Lockdown für Ungeimpfte in Oberösterreich: Unkontrollierbar.
Dieser Artikel wurde am Nachmittag des 11.11. aktualisiert.
Jetzt ist es schon wieder passiert. Wie im vergangenen Jahr überrollt die herbstliche Corona-Welle die Politik. Die Regierung wollte dieses Mal mit einem Stufenplan besser gerüstet sein. Dieser sieht schrittweise Verschärfung der Corona-Maßnahmen vor - je nach Auslastung der Intensivstationen. Doch die Pandemie hielt sich nicht an den Plan und nahm gleich mehrere Stufen auf einmal - nach der ersten die dritte und nun gleich die vierte: 2G in der Gastro, am Würstelstand, bei Veranstaltungen, beim Friseur oder im Massageinstitut.
2G am Arbeitsplatz halte ich für machbar."
Nun ist in Oberösterreich bereits Stufe fünf erreicht. Ab Montag gilt ein regionaler Lockdown für Ungeimpfte. Das Verlassen des privaten Wohnbereichs wäre ihnen nur noch in Ausnahmefällen gestattet. Dazu zählen nach den bisherigen Plänen der Regierung ein kurzer Spaziergang mit Mindestabstand zu anderen Passanten, der Weg zum Supermarkt, zur Apotheke - und jener in die Arbeit. Der "Lockdown light" ist die letzte Alternative zum Lockdown für alle, also auch für Geimpfte.
Das Problem am Lockdown nur für Ungeimpfte: Bis jetzt kann sich niemand richtig vorstellen, wie dieser kontrolliert werden soll. Vor allem, wenn der Weg in die Arbeit weiterhin ohne Impfung erlaubt ist, wie derzeit geplant. "Was wäre der Unterschied zu Stufe vier?", fragt man sich beispielsweise im Büro des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig. Auf Stufe vier herrscht de facto bereits ein Freizeit-Lockdown für Ungeimpfte. Sie dürfen nicht mehr ins Lokal oder Theater, aber in die Arbeit. Wenn Ungeimpfte, die sich testen lassen, auch auf Stufe fünf weiterhin in die Arbeit dürfen, worin liegt dann die Verschärfung? Worin der Zusatzeffekt in der Pandemiebekämpfung? Und wie lange akzeptieren geimpfte Gäste ungeimpfte Kellner oder geimpfte Friseurkunden ungeimpfte Barbiere? profil fragt seit zwei Wochen beim Gesundheitsministerium nach, wie konkret man sich Stufe fünf vorstellen kann. Bis diesen Freitag hieß es weiterhin: "Die Details werden jetzt ausgebarbeitet."
Der Polizei graut schon jetzt vor der notwendigen Kontrolle des Unkontrollierbaren. Bei früheren Lockdowns waren die Straßen nahezu leergefegt. Das erleichterte die Kontrolle. Beschränken sich die Ausgangssperren künftig nur auf Ungeimpfte, ist die Masse der Geimpften und Genesenen weiterhin unterwegs. Menschen ohne Impfung aus der Menge herauszufischen und heimzuschicken, können sich jene am wenigsten vorstellen, die dafür zuständig wären: die Polizisten. Die Polizeigewerkschaft lehnt solche Kontrollen deswegen vorsorglich ab. "Sollen wir die Straßen abriegeln, um ein paar Ungeimpfte zu erwischen?", sagt Christ-Gewerkschafter Reinhard Zimmermann.
Rumänien ist das einzige EU-Land mit einem Lockdown nur für Ungeimpfte. Der gilt allerdings nur in der Nacht. Wohl aus Gründen.
Nachweis von Arbeitgebern für Ungeimpfte?
Das Innenministerium stellt auf Nachfrage klar, dass die Polizei in Stufe fünf stichprobenartige Kontrollen durchführen wird. Doch selbst wenn Beamte potenzielle Lockdown-Sünder aufspüren: Der Weg zur Arbeit, die Mittagspause am Würstelstand, der Umweg nach Feierabend kann jederzeit als Ausrede dienen. Eine Ausgangssperre für Ungeimpfte führt sich ad absurdum, wenn sie zwar nicht mehr ins Wirtshaus oder Theater dürfen, das Wirtschaftsleben für sie aber ganz normal weiterläuft. In Regierungskreisen ist von Planspielen zu hören, wonach Ungeimpfte einen Nachweis der Arbeitgeber mitführen müssen.
Noch konsequenter wäre ein Job-Lockdown nach dem Freizeit-Lockdown. Aber wäre das überhaupt rechtlich und praktisch möglich?
