (also das bewusste Vernachlässigen aller Anstandsregeln und Konversationsmaximen) von manchen als attraktives Instrument gegen sogenannte Eliten eingesetzt werden.
Dass Politiker und Politikerinnen trotz aufgedeckter Lügen einfach zur Tagesordnung übergehen können, daran gewöhnt man sich also, es normalisiert sich; man kann sich ja nicht ununterbrochen empören und aufregen. Denken wir nur an Donald Trumps Behauptungen in Bezug auf seine Inauguration vom 20. Jänner 2017. Es scheint als würden parallele Welten und Wahrheiten nebeneinander bestehen; eindeutige Faktenchecks finden wenig Resonanz.
Insgesamt hat sich, so die Ergebnisse der Forschung, die Grenze zwischen Politik, Information, Entertainment und Werbung verschoben und ist fließend geworden. Und das nicht ohne Folgen: Mangelnde Information – ja sogar Desinformation -, mangelnde Kommunikation und Partizipation tragen zu Politikverdrossenheit bei. Der Vertrauensverlust in die Politik führt dazu, dass Demagogen immer mehr Einfluss gewinnen. Historische Beispiele belegen, dass derartige Entwicklungen liberale, pluralistische Demokratien gefährden und schädigen können.
Was tun?
Wir leben in einer Zeit der Enthistorisierung und rasanten Beschleunigung: WhatsApp, Facebook, Twitter, E-Mail, Instagram usw. Es braucht daher eine reflektierte Entschleunigung: Es braucht Freiräume, um nachzudenken, historische Zusammenhänge zu erkennen, zu diskutieren; gleichzeitig braucht es Mut und Risiko, um kreative Visionen zu entwickeln und wissensbasierte Entscheidungsoptionen abzuwägen.
Geht’s den Frauen gut, geht’s uns allen gut!
Einfache Rezepte haben WissenschaftlerInnen selten zu bieten – wir suchen ja nach komplexen Zusammenhängen, nicht nach simplen Lösungen.
Dennoch wünsche ich mir, dass das für mich lebenswichtige Motto - sichtbar und hörbar Haltung zu vertreten, dabei neugierig zu bleiben, lernen zu wollen, andere Meinungen zu respektieren, Konflikt und Auseinandersetzung nicht zu scheuen, und Kompromisse zu suchen - allen Menschen in unserer Gesellschaft zur Handlungsmaxime wird. Als Frau (mit Lebenswerk) wird man sich ja noch etwas wünschen dürfen. In Abwandlung eines bekannten Zitats: Geht’s den Frauen gut, geht’s uns allen gut!
Zur Person Ruth Wodak, am 12. Juli 1950 in London geboren, wurde mit ihren Analysen von Sprache und Texten, etwa des politischen Diskurses in Österreich, bekannt. Die Linguistin war lange an der Uni Wien tätig, ehe sie 2004 an die Universität Lancaster wechselte, wo sie bis heute als emeritierte Professorin arbeitet.