Wo geht es hin für Josef Pühringer?

Die letzte Schlacht des Josef Pühringer

Die letzte Schlacht des Josef Pühringer

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Josef Pühringer startete mit einem Handicap in das Wahljahr. Im Februar hatte sich der oberösterreichische Landeshauptmann beim Skifahren im Pinzgauer Saalbach die Schulter gebrochen. Blöderweise war es die rechte. Wahlkampf bedeutet Handarbeit: Bierfässer anstechen, Trachtenkapellen dirigieren, Kinder und Viecher tätscheln und vor allem Händeschütteln. Noch im Frühjahr konnte Pühringer nur seinen linken Arm gebrauchen. Abends nach einem langen Arbeitstag schmerzte die ganze rechte Seite. Die Ärzte rieten ihm dringend zur Ruhe.

Man kann sich vieles vorstellen, einen Josef Pühringer im Ruhezustand aber kaum. Seit 1995 regiert der quirlige Jurist Oberösterreich. Die Landtagswahl am 27. September wird seine letzte sein. Und sie wird mit einer Niederlage enden, so viel ist jetzt schon klar. In den Umfragen liegt die ÖVP derzeit um 40 Prozent (ein deutliches Minus gegenüber 2009), die FPÖ bei 28 Prozent. Dennoch wird Pühringer Landeshauptmann bleiben – und überdies der derzeit einflussreichste Landesparteiobmann der ÖVP. Ein Porträt des bald 66-jährigen Oberösterreichers in seinen drei Hauptrollen.

Der Landeshauptmann

Nobelste Aufgabe eines Landeshauptmanns ist es, das kleine Ganze im Auge zu behalten, im Falle Josef Pühringers also Oberösterreich. Das Bundesland zählt zweifellos zu den interessanteren der Republik: Berge (wie Tirol und Vorarlberg), Seen (wie Salzburg und Kärnten), Großindustrie (wie die Steiermark und Niederösterreich), Hochkultur (wie Wien), eine herzeigbare Landeshauptstadt. Vor allem aber ist es mit 1,4 Millionen Einwohnern (und 1,1 Millionen Wahlberechtigten) ein großes Bundesland, das sich nach Ansicht seines Landeshauptmanns zum Beispiel auch eine Volluniversität verdient – zumindest aber eine medizinische Fakultät, wie sie seit 2014 an der Johannes-Kepler-Uni eingerichtet ist. Kaum ein Experte in Österreich glaubte, dass der drohende Ärztemangel mit einer zusätzlichen Mediziner-Ausbildung in Linz zu beheben sei. Josef Pühringer setzte das Projekt durch, auch gegen Widerstand in der ÖVP. Man kann das als Beharrlichkeit in einer Zukunftsfrage interpretieren – oder als Sturheit in einem Prestigeprojekt, das nun im Wahlkampf verwertet wird.

Seit 1995 steht Josef Pühringer an der Spitze Oberösterreichs. In dieser Zeit verbrauchten Salzburg und Kärnten vier Landeshauptleute, Tirol schaffte immerhin drei. Ähnlich lang hielten sich nur der Niederösterreicher Erwin Pröll (seit 1992) und Wiens Michael Häupl (seit 1994) im Amt. Wobei es Pühringer weniger stressig hatte als die Kollegen: In Oberösterreich dauert eine Legislaturperiode sechs Jahre, im Rest Österreichs fünf. Im Verlauf seiner Karriere ersparte sich Pühringer so eine Landtagswahl und schonte seine Nerven: Ohne lästige Unterbrechungen durch Wahlgänge regiert es sich einfach entspannter. Wenn aber gewählt wird, kann sich Pühringer seiner Sache nicht allzu sicher sein. Wien wählt bei Nationalrats- und Landtagswahlen immer rot, Niederösterreich immer schwarz. Oberösterreicher sind politisch komplexere Wesen: Sie wählen im Bund mehrheitlich die SPÖ, auf Landesebene außer 1967 stets die ÖVP.

Eine lange Verweildauer in einem politischen Hochamt ist an sich schon ein Qualitätsbeweis. Irgend etwas müssen die drei Herren in Wien, St. Pölten und Linz richtig gemacht haben. Für Pühringer sprechen die soliden Wirtschaftsdaten Oberösterreichs, die in jüngster Zeit freilich deutlich absackten (siehe hier). In der Regierung in Linz verantwortet Pühringer unter anderem die Aufgabengruppen Religionsangelegenheiten, Finanzen und Kultur. Er ist also für Gott, Geld und Musi im Land zuständig, was höhere Öffentlichkeitswirkung bringt als die Aufgabengruppen Straßenerhaltung, Geoinformation oder Personalrechtsangelegenheiten.

