Sarajevo revisited

Sarajevo revisited: 100 Jahre Erster Weltkrieg

100 Jahre Erster Weltkrieg. Weltweit Veranstaltungen, Österreichs Regierung hinkt hintennach

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So wie Österreich-Ungarn in den Ersten Weltkrieg, die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, hineinstolperte, so planlos taumelt die Regierung in Wien jetzt dem Jahrhundertjubiläum entgegen. Frankreich, Siegermacht des Ersten Weltkriegs, hat bereits vor einem Jahr, damals noch unter Präsident Nicolas Sarkozy, ein Konzept in Auftrag gegeben. Höhepunkt der Feiern soll ein Treffen von Staats- und Regierungschefs am 28. Juni 2014 in Sarajevo sein, dem Tag des Attentats auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand. „Denn dort entzündete sich der Funke, der das Europa der Nationalstaaten und imperialistischen Rivalitäten in Flammen aufgehen lieߓ, heißt es in dem einhundert Seiten starken Konvolut.

Nach diesem Plan soll „Frankreich, als Schlachtfeld Europas, im Mittelpunkt der ersten weltweiten Gedenkfeier im Zeit­alter der Globalisierung stehen“. Deutschland wird in den französischen Regierungsplänen aufgrund der besonderen Beziehungen in der Gegenwart ein besonderer Platz im Gedenken eingeräumt, die Großveranstaltungen sollen „Hand in Hand“ abgehalten werden.

In Österreich stößt das naturgemäß auf Kritik und Beschämung. Österreich als Erbe der österreichisch-ungarischen Monarchie kommt in dem Papier nämlich gar nicht vor. Der Doyen der Militärgeschichte, Manfried Rauchensteiner, empfiehlt der Politik dringend: „Österreich muss eine Initiative setzen, in der man jene elf Nationalitäten Österreich-Ungarns, die sich heute auf eine ganze Reihe von Ländern verteilen, einlädt, etwas gemeinsam zu machen.“ Doch bisher hat der Historiker den Eindruck, man tue sich schwer, „die Dimension zu begreifen, um die es geht“. Kanzleramt, Außenministerium und Wissenschaftsministerium würden die Verantwortung hin- und herschieben. Der Leiter der Kulturpolitik im Außenamt, Martin Eichtinger, sagt vage: „In Sarajevo sind große Veranstaltungen geplant, wo wir auf jeden Fall präsent sein wollen.“

Der neue Leiter des Staatsarchivs, Wolfgang Maderthaner, sieht die Bundesregierung auch zu einer politischen Stellungnahme herausgefordert: „Österreich muss 2014 als Nachfolgestaat der Habsburgermonarchie Schuld klar und deutlich benennen.“

Geplant sind derzeit Ausstellungen im Heeresgeschichtlichen Museum, wo im Frühsommer 2014 eine Woche lang das blutige Hemd des ermordeten Thronfolgers, eine Leihgabe des Jesuitenordens, gezeigt werden soll. Auch der Wagen, in dem Franz Ferdinand erschossen wurde, wird, trotz vielfacher Anfragen des Auslands, in Österreich bleiben. Im Prunksaal der ­Nationalbibliothek werden Plakate, Flugschriften und Aufrufe gezeigt. Das Staatsarchiv präsentiert unter dem Titel „Die Enttäuschung des Krieges“ erstmals Gutachten Sigmund Freuds zur Schockbehandlung von „Kriegszitterern“ und bisher unbekannte Armeedokumente. Die alljährliche Schau auf der Schallaburg wird dem Ersten Weltkrieg gewidmet sein.

Die österreichische Erinnerungskultur zu diesem Abschnitt der Geschichte steht in der Tat vor einem großen Problem. In der touristischen Vermarktung sind die Habsburger, die Hofburg, Schönbrunn, der Kaiser und seine Sisi zwar omnipräsent, doch schon die Kriegsverbrechen in Ostgalizien und Serbien stören das Bild. Forschungen zu den Massakern an den Untertanen, den Geiselerschießungen in Serbien, den drakonischen Strafen gegenüber den eigenen Soldaten wurden öffentlich bisher kaum wahrgenommen. Die Kriegsbegeisterung, im Zuge derer damals auch Dichter und Denker ihre Dienste der Kriegspropaganda zur Verfügung stellten, das Phänomen der emanzipierten Frauen, die sich in Männerkleidern an die Front wagten, wird erst allmählich aufgearbeitet.

