Schwarz-Blau I: Die Chronologie eines Tabubruchs
Von Thomas Hofer
Samstag, 29. Jänner 2000
Gratulation. Auf der Kärntner Gerlitzen feiert FP-Chef Jörg Haider unter großem Medienrummel seinen 50. Geburtstag. Den ganzen Tag über gibt er sich den internationalen Korrespondenten gegenüber von seiner besten Seite. Eine FP-Landesorganisation schenkt ihm eine Kiste Schnaps. Haider: „Die haben wohl die Roten und Schwarzen gesponsert, damit ich nicht mehr handlungsfähig bin.“ Ein paar Schnäpse später entwischt Haider der internationalen Beobachtung und schafft es, in einem ORF-Interview die belgische Regierung und den französischen Präsidenten zu beleidigen.
Sonntag, 30. Jänner 2000
Pendler Schüssel. In der SPÖ wird Alfred Gusenbauer Nachfolger von Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas. Bei einem Rundruf von SPÖ-Chef Viktor Klima war der bisherige Favorit Herbert Prock von den meisten SP-Länderchefs abgelehnt worden.
ÖVP und FPÖ verhandeln weiter über den Koalitionspakt. Am Abend schwört VP-Chef Wolfgang Schüssel seine Landeshauptleute auf Schwarz-Blau ein. Ein Teil der Landeshäuptlinge versammelt sich in Ostösterreich, der andere in Westösterreich. Schüssel pendelt zusammen mit Landwirtschaftsminister Wilhelm Molterer zwischen den beiden Orten hin und her.
Montag, 31. Jänner 2000
Geheimtreffen. Am Vormittag kritisiert Haider erneut Frankreich und Belgien. Am Nachmittag entschuldigt er sich („meinetwegen“) nach einem Termin bei Bundespräsident Thomas Klestil für seine neuerlichen Ausrutscher. Haider geht davon aus, dass Klestil seine Personalvorschläge „akzeptiert“.
Die Erklärung der EU-Präsidentschaft, wonach die 14 EU-Länder die bilateralen Beziehungen zu Österreich im Fall einer FP-Regierungsbeteiligung einfrieren werden, platzt um 17.45 Uhr mitten in eine Unterredung zwischen Klestil und Schüssel. Schüssel findet die Erklärung „befremdlich“. Derart heftige Reaktionen hat niemand in der Volkspartei erwartet. ÖVP und FPÖ einigen sich dennoch auf das Koalitionspaket. Enerviert ist bloß FP-Verhandler Thomas Prinzhorn. Er wirft seiner Partei intern vor, dass sie sich bei den Verhandlungen über den Tisch ziehen habe lassen.
Am Abend eröffnet Jörg Haider in Wien den Jägerball. Während des Balles knöpft ihn sich VP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat wegen seiner Ausritte vor. Rauch-Kallat: „Können Sie nicht einmal den Mund halten?“
Etwa zur selben Zeit ist in der Hofburg EU-Kommissär Franz Fischler zu einem Geheimtreffen mit Präsident Klestil eingetroffen. Thema: die Staatskrise und mögliche Auswege. Fischler sagt dem Präsidenten wie schon am Freitag davor, dass er als Kanzler-Troubleshooter nicht zur Verfügung steht.
Vom Ball flüchtet Haider ins Parlament, wo er mit Schüssel zu einem Vieraugengespräch zusammentrifft. Thema: der Regierungspakt und erneut Haiders Entgleisungen. Die beiden Parteichefs konferieren bis drei Uhr morgens.
Dienstag, 1. Februar 2000
Feindschaft. Klestil bittet Klima und Schüssel getrennt zur Unterredung. Beim Abgang bekommt Schüssel eine aufs Dach. Im täglichen Tumult der Kameraleute rammt der Sat.1-Mann mit seiner Kamera Schüssels Kopf. Klima versucht Klestil noch einmal erfolglos von einer SP-Minderheitsregierung zu überzeugen. Klima will die Leitung der interimistischen Regierung sofort zurücklegen, wovon ihn Klestil nur schwer abhalten kann. Klimas Bedingung: Klestil muss das schwarz-blaue Team spätestens bis zum folgenden Montag angeloben. Am Dienstag darauf bei der Sondersitzung des Nationalrates will Klima auf keinen Fall auf der Ministerbank Platz nehmen.
Klima bestreitet seinen letzten Ministerrat mit versteinerter Miene. Die neue rot-schwarze Feindschaft wird greifbar. Als ein Kameramann kollabiert, bringt ihm Landwirtschaftsminister Molterer ein Glas Wasser. Ein SP-Mitarbeiter will die Kameras am Filmen hindern. „Der muss sich immer inszenieren“, sagt er über Molterer. Der Ministerrat dauert ungewöhnlich kurz. Nach zehn Minuten hat sich Klima von seinem Kabinett verabschiedet. Die ÖVP legt der SPÖ eine Verteidigungsschrift gegen die heftigen Auslandsreaktionen zur Unterschrift vor. Die SP-Minister sind über das bloße Ansinnen nicht nur empört, sondern verweigern die Unterschrift.
Rechtzeitig zur „ZiB 2“ geben Haider und Schüssel die Einigung bei den Regierungsverhandlungen bekannt. Die Freiheitlichen sind der Meinung, dass die heftigen Auslandsreaktionen von Klima und Klestil „bestellt“ wurden. Auch in der ÖVP frohlockt man, dass die Staatsaffäre nun einen neuen „Spin“ – eine neue Wendung zugunsten von ÖVP und FPÖ – bekommen könnte und Klestil und Klima nun als Nestbeschmutzer enttarnt würden. Haider schrammt nur knapp am internationalen Fauxpas vorbei – mehrere Male wischt er das EU-Fähnchen vor ihm fast vom Tisch. Doch die dutzenden Fotografen warten vergeblich auf den Schnappschuss der Woche.
