Schrille Post: profil trifft wütende Leserbriefschreiber
"Geht’s scheißen!“, hämmert Arnold Paukowitsch in seinen Laptop. Ohne zu zögern drückt er die Entertaste. "Geht’s scheißen!“, blinkt am Bildschirm der profil-Online-Redaktion auf. "Da kann man gleich ‚ZurZeit‘ lesen“, legt der 22-jährige Eisenstädter nach und meint die rechte Wochenpostille des einstigen Chefideologen der FPÖ, Andreas Mölzer. Üblicherweise steht profil ja eher im Verdacht, "linke Lügenpropaganda“ zu verbreiten. Der Vergleich mit Mölzer, der ist neu.
Wer ist dieser Mann, der so schimpft? profil will es genauer wissen. "Herr Paukowitsch“, frage ich, "darf ich Sie besuchen? Ich würde gern mit Ihnen reden, über Ihre Kritik an profil.“ Er wundert sich. Und willigt ein.
Leserbriefe. Sie trudeln täglich in der Redaktion ein - mit der Post oder elektronisch, hin und wieder piepst noch das Faxgerät. Sie sind klug, inspirierend, witzig, skurril, ärgerlich und dumm. Sie weisen uns auf Fehler hin und sind oft selbst voller Fehler. Und wenn unsere Leser wütend auf uns sind, dann tippen sie in ihre Computer, schreiben Zetteln voll, beschimpfen die Redaktion im Kollektiv oder einzelne Redakteure. Ob es ihnen dann besser geht? Zeit, für ein paar klärende Gespräche.
Der erste Weg ist nicht weit. Im Regal hinter Chefredakteur und Herausgeber Christian Rainer türmt sich ein Stapel, der von Woche zu Woche höher wird: Leserbriefe. Nicht auszudenken, wie hoch der Stoß wäre, gäbe es noch keine elektronische Post.
Wut auf Journalisten
"Tölpel“ und "Feigling“ wird der Empfänger in den Briefen genannt, es sind dies die freundlicheren Exemplare. Im Stapel finden sich auch wahnwitzige Zuschriften. Ein Leser schickte seinen Stimmzettel der Wiener Volksbefragung an profil und schrieb dazu: "Häupl soll sich einen Veltliner aufmachen und keine blöden Fragen stellen!“ Medien sind auch Blitzableiter für Demokratieverweigerer und Verschwörungstheoretiker. Doch um die geht es nicht in dieser Geschichte.
Es geht um die Wut auf Journalisten, die Wut auf profil und darum, wie sie entsteht. Manch Wut-Schreiber ist plötzlich scheu: Frau Michaela, die gut zwei Mal in der Woche kritische Anmerkungen zu profil-Artikeln mailt, bleibt "lieber im Hintergrund“. Es sei ihr "zu gefährlich“, mit uns zu sprechen. Auch der bekennende Griss-Wähler Claes, der profil-Journalistinnen "boshaft schreibende Bissgurrn“ nannte, hält sich und seine Meinung für "nicht so wichtig“. Vielleicht besser so.
Paukowitsch traut sich. Die Suche nach Antworten führt nach Döbling, in den 19. Wiener Bezirk, Bastion des Bürgertums. Zwischen schmucken Einfamilienhäusern steht in einer ruhigen Seitengasse ein unscheinbares Wohnhaus. Ich bin zu spät, Arnold Paukowitsch erwartet mich bereits. Der schmächtige Bursche mit brünett-blonden Haaren und Bart grinst, als er die Tür seiner WG öffnet. Er trägt ein blaues Hemd mit aufgestrickten Ärmeln und kurze Hosen. Durch das schmale, dunkle Vorzimmer, in dem eine halbvolle Flasche Scotch Whisky steht, geht er geradeaus in sein Zimmer.
Über der Couch hängt eine rote Fahne mit Hammer und Sichel, über dem Bett die Flagge der Antifaschistischen Aktion. Paukowitschs Eltern, die in Eisenstadt leben, hatten profil stets abonniert, er wuchs damit auf. Im Alter von 13 Jahren begann er, sich für Politik zu interessieren und in den elterlichen Abonnements zu blättern. Heute verfolgt der deklarierte Kommunist Medien nicht mehr aus persönlichem Interesse, sondern nur, "um zu wissen, was die Mehrheit der Bevölkerung liest“ - als Beobachter der veröffentlichten Meinung. Paukowitsch lächelt freundlich, wenn er über die Eigentümerverhältnisse von Medien wie profil herzieht. "Ihr macht halt Journalismus für eine bürgerlich-liberale Zielgruppe. Das ist okay, aber mich spricht das überhaupt nicht an“, sagt er. Kaum zu glauben, dass jemand wie er, der dem Magazin derart lässig gegenübersteht, noch enttäuscht werden kann.