Embedded Journalists
Eine wichtige Frage der Kriegspropaganda hatte die Habsburgermonarchie schon lange geregelt, bevor es 1914 so weit war: Das k. u. k. Kriegspressequartier (KPQ) musste am achten Tag der Mobilmachung marschbereit sein und verfügte über alles, was modernen Embedded Journalism auszeichnet. Am 11. August 1914 reisten die in- und ausländischen Kriegsberichterstatter in zwei Sonderzügen nach Polen ab. Der Empfang verlief martialisch – Posten bedrohten jeden, der auf Recherche gehen wollte. Die überschießende Kontrolle wurde zurückgenommen, das Prinzip blieb: Man zeigte Offenheit, indem man Journalisten zuließ, und machte sie unschädlich, indem man sie weit entfernt von der Front hielt, so ein Nachkriegs­resümee.

Bekannt ist das KPQ durch die illustren Akteure: Die amerikanische Hearst-Presse war ebenso akkreditiert wie der schwedische Entdecker Sven Hedin, Mitarbeiter waren Reporterlegende Egon Erwin Kisch, der das Elend des Kriegs beschrieb, die Schriftsteller Stefan Zweig und Hugo von Hofmannsthal, die Künstler Oskar Kokoschka und Anton Kolig, Albin Egger-Lienz schuf Monumentalgemälde des modernen Massenkriegs. Dem KPQ gehörten knapp eintausend Personen an, sie waren der straffen Zensur und den Militärgerichten unterworfen. Journalisten bekamen einen täglichen Heeresvortrag, den auch Zweig und Hofmannsthal ausschmückten, als wären sie an vorderster Linie gewesen. „Der eigentliche Berichterstatter war die Heeresleitung“, notierte einer nüchtern. Kinos mussten für k. u. k. Kriegsfilme bezahlen und zeigten lieber die kostenlosen ­Filme Preußens. Zu Propagandaerfolgen wurden die vornehme Monatsillustrierte „Donauland“, die in der neutralen Schweiz und verbündeten Staaten auflag, sowie eine grell aufgemachte französischsprachige Zeitung, die selbst in Frankreich nicht als Propagandablatt erkannt wurde. Kaiser Karls Befehl, auch die Journalisten und Künstler des KPQ auf Fronttauglichkeit zu prüfen, stieß auf Empörung, „die staunenswerte Seelenruhe des Publikums“ sei vielfach den Kriegsreportern zu verdanken, wandte ein Politiker ein. Zu Kriegsende wurden viele Unterlagen des KPQ vernichtet, der Historiker Klaus Mayer vermutet, damit sollte die Suche nach „Kriegshetzern“ unterbunden werden.

Kriegsverbrechen
Der Vernichtungskrieg der Wehrmacht ist in den vergangenen Jahren ins öffentliche Bewusstsein gerückt, die Kriegsverbrechen der k. u. k. Armee an der Zivilbevölkerung in Galizien und Serbien sind dagegen immer noch weitgehend unbekannt. Die Arbeiten des österreichischen Historikers Hans Hautmann wurden lange Zeit kaum wahrgenommen.

Dabei fehlt es nicht an Dokumenten. In einer turbulenten Sitzung des Reichsrats, der im Frühsommer 1917 nach Jahren der Notverordnungen wieder einberufen worden war, berichteten Abgeordnete über die ihnen zu Ohren gekommenen Grausamkeiten. Schon in den ersten ­beiden Kriegsmonaten auf dem Vormarsch gegen die Russen sollen 30.000 Untertanen der Monarchie gehenkt worden sein. „Der Einzug in Galizien war der Einzug des Galgens und des Mordens!“, rief der sozialdemokratische polnische Reichsratsabgeordnete Ignaz Daszynski in den Saal. Der Vizepräsident des Abgeordnetenhauses sprach von einem „Ausrottungskampf“.

