Schwarz-Blau gescheitert: Wie es jetzt weitergeht
Der Beginn war vielversprechend, aber trügerisch – FPÖ und ÖVP einigten sich gleich nach Beginn der gemeinsamen Verhandlungen zur Regierungsbildung auf einen halbgaren Budgetsanierungsplan, den man nach Brüssel schickte. Aber seitdem blieben nicht nur die Leuchttürme, sondern auch irgendeine Art von Fortschrittsmeldung aus. Stattdessen beflegelten sich die beiden Parteien zuletzt öffentlich. Am Mittwoch wurde das unwürdige Schauspiel beendet. FPÖ-Chef Herbert Kickl legte den Regierungsbildungsauftrag zurück.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen beschrieb am Mittwochabend vier Szenarien. In den nächsten Tagen wird er mit diversen Politikerinnen und Politikern sprechen, um auszuloten, welches von der Politik bevorzugt wird. Eine persönliche Präferenz ließ Van der Bellen nicht erkennen, legte aber allen Parteichefs ans Herz, sich auf das Staatsganze zu konzentrieren „und auf nichts sonst“.
Szenario 1: Neuwahlen
Um den Weg frei für Neuwahlen zu machen, müsste der Nationalrat aufgelöst werden. Das ist über zwei Wege möglich: Der Nationalrat kann diesen Beschluss selbst fassen, die nächste Möglichkeit dazu wäre am 26. Februar. Variante zwei führt über die aktuelle Bundesregierung unter Interims-Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP). Bundespräsident Van der Bellen könnte den Nationalrat auf Vorschlag der Regierung auflösen.
Gemäß der Nationalrats-Wahlordnung müssen zwischen Verkündung des Wahltermins und Wahl 82 Tage liegen. Frühestens wäre die Wahl also Ende Mai oder Anfang Juni denkbar. Ob eine allfällige Neuwahl vor dem Sommer stattfinden würde, ist offen, wäre aber alleine aus organisatorischen Gründen eine große Herausforderung. Von den klammen Budgets der Parteien ganz zu schweigen.
Szenario 2: Übergangsregierung oder Expertenregierung
Nach den Dreier-Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos ist nun also auch Blau-Schwarz mit der Koalitionsbildung gescheitert. Noch nie dauerten Regierungsverhandlungen länger. Aktuell wird Österreich von einer Übergangsregierung geführt, bestehend aus ÖVP und Grünen, die aber im Parlament keine Mehrheit mehr hinter sich hat.
Das Macht-Vakuum könnte mit einer Übergangsregierung, auch bekannt als Expertenregierung, gefüllt werden, denn das Budgetloch drängt.
Wie Van der Bellen im Laufe der gescheiterten Regierungsverhandlungen regelmäßig betonte, liegt seine Aufgabe darin, die Bildung einer stabilen Regierung zu gewährleisten. Meistens wurde der oder die Vorsitzende der stimmenstärksten Partei damit betraut, theoretisch kann der Bundespräsident aber jede Staatsbürgerin oder jeden Staatsbürger abdem Alter von 18 Jahren damit beauftragen. Auf Vorschlag des Kanzlers kann er dann die restliche Regierung ernennen. Realpolitisch muss der Präsident jedoch darauf achten, dass das Kabinett eine Mehrheit im Nationalrat hinter sich hat, sonst könnte es jederzeit per Misstrauensantrag aus dem Amt bugsiert werden. Die innenpolitische Krise würde sich noch verschärfen.
Laut profil-Informationen soll Van der Bellen jedenfalls auf das Scheitern der Verhandlungen vorbereitet gewesen sein und bereits Planspiele zu einem möglichen Kabinett aus Expertinnen und Experten angestellt haben.
Österreich bekam seine erste Expertenkanzlerin Brigitte Bierlein im Jahr 2019, nachdem die ÖVP-FPÖ-Koalition infolge der Ibiza-Affäre zerbrach und Kanzler Sebastian Kurz per Misstrauensvotum abgesägt wurde. Die Regierung Bierlein war sieben Monate lang im Amt, bis zur Neuwahl und zur Bildung der schwarz-grünen Regierung im Jänner 2020.
Anders als bei der Expertenregierung unter Bierlein gibt es aktuell stärkere Sachzwänge: das Budgetloch und die dadurch drohenden Implikationen drängen. Auch Italien sanierte sein Budget unter einer Technokratenregierung der „nationalen Einheit“ unter der Führung des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi.