Nach der Wahl 2003 schloss Pühringer – als erster Landeshauptmann – eine Koalition mit den Grünen um Rudi Anschober. Sechs Jahre zuvor hatte man einander beim Konflikt um den Kraftwerksbau in Lambach noch bekriegt. Anschober: „Es ist ein Grundrespekt zwischen uns entstanden. Streitereien werden nicht nach außen getragen.“ Politik ist ungerecht, auch gegenüber Politikern. Das musste Josef Pühringer im Jahr 2003 erfahren: Kurz vor Beginn des Wahlkampfs deckte profil Geheimpläne der schwarz-blauen Regierung auf, die Voest unter dem Decknamen „Projekt Minerva“ an Frank Stronachs Magna-Konzern zu verkaufen. Und in der Endphase des heurigen Wahlkampfs überlagert die Flüchtlingskrise alle anderen Themen – zur alleinigen Freude der FPÖ.

In stürmischen Lagen braucht ein Land einen Schutzpatron. Ganz oben hat Oberösterreich sogar deren zwei: den heiligen Leopold und seit 2004 auch den heiligen Florian – Zusatzbürokratie auf höchster Ebene. Unten auf der Erde aber wacht Josef. Bei Ausbruch der Flüchtlingskrise ließ ÖVP-Wahlkampfleiter Wolfgang Hattmannsdorfer neue Plakate drucken. Der Slogan neben Pühringers Porträt: „Unsichere Zeiten. Sichere Wahl.“ Auf den Plakaten ist kein ÖVP-Logo abgebildet, weil ein Landeshauptmann in Krisenzeiten keine Parteien mehr kennt und vom Bürger mit dem Land gleichgesetzt werden sollte. In diesem Fall: Oberösterreich ist – wie in der Landeshymne besungen – das „Hoamatland“, und Josef Pühringer ist der dazugehörige „Sepp“.

Der Sepp

Seit Kanzler Wolfgang Schüssel von Pühringer als dem „Sepp“ sprach, darf man den Landeshauptmann öffentlich so nennen. (Normalerweise heißen die Josefs in Oberösterreich ja „Pepi“.) Pühringer zählt zu den uneitleren Spitzenpolitikern der Republik. Von sich selbst sagt er gern: „Ich bin 1,69 groß. Ich kenne also die Sorgen des kleinen Mannes.“ Mehr oder anderen Humor, etwa Ironie, wird man bei Pühringer nicht finden, es sei denn, er liefert sich in einer halb-privaten Abendgesellschaft mit seinem Wegbegleiter, Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl, eines der für das Publikum eingeübten Verbalduelle. Dann sagt der Trauner Pühringer zum Linzer Leitl: „In der Landesregierung bin ich für dich verantwortlich. Zu mir ressortieren nämlich die Ruinen.“

Wenn man sich bei Christoph Leitl nach Pühringers Stärken erkundigt, sagt er: „Fleiß, Engagement, Volksverbundenheit.“ Pühringer ist die sozial verträglichere Variante des Erwin Pröll: machtbewusst, aber ohne die letzte Brutalität; jähzornig, aber mit der Fähigkeit, sich schnell wieder zu beruhigen. In Gehaltsverhandlungen drohte Pühringer renitenten Ärztevertretern im Jänner an, sie „in die Pfanne zu hauen, bis das Fett spritzt“. Das war dann sogar in einem rauflustigen Land wie Oberösterreich zu viel. Der Landeshauptmann sah sich genötigt, sich zu entschuldigen.

Steht man neben Pühringer, fällt es schwer, nicht selbst hektisch zu werden. Der Landeshauptmann wippt in Hochfrequenz auf und nieder und wirkt stets gehetzt. Es ist ein typischer Fehler des Spitzenpolitikers, zumal eines „volksverbundenen“, der in der Rubrik Lieblingsspeisen „Spinat mit Spiegelei“ und „Hausmannskost“ anführt: überfüllter Terminkalender, zu wenige Pausen, zu viele Zusagen auf Einladungen zwischen Aurachkirchen, Eberstalzell und Zwettl an der Rodl. Tritt Pühringer öffentlich auf, scheint er gedanklich immer schon bei der nächsten Veranstaltung zu sein. Der Mann ist voller intrinsischer Motivation: Vor drei Jahren zeigte er, dass Oberösterreich vielleicht zwei Landesheilige braucht, aber fast nur einen Mann in der Regierung: Zusätzlich zum Landeshauptmann-Job übernahm er die Karenzvertretung der ÖVP-Bildungslandesrätin Doris Hummer und die Agenden des an Burnout erkrankten Landesrats Rudi Anschober: Josefinismus in Oberösterreich.

Pühringers Karriere verlief ohne Brüche. Schon der Vater, ein Schneidermeister, engagierte sich in der Kommunalpolitik in Traun bei Linz. Während seines Jus-Studiums arbeitete Pühringer als Religionslehrer und trat als Beamter der Kulturabteilung in den Landesdienst ein. Verheiratet, drei Kinder. Daneben die politische Laufbahn: Stadtparteiobmann in Traun, Landesparteiobmann der Jungen Volkspartei, Bezirksparteiobmann Linz-Land, Landesparteisekretär, Landtagsabgeordneter, Landesrat. Pühringer verfügt über ein Talent, das in der Landespolitik einen klaren Wettbewerbsvorteil bringt: ein beeindruckendes Personengedächtnis. Nichts schmeichelt dem Bürger und dem kleinen Parteifunktionär mehr, als von seinem Landeshauptmann wiedererkannt und beim Namen genannt zu werden.