Hemmungslos gemordet wurde auch auf dem Balkan. Ruthenen, österreichische Staatsbürger ukrainischer Abstammung, und Serben galten als unzuverlässig und russophil. Aber auch rassistische Vorstellungen im Offizierskorps, das Ruthenen und Serben als kulturlos und minderwertig betrachtete, waren für die exzessive Gewalt verantwortlich.

Per kaiserlicher Verordnung vom Juli 1914 waren auch Zivilpersonen der Militärgerichtsbarkeit unterstellt. Ein Großteil der Exekutionen erfolgte allerdings nach dem Kriegsnotwehrrecht, ohne Richter. Demnach waren Offiziere „verpflichtet“, der Spionage verdächtige Personen„bei Verrat durch Glockenläuten, Licht- und Rauchsignale, sonstige Zeichen, durch Treiben von Vieh etc. … auf der Stelle selbst niederzumachen oder die augenblickliche Vollziehung dessen zu befehlen“, „Geiseln auszuheben“, bei Gefahr „Geiseln hinzurichten“, „Ortsbewohner zu dezimieren“ und „Ortschaften niederzubrennen“.

Im Parlament kamen damals Vorfälle in Galizien zur Sprache: In Przemyšl waren 50 Frauen und Männer „buchstäblich zerhackt“ worden, weil man sie der Illoyalität verdächtigte. Ein 16-Jähriger wurde als Spion gehenkt, weil man bei ihm ein paar Rubel gefunden hatte. Ein alter Bauer, der seine Kühe auf die Weide getrieben hatte, wurde hingerichtet, weil man darin ein verabredetes Zeichen für den Feind gesehen hatte. Ein Haus, aus dem Licht drang, das ein Schattenmuster auf die Straße warf, wurde gestürmt, die Bewohner erschossen. Eine Prozession, bei der ein Heiligenbild aus bemaltem Glas getragen wurde, in dem sich die Sonne spiegelte, wurde als Feindsignal gewertet. Ein geistig verwirrter Bauernbursch, der sich als Feuerschlucker betätigte, kam deshalb an den Galgen. Der Historiker Hannes Leidinger fand solche Vorfälle in den Akten des Kriegsarchivs bestätigt.

Alles und jeder stand unter Verdacht: der Betreiber einer Wind­mühle, die die Richtung änderte, ein Fuhrwerker, der einen Schimmel einspannte, ein Pfarrer, der Kirchenglocken läutete, Frauen und Kinder, die sich vor dem Gefecht in ver­lassene russische Schützengräben flüchteten, Bauern, die sich nicht schnell genug von der Frontlinie davonmachen konnten. Der Lyriker Georg Trakl, der bei Lemberg stationiert war, hatte die Gewalt nicht mehr ausgehalten und den Freitod gewählt. In Galizien habe ihn „ein Bild des Grauens angezogen und erstarren gemacht. Da standen nämlich auf dem Platz, der wirr belebt und dann wieder wie ausgekehrt schien, Bäume. Eine Gruppe unheimlich regungslos beisammenstehender Bäume, an deren jedem ein Gehenkter baumelte. Ruthenen, justifizierte Ortsansässige“, berichtete er vor seinem Tod.

Der Ausstellungskurator Anton Holzer stieß in Archiven in Südosteuropa auf Fotodokumente. Sie zeigen Soldaten, die lachend vor den Erhängten posieren. Diese Galgenfotos wurden auf Postkartenformat abgezogen und in Umlauf gebracht, auf der Rückseite Rasterlinien für Adresse und Grußworte.

Auch gegenüber den eigenen Soldaten herrschten entwürdigende Strafen, wie sie in keiner anderen Armee mehr üblich waren und die heute als Folter gewertet würden: Spießrutenlaufen, Stockschläge auf das Gesäß, tagelange Fesselung an einen Pfahl, die Füße kaum den Boden berührend.

Nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 wurde eine Kommission zu den Übergriffen einberufen. Betroffene und Augenzeugen sollten sich melden. Nur zwei Fälle wurden zur Anklage gebracht. Sie endeten mit einem Freispruch. Die alliierten Siegermächte wollten Aberdutzende Generäle und Kommandeure, die sich „gegen Gesetze und Gebräuche des Krieges“ vergangen hätten, vor Gericht stellen. Kein Einziger wurde von der neuen republikanischen Regierung ausgeliefert.

