Schelling: "Und da wundert sich jemand über die Politikverdrossenheit?"
INTERVIEW: EVA LINSINGER, ROSEMARIE SCHWAIGER
profil: Ein paar Monate, bevor Sie Finanzminister wurden, erklärten Sie in einem Interview, warum Manager in der Politik so oft scheitern: "Dieses ewige ,Müssten wir, täten wir' ist nicht, was Manager wollen." Ist es so schlimm gekommen? Hans Jörg Schelling: Ich bin ja nicht der klassische Quereinsteiger. Aber Spitzenpolitik ist noch viel schwieriger, als Außenstehende glauben. Als Manager erkennt man ein Problem, sucht die Ursache und geht an die Lösung heran. In der Politik erkennst du das Problem, suchst die Ursache und eine Lösung -und dann beginnt erst der Prozess: Man muss die Bürger überzeugen, den Koalitionspartner und die Widerstände in der eigenen Partei überwinden.
profil: Manchmal wirken Sie, als wären Sie nicht sehr glücklich mit Ihrem Job. Schelling: Es braucht wahnsinnig viel Disziplin und Geduld. Disziplin ist meine Stärke, Geduld aber nicht gerade. Man könnte ein Buch darüber schreiben, was alles nicht passiert ist. Das irritiert mich und ist sehr mühsam -vor allem, weil nie langfristig gedacht wird. Man denkt an die Wahl 2018, aber nicht daran, was 2028 oder 2038 passiert.
profil: Woran genau scheitern schnelle Lösungen: an den Bundesländern? Schelling: Nicht nur, aber auch. Es ist etwa in Wahrheit furchtbar, wenn wir überhaupt darüber diskutieren müssen, dass alle Bundesländer ein einheitliches Haushaltsrecht brauchen, wo sich ablesen lässt, wer wie viele Schulden oder Vermögen hat. Idente Soll-und Habenkonten müssten doch das Normalste auf der Welt sein. Aber das wurde jahrelang zerredet wie viele andere Dinge: Steuerreform, Pensionsreform, Verwaltungsreform und so weiter. Wir diskutieren die Bildungsreform , heraus kommt ein zweijähriger Streit über das Lehrerdienstrecht. Dann diskutieren wir zwei Jahre lang über eine Steuerreform, ohne zu wissen, über welches Volumen wir sprechen. Es wäre viel leichter, wenn wir in der Politik klare Ziele formulieren.
profil: Sie mussten sich auch daran gewöhnen, dass man nichts so durchbringt, wie man es gerne hätte. Die Steuerreform etwa ist nur eine Tarifreform geworden. Frustriert das nicht? Schelling: In der Geschwindigkeit war nur eine Tarifreform machbar. Immerhin mit einer Entlastung von 5,2 Milliarden. An der Steuerreform arbeiten wir weiter. Wir haben Hunderte Ausnahmen im Steuerund Sozialversicherungsrecht, das versteht doch kein Mensch. Aber für eine große Reform fehlte die Zeit.
profil: Beim Finanzausgleich hätten Sie Zeit gehabt. Er gilt seit 2007 und wurde seither immer einfach verlängert. Schelling: Diesen Vorwurf machen Sie zu Recht - aber vor allem meinen Vorgängern. Ich hatte nur wenige Monate Zeit dazu. In der kurzen Zeit etwas so grundsätzlich zu ändern, wie ich mir das vorstelle, das hätten wir nicht heben können. Aber 2017 kommt ein völlig neuer Finanzausgleich, der auch zur Budgetkonsolidierung beitragen wird. Wobei: Gerade da erlebe ich Dinge, die echt lustig wären - wenn sie nicht so traurig wären.
In Österreich diskutieren wir über Militärmusik, Ampelmännchen und Ampelweibchen und dann als Höhepunkt darüber, ob bei der AUA weiter rote Strumpfhosen getragen werden. All das bringt unser Land nicht weiter.
profil: Zum Beispiel? Schelling: Wir erstellen einen strengen Finanzrahmen für die Jahre 2016 bis 2019, der 310 Milliarden Euro erfasst. Also echt ein dickes Ding. Und dann zettelt die FPÖ im Parlament einen Antrag zum Erhalt der Militärmusik in voller Mannstärke in allen Bundesländern an.
profil: Und ehemalige ÖVP-Minister demonstrieren dafür. Schelling: Jedenfalls haben wir eineinhalb Stunden lang über die Militärmusik diskutiert und danach namentlich abgestimmt. Da fällt es manchmal schwer, auf der Regierungsbank ernst zu bleiben. In Österreich diskutieren wir über Militärmusik, Ampelmännchen und Ampelweibchen und dann als Höhepunkt darüber, ob bei der AUA weiter rote Strumpfhosen getragen werden. All das bringt unser Land nicht weiter. Ich frage mich, wie wir die wichtigen Themen in den Vordergrund bringen können. Wir haben ein Arbeitslosenproblem, ein Wachstumsproblem, ein Ausgabenproblem. In den Medien dominiert aber anderes.