"2G am Arbeitsplatz halte ich für machbar, wenn Tests allein keinen ausreichenden Schutz mehr bieten", sagt Verfassungsexperte Heinz Mayer. "Das wäre der gerade Weg, den man wohl gehen müsste, wenn man es mit einem Lockdown für Ungeimpfte wirklich ernst meint."
Für den Arbeitsrecht-Experten Wolfgang Mazal wäre 2G am Arbeitsplatz - als Alternative zum generellen Lockdown - ebenfalls rechtskonform. Ungeimpfte müssten dann ins Homeoffice. Oder würden, sollte ihre Tätigkeit Heimarbeit nicht erlauben, ohne Impfung nicht arbeiten können - und damit ihr Entgelt verlieren. Alternativ könnte sie der Staat über das Epidemierecht entschädigen. "2G am Arbeitsplatz: Das wäre de facto eine Impfpflicht", sagt Mazal.
Eine Expertin der Arbeiterkammer kann sich diese Maßnahme ohne generelle Impfpflicht nicht vorstellen. "Das fundamentale Grundrecht auf Erwerbsfreiheit wäre damit verletzt." Ein weiterer Einwand gegen den Job-Lockdown für Ungeimpfte ist die Angst vor dem Zusammenbruch des Wirtschaftslebens. Aus diesem Grund ist die Wirtschaftskammer strikt dagegen. Allerdings drängt ein Teil der Unternehmen selbst auf schärfere Maßnahmen, um einen Lockdown für alle zu vermeiden. So würden 76 Prozent eine Impfpflicht im eigenen Unternehmen anordnen, sollte das arbeitsrechtlich möglich werden. Das ergab eine Umfrage des Beratungsunternehmens Deloitte unter 222 Führungskräften. 15 Prozent gaben an, im eigenen Betrieb bereits eine Impfpflicht etabliert zu haben. "Die Erhebung wurde im August durchgeführt, als die Infektionszahlen noch deutlich niedriger waren. Heute würden die Ergebnisse wohl noch viel, viel eindeutiger ausfallen", sagt ein Deloitte-Sprecher.
Laut einer profil-Umfrage wünschen sich 31 Prozent der Österreicher bereits jetzt einen Lockdown für Ungeimpfte, 14 Prozent sehen die Notwendigkeit eines Lockdowns für alle. Nur 23 Prozent halten den Stufenplan der Regierung für angemessen, am anderen Ende des Spektrums wollen 20 Prozent gar keine Corona-Maßnahmen mehr.
Unmittelbar zusammenbrechen würde die Infrastruktur ohne hartnäckige Impfverweigerer wohl nicht. Am Beispiel Wien: In der Bundeshauptstadt sind im Spitalsbereich 90 Prozent, bei den Lehrern 85 Prozent und in den städtischen Betrieben 70 bis 80 Prozent geimpft. Eine besondere Herausforderung ist die Pflege. Der Fachkräftemangel ist schon jetzt massiv. Ein Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Osteuropa ist mit Impfstoffen wie Sputnik geimpft, die in Österreich nicht anerkannt werden. Sie gelten offiziell als ungeimpft.
Caritas für 2G am Arbeitsplatz
Allerdings geht es beim Impfen "um nicht weniger als die sichere Versorgung und Betreuung von besonders verletzlichen Menschen", sagt Klaus Schwertner, geschäftsführender Caritasdirektor der Erzdiözese Wien. Daher spricht er sich für eine Impfpflicht im Spital, in der Pflege, aber auch in der Schule und im Kindergarten aus. Seine Einrichtung betreibt in Wien und Niederösterreich mehrere Pflegewohnhäuser, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung oder Obdachlose. Schwertners Appell richtet sich direkt an Gesundheitsminister Mückstein. "Entscheidend ist, dass diese Frage einheitlich und nicht von einzelnen Trägerorganisationen beantwortet werden sollte. Immerhin geht es auch um sehr komplexe arbeitsrechtliche Fragestellungen. Einen Fleckerlteppich kann hier keiner wollen." Von neuem Personal verlangt die Caritas bereits einen Impfnachweis. "Ob Impfen zur Beschäftigungsvoraussetzung auch für bestehendes Personal wird, was wir unterstützen, diese Diskussion sollten wir rasch, offen, ehrlich führen", sagt Schwertner.
Doch Mückstein lehnt eine generelle oder partielle Impfpflicht auf Bundesebene ab und spielt den Ball zurück an die Spitals- und Pflegeheimbetreiber. Anders Bundeskanzler Alexander Schallenberg. Er kann sich eine Impfpflicht zumindest im Gesundheitsbereich mittlerweile vorstellen.
Wenn der Lockdown für Ungeimpfte in Oberösterreich hinter den Erwartungen zurückbleibt, droht der Lockdown für alle - auch die Geimpften - als vorweihnachtliche Bescherung.