Übergangsregierung könnte Budget sanieren
Bis zum Budgetvorschlag einer neuen Regierung gilt ein Provisorium, das alte Budget werde jeden Monat weitergeschrieben und der Staat dürfe dann nur die Hälfte der Schulen aus dem Vorjahr aufnehmen, so Wirtschaftsforscher Christoph Badelt gegenüber „Ö1“. Das würde bedeuten, dass Österreich bereits im April oder Mai keine Schulden mehr aufnehmen könne. Abhilfe könnte hier mit einem Budgetbeschluss im Parlament, dem gesetzlichen Budgetprovisorium, geschaffen werden. Dazu reicht eine einfache Mehrheit,auch auf Basis eines Initiativantrags. Aus Sicht von Badelt braucht es dafür keine Expertenregierung, sondern nur ein Einvernehmen der Parlamentsparteien. Die Vorschläge der Expertinnen und Experten würden ohnehin auf dem Tisch liegen Ein blauschwarzer Vorschlag, um das Budget zu sanieren, war unter anderem die Abschaffung der Bildungskarenz – hier zeigen sich bereits Vorzieh-Effekte, da das Angebot vor seiner angekündigten Abschaffung von vielen in Anspruch genommen wird. Dadurch verringere sich das Einsparpotenzial durch das Ende der Bildungskarenz, so Badelt. Auch der halbgare Plan des blauschwarzen Verhandlerteams, um das EU-Defizitverfahren abzuwenden, würde hinfällig, wenn sich weiterhin keine Regierung findet, die diesen Sanierungsvorschlag wirklich umsetzt.
Mögliche Ministerinnen und Minister
Denkbare Kandidatinnen und Kandidaten für Posten einer potenziellen Experten-Regierung wären etwa die Mitglieder der Initiative „Mehr Grips“, die sich für mehr Expertise in Österreichs Politik stark macht. Dazu zählen unter anderem AMS-Chef Johannes Kopf oder Wifo-Chef Gabriel Felbermayr.
Eine andere Idee wird vom Kärntner SPÖ-Landeshauptmanns Peter Kaiser gewälzt. Er sprach sich gegenüber dem ORF Kärnten für eine „Persönlichkeiten“-Regierung aus, denn er sieht den Nationalrat handlungsfähig. Dezidiert grenzt er seinen Vorschlag der von der Öffentlichkeit geschätzten „Persönlichkeiten“ von Experten oder Expertinnen ab und nennt als Zeitrahmen für diese Regierung ein bis zwei Jahre.
Szenario 3: Neuer Anlauf für die DreiKo
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger und SPÖ-Chef Andreas Babler haben beide signalisiert, bereit zu sein, es nochmal zu Dritt zu versuchen. Beide haben die Hände ausgestreckt, fraglich ist, ob die ÖVP will. Denn vor rund einem Monat haben die Neos die Dreier-Verhandlungen platzen lassen – zurückblieb eine überrumpelte SPÖ und eine ÖVP, die sich mit Christian Stocker einen neuen Chef holen musste. Auch Grünen-Chef Werner Kogler hatte zuletzt Offenheit für Verhandlungen geäußert, wobei er sich eigentlich mit Anfang des Sommers zurückziehen wollte.
Eine neue Dynamik könnte entstehen, wenn nach der ÖVP auch die SPÖ ihre Verhandlungsteams tauscht. Wobei der rote Parteichef Andreas Babler, der bei den Pinken und Schwarzen nicht besonders beliebt ist, weiterhin entschlossen ist, mögliche Verhandlungen selbst anzuführen.
Seitens der SPÖ hatte der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig wissen lassen, dass es „viele Möglichkeiten” gäbe. In den roten Landesorganisationen wollen nicht mehr alle auf Babler setzen.
Szenario 4: Minderheitsregierung
Die erste und einzige Minderheitsregierung Österreichs gab es unter SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky zwischen April 1970 und November 1971. Er wurde damals von der FPÖ gestützt. Wenn die Regierung keine Mehrheit im Nationalrat oder Bundesrat hat, dann müssen sich die Regierenden für jedes Vorhaben neue Mehrheiten im Parlament suchen.
Theoretisch möglich wäre, dass ÖVP und Neos eine solche Minderheitsregierung bilden. Neos-Chefin Meinl-Reisinger hatte diese Variante am Dienstag ins Spiel gebracht. Inhaltlich wären sich Schwarz und Pink wohl schnell einig. Allein: Sie bräuchten aber im Nationalrat die Unterstützung von FPÖ oder SPÖ. Es ist aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, warum sich eine der beiden Parteien auf dieses Szenario einlassen sollte.
Nicht nur das Staatsbudget ist durch Schulden belastet, sondern auch die Parteikassen. Neuwahlen wären in jedem Fall eine Belastung für Österreichs bereits hochverschuldete Parteien. Die positivste Bilanz (Stand 2023) gab es zu Jahresbeginn bei den Freiheitlichen, solide Budgets lagen bei den Grünen und den Neos vor. Nur die ÖVP stottert immer noch einen Schuldenberg ab, den sie unter Ex-Chef Kurz anhäufte, mit roten Zahlen kämpfte auch die SPÖ. Schwer vorstellbar, dass es nach dem kostspieligen Nationalratswahlkampf des Vorjahres besser aussieht.
FPÖ-Chef Kickl ließ bereits in der Vergangenheit wissen, dass die Freiheitlichen kein Problem mit Neuwahlen haben. Laut aktuellen Wahltrend-Umfragen der APA liegen sie bei rund 35 Prozent. Allerdings könnte es sein, dass auch Kickl aufgrund der gescheiterten Regierungsverhandlungen einen Imageschaden davonträgt.