profil: Bei den wirklich wichtigen Themen geht leider ewig nichts weiter. Über die Verwaltungsreform zum Beispiel könnten wir seit 20 Jahren das Gleiche schreiben. Schelling: Dabei gibt es Tausende Seiten guter Vorschläge, vom Rechnungshof, dem Österreich-Konvent und von anderen Experten. Aber der beste Vorschlag nützt nichts, wenn ihn niemand umsetzt. Natürlich müsste man über eine grundsätzliche Staatsreform nachdenken. Aber was haben wir davon, wenn wir genauso scheitern wie vor zehn Jahren mit dem Österreich-Konvent? Jetzt gehe ich den Umweg über das Geld und sage, wenn das Geld knapp wird, werden wir nachdenken müssen. Das Problem in Österreich ist, dass zwar jeder zuständig, aber niemand verantwortlich ist. Erst neulich habe ich einen Brief bekommen: "Bitte überweisen Sie mir zwölf Millionen, weil wir uns bei der Lehrerabrechnung verrechnet haben." Da denke ich mir schon meinen Teil.
Wir haben eine sehr starke Beamtengewerkschaft, die bei neuen Vorschlägen als mühsam zu bezeichnen ist.
profil: Wer hat den Brief geschrieben? Schelling: Ein Bundesland.
profil: Warum gibt es in Österreich so viele heilige Kühe? Schelling: Wir haben unglaublich viele Interessensgruppen.
profil: Die gibt es woanders auch. Schelling: Nicht in dieser Intensität. Wir haben eine sehr starke Beamtengewerkschaft, die bei neuen Vorschlägen als mühsam zu bezeichnen ist. Die Kammern haben eine viel größere Bedeutung als in anderen Ländern. Es gibt berufliche Interessensvertretungen, die politisch extrem stark sind. Da geht es zum Teil um Machterhalt, um die Angst vor Machtverlust und um die Angst, unpopulär zu werden. Wobei: Diese Angst muss ich als Politiker nicht mehr haben, das haben wir bereits geschafft. Zudem haben wir den Menschen in den vergangenen 50 Jahren immer das Gefühl gegeben, ein Vollkaskostaat zu sein. Eigenverantwortung gibt es kaum mehr. Jetzt geht uns das Geld aus, und da ist diese Kultur ein Hemmschuh.
profil: Sie haben vor Kurzem kritisiert, dass die arbeitslosen Einkommen fast genauso hoch seien wie die Einkünfte durch Arbeit. Lohnt sich ein Job oft nicht mehr? Schelling: Das Sozialsystem führt dazu, dass die Distanz zwischen Gehalt und Arbeitsloseneinkommen zu niedrig ist. Wir müssen über die Zumutbarkeit von gewissen Jobs und über das Arbeitsrecht diskutieren. Da gibt es abenteuerliche Dinge. Wenn ein Lehrling in einem Handelsbetrieb am Samstag ganztägig arbeitet und am Montag in die Berufsschule muss, hat er das Arbeitsruhegesetz verletzt, und der Arbeitgeber wird bestraft. Man sollte nicht den Schutz aufheben, sondern die Flexibilisierung erhöhen. Ich hoffe, dass dieses Thema beim Arbeitsmarktgipfel angesprochen werden wird.
profil: Ein schönes Beispiel. Der Gipfel hätte im Mai stattfinden sollen. Schelling: Und da wundert sich noch jemand über die Politikverdrossenheit? Auch beim Thema Asyl haben wir lange zugewartet. Mit schnellerem Handeln hätte man die eine oder andere Sache besser lösen können.
Ich halte nichts vom Gießkannenprinzip.
profil: Ihr deutscher Kollege Schäuble kalkuliert, dass jeder Flüchtling 12.000 Euro kostet und hat den Ländern wesentlich mehr Geld zugesichert. Bringen die Flüchtlings-und Arbeitslosensituation Ihr Budget durcheinander? Schelling: Für nächstes Jahr haben wir zusätzliche Mittel im Budget. Natürlich wird uns das auch finanziell belasten. Es sollen heuer 80.000 Flüchtlinge kommen. Nehmen wir an, die Hälfte davon bekommt Asyl und wieder die Hälfte davon bleibt da, dann müssen wir Schul-und Kindergartenplätze et cetera bereitstellen. Wir werden daher nächste Woche beim EU-Finanzministerrat in Brüssel einen Antrag einbringen, dass sich im Oktober auch die EU-Finanzminister mit der Frage beschäftigen, nicht nur die Innenminister. Hier wird viel auf uns zukommen. Es gibt einen Kernpunkt, den man grundsätzlich diskutieren muss: Europa hat sieben Prozent der Weltbevölkerung, 25 Prozent der Weltwirtschaftsleistung, aber 50 Prozent aller Sozialausgaben. Die Bevölkerung wird sinken, auch das Wirtschaftswachstum wird sinken, nur die Sozialausgaben werden steigen. Jemand muss mir vorrechnen, wie das auf Dauer funktionieren soll.