Als das Land Oberösterreich im Juli in einem Festakt im Wiener Parlament den Bundesratsvorsitz übernahm, dauerten Pühringers Grußadressen länger als seine eigentliche Rede. Schließlich musste der Landeshauptmann neben dem Vizekanzler, dem neuen Bundesratspräsidenten, den oberösterreichischen Abgeordneten und einem Dutzend weiterer Funktionäre auch die Leiter der Kremsmünsterer Bock- und Leiermusi, der Stadtkapelle Enns und der Bürgergarde Windhaag bei Perg würdigen.

Nach „Wean“, wo laut Pühringer „hinter jedem Eck die Zentralisten lauern“, kommt der Sepp regelmäßig. Zum traditionellen Ball der Oberösterreicher in Wien etwa, zu den Treffen diverser politischer Kommissionen und natürlich zu den formellen und informellen Sitzungen der ÖVP-Parteispitze. Wer derart unumschränkt und mit hohen Beliebtheitswerten ausgestattet ein großes Bundesland beherrscht, bestimmt auch die Geschicke der Bundes-ÖVP maßgeblich mit. Seit einem Jahr ist der Oberösterreicher Pühringer der wahrscheinlich mächtigste Landeshauptmann in der Volkspartei.

Der ÖVP-Bestimmer

Reinhold Mitterlehner hat zwei Vorgesetzte: den Bundeskanzler und den Landesparteiobmann der ÖVP Oberösterreich. Auch nach seiner Kür zum Bundesparteiobmann vor einem Jahr behielt der Mühlviertler sein bisheriges Parteiamt als ÖVP-Bezirksobmann von Rohrbach. Volksverbundenheit dürfte eine Marotte oberösterreichischer Politiker sein. Seinen Chefposten verdankt Mitterlehner auch Josef Pühringer. Zweifach: Nach dem Rücktritt von Michael Spindelegger hatte Pühringer mit Wirtschaftsbund-Obmann Christoph Leitl Mitterlehners Ambitionen unterstützt.

Und ohne den oberösterreichischen Landeshauptmann wäre Mitterlehners Traumjob gar nicht frei gewesen. Es ist gut belegt, dass Pühringer dem bereits angeschlagenen Spindelegger den Rest gab. In einem Interview im August 2014 hatte der Landeshauptmann kritisiert, es sei „unerträglich“, dass die ÖVP bei 20 Prozent „grundle“. Unmittelbar danach verkündete Spindelegger seinen Rückzug – voller Zorn auf den bis dahin treuen Pühringer, der sich intern später reumütig zeigte. Mit dem Aufstieg des Oberösterreichers Mitterlehner an die Parteispitze wurde auch Macht von St. Pölten nach Linz umverteilt. Es macht das Leben eines oberösterreichischen Landeshauptmanns einfacher und eine Volluniversität in Linz wahrscheinlicher, wenn der Bundesparteiobmann und Vizekanzler aus dem „Hoamatland“ kommt.

Mitterlehner ist nach Wolfgang Schüssel, Wilhelm Molterer, Josef Pröll und Michael Spindelegger bereits Pühringers fünfter Bundesparteiobmann. Mag er nach innen auch keppeln, nach außen gab sich Pühringer immer loyal – im Gegensatz zu Erwin Pröll oder dem steirischen ÖVP-Chef und Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer.

In der schwarzen Existenzfrage der vergangenen 15 Jahre – wie halten wir es mit der FPÖ? – sprach sich Pühringer nach der Neuwahl 2002 gegen eine Fortsetzung der schwarz-blauen Koalition aus. Im eigenen Wahlkampf lässt er sich alle Optionen offen. Der grüne Spitzenkandidat Rudi Anschober: „Dass der Landeshauptmann sich die Zusammenarbeit mit der FPÖ ebenso gut vorstellen kann wie mit den Grünen, ist seltsam. Blaue und Grüne sind eher unterschiedliche Parteien.“ ÖVP-Landesgeschäftsführer Wolfgang Hattmannsdorfer kontert: „Wir sind die einzige Partei, die im Wahlkampf aktiv gegen die FPÖ aufsteht.“

Pühringers politische Hyperaktivität schlägt auch in Wien durch. In den Koalitionsgesprächen 2013 verhandelte der Landeshauptmann mit der SPÖ das Thema Finanzen. Und bei der jüngsten Steuerreform war Pühringer ebenfalls Mitglied im schwarzen Verhandlungsteam. 2013 kümmerte er sich als Vertreter der Länder um die Gesundheitsreform. Nur eines wollte Pühringer nie: ein Amt auf Bundesebene, schon gar nicht das höchste. Mehrfach schloss er aus, Bundespräsident werden zu wollen.

Warum er sein Bundesland nie verlassen würde, erklärt Pühringer am Ende des Videos zu seinem Wahlkampfsong „Oberösterreich – Mei Dahoam“: „Es is’ ja auch das schönste Land der Welt.“

Zum Skifahren freilich begab sich der Landeshauptmann lieber ins Salzburger Land.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.