Mittwoch, 2. Februar 2000
Neue Herzlichkeit. Maria Rauch-Kallat verteidigt die FPÖ gegenüber Passanten am Ballhausplatz nur halbherzig: „Wenn die FPÖ eine Nazipartei wäre, wäre sie schon längst verboten worden.“ Dann: „Aber glauben Sie mir, niemand geht gern mit der FP in eine Regierung. Ich persönlich finde das auch gar nicht lustig.“
Vor der Präsidentschaftskanzlei stehen zwei jugendliche Demonstranten mit einem Miniplakat. Ein Beamter verlangt ihre Ausweise. Begründung: „Die rotten sich hier unerlaubterweise zusammen.“
Haider und Schüssel sind um 15 Uhr wieder einmal beim Präsidenten zu Gast. Nach einer knappen Stunde verlassen sie gemeinsam die Hofburg. Neuer Umgangston ist gefragt. Schüssel zu Haider: „Seavas Jörg.“ Haider zu Schüssel: „Wolfgang, pfiat di.“
Abends sammeln sich 15.000 Menschen zum Protest gegen Schwarz-Blau. Unter ihnen Sonja Klima. Sie holt dann auch gleich ihren Gatten aus dem Kanzleramt ab, der mit seinem Kabinett gerade für ein Abschiedsfoto strammgestanden war. Für die nächsten Wochen vereinbaren die Kabinettsmitglieder mit dem Ex-Kanzler einen Heurigenbesuch.
In der spätabendlichen Vorstandssitzung der ÖVP übt Obmann Schüssel massiven Druck auf die Gegner einer schwarz-blauen Koalition in seiner Partei aus. Er will unbedingt einen einstimmigen Beschluss für den Pakt erreichen. Die Gegner wie Tirols Landeshauptmann Wendelin Weingartner fallen der Reihe nach um - nur Wiens Bernhard Görg bleibt standhaft und stimmt als Einziger gegen den Pakt. Investkredit-Vorstand Wilfried Stadler, ein Freund Schüssels, ist auch gegen Schwarz-Blau, hat aber seine Parteiämter schon zurückgelegt und ist somit nicht mehr stimmberechtigt. Aus Angst vor Demonstranten überlegen VP-Abgeordnete, nicht den Vor-derausgang zu benützen, sondern über die Parlamentsfeuerwache unerkannt zu entkommen.
Donnerstag, 3. Februar 2000
Zähneknirschen. Zwei-Klassen-Gesellschaft in der neuen Regierung: Während Schüssel wieder den unterirdischen Gang vom Bundeskanzleramt in die Präsidentschaftskanzlei nimmt, muss sich Haider an Sympathisanten, Journalisten und Demonstranten vorbeiquälen. Ein Demonstrant wird verhaftet und zwecks Perlustrierung ins Bundeskanzleramt getragen.
Haiders Ministerliste findet beim Präsidenten keinen Gefallen. Hilmar Kabas und Thomas Prinzhorn sind für Klestil nicht ministrabel. Prinzhorn wurde von Klestil weder als Finanzminister noch als Infrastrukturminister (Haiders Kompromissvorschlag) akzeptiert. Der Industrielle schäumt und zieht nach Beginn der Präsentation des Regierungsprogramms in der Hofburg wutentbrannt ab. Im Saal lauschen hunderte Journalisten den Ausführungen Haiders - Schüssel ist wieder einmal nicht so interessant. Einen Sieg feiert Wolfgang Schüssel: Ein Ex-Leibwächter Klimas passt heute schon auf ihn auf. Die Systeme der Austria Presse Agentur brechen wegen Überlastung zusammen.
Im Sitzungssaal des Bundesrates sitzt wenig später Viktor Klima ungeschützt und demoralisiert auf der Ministerbank. Auf Kritik reagiert er nicht mehr. Nationalratspräsident Heinz Fischer lässt Klima aus dem Saal holen und fordert ihn auf, "mehr Widerstand" zu zeigen. Doch der künftige Oppositionschef meldet sich bis zum Ende der Sitzung nicht zu Wort.
Aber auch in der FPÖ ist nicht alles eitel Wonne. Zweimal trifft sich der innerste FP-Führungskreis zu Krisensitzungen. Der Tenor: "Wir können uns die Arroganz Klestils in puncto Ministerliste nicht gefallen lassen." Haider akzeptiert das Diktat letztlich aber zähneknirschend.
International regt sich einiges: Portugals Premier kündigt an, nach der Angelobung am Freitag die angedrohten Sanktionen der 14 EU-Staaten wirksam werden zu lassen. Israel verhängt ein Einreiseverbot über Jörg Haider. In Österreich ruft Kardinal Christoph Schönborn zum Gebet für Österreich auf. Demonstranten stürmen spätabends das Wiener Burgtheater und das Hotel Imperial.
Freitag, 4. Februar 2000
Bunkerstimmung. Es kommt noch dicker: Israels Botschafter verlässt das Land. Stundenlang halten hunderte Demonstranten Wien in Atem. Sie stürmen das Sozialministerium, demolieren Autos und Auslagen und überziehen den Ballhausplatz mit faulen Eiern und Tomaten. Die neue Regierung muss für die Angelobung wieder den unterirdischen Gang in die Hofburg in Anspruch nehmen. Zwei Freiheitliche sind nicht dabei: Jörg Haider ist in Kärnten geblieben. Thomas Prinzhorns Stimmung hat sich weiter verschlechtert - er muss zum Zahnarzt.
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