"Geht’s scheißen!"
Paukowitsch erinnert sich an ein profil-Cover, das ihn furchtbar aufregte. "Was den Islam gefährlich macht“ stand auf dem Heft, veröffentlicht nach dem islamistischen Anschlag auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo“ im Jänner 2015. "Das war eine Pauschalierung“, findet Paukowitsch, "die Rolle des Westens, der in der Region jahrelang Krieg führte, wurde zu wenig beleuchtet.“ Dass profil immer wieder kritisch über kriegerische Konflikte, etwa im Irak, berichtete, überzeugt Paukowitsch nicht. Ein Jahr später, im Jänner 2016, als er einen Leitartikel gelesen hatte, in dem für eine Kürzung von Sozialleistungen für Flüchtlinge argumentiert wurde, platzte es aus ihm heraus: "Geht’s scheißen!“, schrieb Paukowitsch im ersten Reflex. Seine Eltern drängte er daraufhin erfolgreich, ihr Abo zu kündigen.
Es ist ihm ein wenig unangenehm, heute darüber zu sprechen. Er dachte nicht, dass seinen Wutausbruch überhaupt jemand lesen würde, sagt er und kratzt sich den Hinterkopf. Nein, ins Gesicht hätte er das profil-Journalisten nicht gesagt. Und: Er würde das jetzt anders formulieren. In etwa so: Der Leitartikel betreibe "Angstmache“, sei "politisch falsch“ und "menschlich verwerflich“, gibt er zu Protokoll. Harte Kritik, aber immerhin: Keine Beschimpfung. Geht doch!
Vom Döblinger Kommunisten Paukowitsch ist es eine ideologische Weltreise zu Friedrich Dallinger. Der 77-jährige Pensionist, er war einst Dreher in St. Pölten, ist seit Oktober 2015 freiheitlicher Bezirksrat in Favoriten. Er stolperte während des Präsidentschaftswahlkampfes Ende März über einen Artikel, der sich mit Norbert Hofers Lieblingsmaler Odin Wiesinger und dessen Deutschtümelei auseinandersetzte, erschienen auf der profil-Website. Die Reaktion des greisen FPÖ-Funktionärs fiel denkbar heftig aus: "profil dieses Schmierblatt gehört verboten, dieser Rainer ist der Unnötigste, den es gibt!“
Im Wohnzimmer seiner kleinen Wohnung, beiger Teppich, Tapetenwände, serviert der FPÖ-Mann Kaffee. Zu seinen Lesegewohnheiten befragt, gesteht der passionierte Modellfliegerbastler, er lese profil "nur beim Arzt und online“. Zeitungsabo hat er keines, Informationen bezieht er aus den Wiener Gratisblättern "heute“ und " Österreich“ sowie über Online-Blogs. Milch, Zucker? Danke, schwarz. "Was haben Sie denn konkret gegen uns?“, will ich wissen. profil schreibe immer nur negativ über die FPÖ, findet Dallinger, graue Haare, oranges Polohemd, Anker-Tattoo am rechten Arm ("Jugendsünde“). Immer nur negativ! Er könne sich einfach nicht vorstellen, dass es nichts Positives über seine Partei zu sagen gebe. Ich ziehe die letztwöchige profil-Ausgabe aus meiner Tasche. "Gut so!“, steht da in dicken Lettern, in Anspielung auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, die Bundespräsidentenwahl aufzuheben. "Die Anfechtung wurde doch von Ihrer Partei eingebracht, oder etwa nicht?“, halte ich ihm entgegen.
"Man kann ja im Leben gescheiter werden"
Dallinger will über vieles reden, über die Migranten im Park vor seinem Haus, über die Anarchisten, die ein paar Straßen weiter ein Gebäude besetzt halten. Ja, gerne. "Aber erst einmal müssen Sie mir erklären, warum Sie das Nachrichtenmagazin profil verbieten wollen?“ Dallinger kann sich anfangs nicht mehr daran erinnern. Ich zeige ihm den profil-Artikel über den Maler Odin Wiesinger und seine Reaktion darauf. "Ja, gut, das ist von mir. Ich hatte dazumal einfach das Gefühl, dass der Rainer den Hofer unbedingt schlechtmachen will“, sagt Dallinger. Da habe er eben "einen Zorn bekommen“, denn er sei gegen das Schlechtmachen. Ich: "Und deshalb soll das Magazin verboten, die Pressefreiheit aufgegeben werden?“ Er: "Nein. Das war überspitzt, das gebe ich schon zu.“ Er hätte es anders formulieren sollen, sagt Dallinger: "Man kann ja im Leben gescheiter werden, auch ich mit meinen 77 Jahren.“
Die profil-Ausgabe, die ich Dallinger gezeigt habe, will er behalten: "Das werde ich mir anschauen“, sagt er, profil sei ja eine "renommierte Zeitschrift“. So schnell kann das gehen, von Verbotsgelüsten zum Renommee. Das hätte ich nicht erwartet.