Kriegstagebuch
Am 1. August 1914 um fünf Uhr Früh verkündeten im kleinen Kilb bei Melk die Kirchenglocken Mobilmachung. „Aus jeder Familie wurden Soldaten herausgerissen, nach dem Jammer hörte man sie wieder singen und jauchzen: ‚Die paar Serben werden bald aufgefressen sein.‘“ So beginnt der Gefreite Karl Kasser seine Aufzeichnungen. Beobachtungsgabe und Fatalismus dürften ihm geholfen haben, das Kommende zu überleben. – Der deutsch-französische Sender ARTE wird den Ersten Weltkrieg in einer Serie von Alltagsgeschichten erzählen, als „Darsteller“ sind der damalige Hauptmann Charles de ­Gaulle, die deutsche Sozialistin Käthe Kollwitz und neben anderen der k. u. k. Soldat Kasser geplant.

Der junge Gefreite Kasser überstand die blutige Schlacht gegen die zaristische Armee im polnischen Gorlice, bekannt als „kleines Verdun“, musste trotz schwerster Ruhrerkrankung weitermarschieren („Blut rann mir durch die Hose, dachte mir, entweder leben oder sterben, ich tu mit, solange es geht“) und hatte den Befehl „Halten bis zum letzten Mann“. Als russische Soldaten 30 Schritte vor ihm standen, „da traf mich die Kugel durch die Brust“. Seine Gefangenschaft sollte von 1915 bis 1920 dauern und bedeutete Lager im sibirischen Omsk und in Semipalatinsk, Kasachstan, Schuften im Bergwerk und Leben in Erdhöhlen beim Bau der Bahn „Turksib“ durch Zentralasien. Viele der rund 200.000 Österreicher steckten lange nach Kriegsende in russischer Gefangenschaft fest, ein Rückkehrabkommen zwischen den neuen Regierungen der Sowjetunion und Österreichs wurde erst 1920 geschlossen. Karl Kasser über die lang ersehnte Ankunft auf österreichischem Boden: „Niemand scherte sich um uns, wir kamen uns vor, als ob wir schon ganz überflüssig wären.“

Soldatinnen
Sie war als ausnehmend hübscher Soldat „Hansl“ beliebt und trug die Uniform des Innsbrucker Landsturm-Infanteriebataillons mit speziellem Einverständnis von Erzherzog Eugen, dem Kommandanten der Südwestfront. An ihn hatte sich die damals 16-jährige Viktoria Savs im Juni 1915 gewandt, um mit ihrem Vater einrücken zu können. Begründung: „Ich sah nicht ein, warum ich tatenlos herumstehen sollte, wo meine Spielgefährten ihr Leben lassen mussten.“ Nur die Vorgesetzten sollen über ihre „wahre Natur“ informiert gewesen sein, Savs war Meldegänger, Tragtierführer, wurde schließlich Ordonnanz des Kommandanten auf dem Drei-Zinnen-Plateau. Infolge einer Granatenexplosion schwer verletzt, musste ihr Mitte 1917 ein Bein amputiert werden. Dass sie auf Weisung des Armeeoberkommandos die Silberne Tapferkeitsmedaille erhielt, war die Ausnahme. Der Mut weiblicher Militärangehöriger musste von männlicher Seite zwar anerkannt werden, da sie ihn direkt erlebten. Sichtbare Auszeichnungen erhielten aber nur wenige, und das auch erst, nachdem der Kaiser es verfügte, so Militärhistoriker Christoph Hatschek.

„Frauen als Soldaten im Weltkriege“ hieß eine eigene Rubrik in der zeitgenössischen Presse, „Heldenmädchen“ wie Viktoria „Hansl“ Savs wurden gefeiert, und das Herrscherhaus nutzte sie als willkommene Propaganda. Die Geschichte vom verletzten weiblichen Feldwebel Stanislawa Ordinska, der von Erzherzogin Maria Theresia höchstpersönlich in ein Wiener Offiziersspital gebracht wurde, fand sich 1915 selbst in Zeitungen in New York. Unter welchen Bedingungen Frauen im Ersten Weltkrieg die „Demarkationslinie des männlich besetzten militärischen Feldes überschritten“ (Historikerin Angelique Leszczawski-Schwenk), wird jedoch erst seit Kurzem erforscht.

