Schicksalsgemeinschaft: Wie geht es den Flüchtlingen in Österreich?
Von der Ferne sehen sie wie eine Touristenschar aus, die sich auf der Kaiserwiese vor dem Wiener Riesenrad aufstellt, um einen letzten gemeinsamen Moment festzuhalten, bevor es zurück nach Hause geht. Der Fotograf wachelt von seiner Stehleiter herunter, bis die Kleinen vorne stehen, die Erwachsenen dahinter und alle in seine Richtung schauen.
Reisende im herkömmlichen Sinn sind sie aber nicht. Der Mann mit dem zerfurchten Gesicht und den weißen Haaren, der in der letzten Reihe steht, hat im Irak Minen entschärft. Wenn er morgens aufsteht, schaut er zuerst nach, ob Terrorkommandos des „Islamischen Staates“ nach Kirkuk vorgerückt sind, wo seine Frau und seine Söhne warten, bis er sie nach Österreich holen kann. Der fünfjährige Bub in der ersten Reihe musste in Syrien auf dem Weg in den Kindergarten an ausgebrannten Autos und zerbombten Häusern vorbei. Der Mann mit der Schirmkappe ganz links wäre am liebsten nicht zum Treffen in den Prater gekommen, weil es aus seinem Leben nichts Neues zu erzählen gibt: Der Tadschike musiziert weiter für sich allein und zaubert sich am Keyboard manchmal ein Echo seines alten Orchesters herbei, das von Bewaffneten überfallen wurde. Er hat als Einziger überlebt, weil er gerade bei einer Hochzeit spielte. Und er sucht immer noch Arbeit am Bau.
Wenn der Fotograf fertig ist, werden die Männer und Frauen, manche mit ihren Kindern an der Hand, in ihre Unterkünfte zurückfahren. Ihr Zuhause in Syrien, Afghanistan, im Irak oder in Tschetschenien gibt es nicht mehr, ihr neues wird Österreich sein. Noch aber schweben viele von ihnen irgendwo dazwischen. Ein 22-jähriger Afghane wird sich in die behelfsmäßige Privatheit seiner Koje in der Dusika-Halle zurückziehen; im Stadion nebenan wird an diesem Tag Österreich gegen die Türkei eins zu zwei verlieren. Er wird unter der Woche weiter den Deutschkurs besuchen, den Studentinnen organisiert haben, an Wochenenden schwimmen gehen, und er wird weiter auf Nachricht von der Asylbehörde warten. Viel mehr, als an dem Traum zu studieren festzuhalten, gibt es im Moment nicht zu tun.
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