Die Menschen, aus deren Federn die hasserfüllten Briefe und Postings stammen, versuchen gar nicht erst, ihre Pamphlete zu rechtfertigen. Sie sind verlegen, einsichtig, zuvorkommend. Blicken sie nicht in den anonymen Bildschirm oder auf einen leeren Zettel, sondern in die Augen eines Menschen, der ihnen gegenübersitzt, weicht der Hass dem Respekt - so unterschiedlich die Standpunkte der Gesprächspartner auch bleiben.
Vorerst zumindest. Der Mann, den ich nun treffe, scheint eine ausgesprochene Lust am Diskutieren zu haben, das wird schon beim Mailverkehr zur Terminvereinbarung deutlich.
Wiener Innenstadt, Café Engländer, morgens. Ernst Soudek, weißes Poloshirt, Jeans und Sandalen, sitzt schon da. "Ich bin der Ernst“, stellt sich der 75-Jährige vor. Mit der formellen Anrede hat es der ehemalige Leichtathlet (Diskus, Hammer, Speer) nicht besonders. Soudek legt gleich einmal los und erzählt Schwänke aus seinem Leben: 1964 nahm er an den Olympischen Spielen teil, er trägt die Ehren-Medaille der University of Michigan, wo er in Jugendjahren studierte. Später lehrte er an US-Unis als Anglistik-Professor, in den 1980er-Jahren kam er retour nach Österreich. Und er erzählt auch von einem heftigen Streit, der erst ein paar Monate zurückliegt: den Streit mit profil-Chefredakteur Christian Rainer. Anlass: Flüchtlinge. "Du kannst dir deine tendenziösen Gutmensch-Berichte auch woanders hineinschieben, du voreingenommener, komplexbeladener Schreiberling“, wütete Soudek in seinem letzten Mail und kündigte sein Abo, das er gut 30 Jahre gehabt hatte.
"Ich hätte gekämpft, an deren Stelle“
Die "linkslinke“ Haltung des profil habe er nicht mehr ausgehalten, sagt Soudek, überzeugter Sozialdemokrat. "Warum kämpfen diese Männer nicht um ihre Heimat, warum flüchten die?“, fragt er unaufgeregt. Und ergänzt: "Ich hätte gekämpft, an deren Stelle.“ Ich gebe zu bedenken, dass ich nicht wüsste, für oder gegen wen ich in Syrien kämpfen sollte. Für Machthaber Assad? Für den Islamischen Staat? Warum sinnlos mein Leben opfern? Wir einigen uns schließlich, dass es legitime Fluchtgründe aus Syrien gibt.
Ein Treffen in seiner Wohnung lehnte Soudek ursprünglich ab, nach einer halben Stunde Diskussion überlegt er es sich doch anders. Wir spazieren ein paar Minuten, am Weg schwärmt Soudek über den neuen Bundeskanzler Christian Kern - und über FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer.
Das Wohnzimmerfenster der hellen Wohnung bietet einen direkten Blick auf den Stephansdom. Man muss sich bücken, um ihn ganz zu sehen, so nah ist er. In der Mitte des Zimmers steht eine Hantelbank, über 100 Kilo Gewicht. Die habe er an diesem Morgen schon gestemmt, erzählt Soudek stolz, während er, fast zwei Meter groß, für Fotos posiert.
Logisches nächstes Thema: Wirtschaftsflüchtlinge. Je länger das Gespräch dauert, desto mehr wird klar: Soudek, er hat mehrere Tageszeitungsabos, ist belesen und überaus interessiert an internationaler Politik, differenziert, lobt den deutschen Grünen-Chef Cem Özdemir und die neue Staatssekretärin Muna Duzdar ("Vorzeigemuslime“). "Die radiklaen Salafisten“, sagt er dann, "sind das Problem.“
Als ich aufstehe und zur Tür gehe, sagt Soudek: "Vielleicht könntest du dem Chefredakteur andeuten, dass es mir leidtut.“
Mach ich.