Als regelrechte Kämpfer waren polnische und ukrainische Legionärinnen im Einsatz. Sie gehörten den politischen Unabhängigkeitsbewegungen in ihren Ländern an und dienten als Freiwillige in Einheiten, die in die österreichisch-ungarische Armee eingegliedert wurden. In den Karpaten und in Wolhynien kämpften sie in Schlachten an vorderster Linie, tarnten sich meist als Männer, eine zog in der Uniform ihres gefallenen Bruders in den Krieg, eine als Infanteristin eingesetzte Lehrerin geriet in russische Gefangenschaft. In Polen hatten kämpfende Heldinnen in Männerkleidern Tradition, im Ersten Weltkrieg wurde die Aufstandstradition wiederbelebt. Wie viele Kombattantinnen es gab, ist unklar. Jene, die bekannt wurden, beschrieben das Erlebte nicht anders als Männer. Die ukrainische Soldatin Olena Stepaniwna gegenüber einem Kriegsreporter: „Das Leben im Krieg ist auf jedem Schritt ein wirklicher Kampf für die Idee. Gibt es keine Idee, gibt es auch keine Krieger.“ Die ukrainische Soldatin Sofia Halecko schilderte ihre Aufgabe beim Einsatz heroisch: „Kämpft, Jungs, schießt! Ich lade, ziele und automatisch ziehe ich am Hahn. In meiner Nähe fällt Tymoscuk“ (in: Cole/Hämmerle/Scheutz (Hg.): „Glanz – Gewalt – Gehorsam. Militär und Gesellschaft in der Habsburgermonarchie“, 2011).

Militärische Gegner zollten den Soldatinnen teils Bewunderung, teils standen sie unter Spionageverdacht. Das Zentrum in Wien tat die Frauen, von denen manche an der Peripherie der Monarchie auch als Kommandanten kämpften, als Randerscheinungen ab: Trotz gleichen Einsatzes wurden die Vergabe höherer militärischer Ränge oder die „leihweise“ Ausfolgung des Offizierssäbels an sie möglichst hintertrieben. In ihren Ländern sind sie bis heute ein Mythos.

Zumindest 200 Frauen dürften in der k. u. k. Armee bereits 1914 Militärärztinnen gewesen sein. Während sie wie die Chirurgin Marie Desfours-Walderode auch unter heftigstem Beschuss unbeirrt arbeiteten, diskutierte man in Wien über ihre „angebliche Verrohung und Verwilderung im Kriege“. In der Zeitschrift „Militärarzt“ hieß es in verletztem Pathos: „Indem wir aus dem Schützengraben zurücktreten, begegnen wir – weiter vorn, als es angenommen wird – dem neuesten Bundesgenossen unserer streitenden Männer: der Frau.“ Im Kriegsverlauf hatte Österreich-Ungarn neben Sanitäterinnen und Ärztinnen dann „weibliche Hilfskräfte bei der Armee im Felde“ bitter nötig, rund 50.000 so genannte Etappenhelferinnen wurden aufgenommen. Die Militärs (ihnen standen die Armee-Bordelle zur Verfügung) gefielen sich darin, nicht die eigene, sondern die „Sittlichkeit“ dieser Frauen infrage zu stellen. Inspektorinnen sollten an der Front die Einhaltung „weiblicher Disziplin“ durchsetzen.

So willkommen der Einsatz der Frauen für „Gott, Kaiser und Vaterland“ gewesen war, nach Kriegsende wurden sie rasch „demobilisiert“ und die alte Geschlechterordnung wieder hergestellt. Als mit der Ersten Republik im November 1918 das lange geforderte Frauenwahlrecht Wirklichkeit wurde, hieß die primäre politische Frage der Parteien, welche von ihnen von den Frauenstimmen am meisten profitieren werde.