„Die Ära Kurz ist zu Ende“
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Am Ende seine politischen Karriere musste Sebastian Kurz, 35, dann doch zugegeben, dass ihm in seiner Zeit als Spitzenpolitiker der eine oder andere Fehler passiert ist: „Man muss als Kanzler jeden Tag so viele Entscheidungen treffen“, sagte er an diesem geschichtsträchtigen Donnerstag in der Politischen Akademie der Volkspartei in Wien-Meidling, „dass man schon in der Früh weiß, dass auch falsche Entscheidungen dabei sein werden.“ profil-Politikchefin Eva Linsinger kommentiert den Kurz-Abschied so: „Gescheitert ist er an sich selbst.“ Kurz sei, so Linsinger in ihrer Video-Analyse, mit sehr großen Versprechungen ins Kanzleramt gestartet; ein neuer Stil, ein neues Land, eine neue ÖVP – auch keine Freunderlwirtschaft und keine Intrigen mehr. Spätestens mit der Veröffentlichung der Chat-Protokolle war dieser türkise Spin jedoch nicht mehr aufrechtzuerhalten, so Linsinger: „Die Ära Kurz ist zu Ende. Das bedeutet auch eine Neuaufstellung der ÖVP – auf die sie nur sehr bedingt vorbereitet ist.“
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Kurz, der erst Anfang Oktober als Kanzler zurücktreten musste, nachdem bekannt geworden war, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen ihn und seinen engsten Mitarbeiterkreis ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Korruption eingeleitet hatte, hat die österreichische Politik in den letzten Jahren dominiert (hier finden Sie die wichtigsten Geschichten der letzten Jahre). Am Ende dieses steilen Aufstiegs und tiefen Falls sieht sich der Neo-Privatier mit einer Reihe von Vorwürfen konfrontiert – und die Ermittlungen gegen seine Person wird Kurz auch mit seinem Politrückzug nicht los, wie die Investigativ-Kollegen Stefan Melichar und Michael Nikbakhsh in ihrer aktuellen Geschichte aufdröseln. Immerhin geht es um den Verdacht der Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss und die Inseraten-Affäre, die Kurz zum Rücktritt als Kanzler und jetzt wohl auch zum kompletten Rückzug aus der Politik gezwungen haben. Kurz hat indes stets seine Unschuld beteuert. Es gilt die Unschuldsvermutung. Die Unschuldsvermutung gilt auch für Finanzminister Gernot Blümel, gegen den die WKStA in der Causa Casinos ermittelt. Am Donnerstagabend gab er seinen Rücktritt bekannt.
Rote Rosen für Merkel
Dass sich Sebastian Kurz just an dem Tag aus der Politik zurückgezogen hat, an dem Angela Merkel nach 16 langen Jahren als Bundeskanzlerin in Berlin mit dem Großen Zapfenstreich aus der Politik und dem Kanzleramt verabschiedet wurde, könnte man dann als kleine österreichische Finte verstehen. Immerhin war das Verhältnis von Merkel und Kurz, trotz parteilicher Nähe, spätestens seit der Flüchtlingskrise 2015 alles andere als harmonisch. Während sich Kurz nun um sein neugeborenes Kind kümmern will („Ich werde jetzt aufbrechen und meinen Sohn und meine Freundin aus dem Spital abholen.“), wie er bei seiner Abschieds-PK erklärte, hat Merkel dann doch noch mit ihrer Musikauswahl für ihren Abschiedsmarsch überrascht. Die Bundeswehr spielte für die Pfarrerstochter Merkel Hildegard Knef („Für mich soll's rote Rosen regnen“), ein Kirchenlied und, ja, den DDR-Hit „Du hast den Farbfilm vergessen“ von Nina Hagen. Dass die 67-Jährige bis zur finalen Übergabe an Olaf Scholz (SPD) und die Ampel-Koalition noch ein paar Tage Corona-Krisenmanagement dranhängen muss, dürfte die Pragmatikerin Merkel nicht besonders stören. Und Kurz? Erst vor ein paar Monaten hat er in einem TV-Interview gesagt, als Spitzenpolitiker keine Zeit für eine Väterkarenz zu haben. Immerhin das dürfte jetzt kein Problem mehr sein.
Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Freitag,
Philip Dulle
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