profil: Was ist die Konsequenz? Schelling: Man muss zuerst Systeme wie Pensionen und Gesundheit auf ihre Sicherheit prüfen. Dann müssen wir uns ansehen, wie man die Pflege, die sich in den nächsten 20 Jahren intensivieren wird, finanzieren kann. Zum Dritten muss das Sozialsystem treffsicherer werden. Ich halte nichts vom Gießkannenprinzip.
profil: Haben Sie dafür ein Beispiel? Vielleicht die Wohnbauförderung? Schelling: Da hat man vor Jahren vereinbart, die Zweckbindung aufzuheben. Das halte ich nicht für sinnvoll, man sollte es wieder zweckwidmen. Aber wir brauchen für das ganze Sozialsystem eine Paketlösung. Ich mache jetzt keine Vorschläge, bevor ich ein Paket vorstellen kann. Je mehr man öffentlich Einzelvorschläge diskutiert, desto schwerer wird die Lösung.
profil: Nach einem Jahr als Minister: Fühlen Sie sich unterbezahlt? Schelling: Diesen Job machst du nicht wegen der Bezahlung. Während der Griechenland-Intensivphase, als ständig Sondergipfel stattfanden, ging ich in ein Café in St. Pölten, und ein Herr kam zu mir und sagte: "Sie tun mir leid. Ich habe mir das durchgerechnet. Wenn alles stimmt, was in der Zeitung steht, haben Sie einen Stundenlohn von 15 Euro brutto." Vielleicht hat er recht, ich habe nicht nachgerechnet. Darüber darf man nicht nachdenken. Ich erinnere mich an meine Zeit im Hauptverband. Dort habe ich eine Funktionsentschädigung von 3849 Euro brutto monatlich bekommen, zwölf Mal jährlich. Jetzt frage ich Sie: Wie viele Leute machen diesen Job um dieses Geld? Man wird keine Topleute bekommen, wenn man nicht anständig bezahlt. Aber die Regeln sind so, und deshalb haben wir nicht darüber zu jammern.
profil: Vielleicht sind die Regeln falsch? Schelling: Das mag sein. Schlimmer ist, dass ich der erste Finanzminister seit Hannes Androsch bin, der keinen Staatssekretär hat. Das ist in diesem Ressort eine zusätzliche Herausforderung.
Glaubt denn jemand allen Ernstes, dass die Einführung der Registrierkassenpflicht Österreich verändern wird?
profil: Dafür gibt es eine Familienministerin, von der man den Eindruck hat, sie habe manchmal ein Problem, ihren Arbeitstag zu füllen. Schelling: In Deutschland haben sie ein ganz anderes System und bis zu vier oder fünf Staatssekretäre. Da sieht man schon, wie unlogisch bei uns manche Debatten über Politik ablaufen. Es heißt immer, diese Bonzen verdienen sowieso zu viel. Aber niemand weiß, wie der Tagesablauf eines Politikers aussieht. Mich beneidet auch niemand, dass ich um Mitternacht noch aus Tirol heimfahren darf, um am nächsten Tag um acht Uhr morgens wieder in Wien zu sein. Wir leisten schon enorm viel.
profil: Warum versucht die Politik nicht einmal mehr, den Bürgern so etwas zu erklären? Schelling: Es gibt immer wieder die Diskussion über die Politikverdrossenheit. Der Begriff ist falsch. Es gibt eine Politikerverdrossenheit. Ich habe auch deshalb kein allzu großes Problem damit, weil der Finanzminister überraschenderweise in der Bewertung durch die Bevölkerung gute Zensuren bekommt. Schlimm ist es dann, wenn man sich gigantisch bemüht und miserable Werte bekommt. Die Innenministerin etwa wird geprügelt für Dinge, für die sie alleine nicht verantwortlich ist. Das ist enorm belastend.
profil: Sie haben als Möbelmanager die Familie Putz erfunden. Diese Werbung nervt, funktioniert aber offenbar. Warum ist es so schwer, Politik populär zu machen? Schelling: Das liegt zum einen wieder an den Interessenslagen. Bei der Vermarktung der Steuerreform hat die Regierung versagt. Glaubt denn jemand allen Ernstes, dass die Einführung der Registrierkassenpflicht Österreich verändern wird?
profil: Die Wirte scheinen das zu glauben. Schelling: Weil es so promotet wurde. Jene, die betroffen waren, hatten die stärkeren Trillerpfeifen als jene, die es als notwendige Maßnahme sehen. Aber eine Regierung muss, wenn sie etwas vermarktet, geschlossen auftreten. Es muss eine gemeinsame Kampagne sein. Und genau das ist uns in der Regierung bei der Steuerreform nicht gelungen. Das darf uns nicht mehr passieren.