Adel-Naim Reyhani

"Höchste Sensibilität und Zurückhaltung"

Das Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte in Wien analysiert für profil die heiklen Forderungen nach Präventivhaft: Von Adel-Naim Reyhani.

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In der Debatte um Präventivhaft/Sicherungshaft, die nach dem tragischen Fall in Dornbirn entstanden ist, wird nunmehr mit unterschiedlichen Vorschlägen hantiert, die jeweils unterschiedliche grundrechtliche Rahmenbedingungen vorfinden. Diese Rahmenbedingungen scheinen in der Debatte jedoch oft nicht bekannt zu sein.

Das Recht auf Freiheit (und Sicherheit), das in allen Fällen berührt ist, findet sich in Österreich sowohl im Bundesverfassungsgesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrSchG), in Art 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und in Art 6 der Grundrechtecharta der EU (GRC) wieder. Eine Haft kann immer nur rechtmäßig sein, wenn sie einen der dort erschöpfend aufgezählten Gründen entspricht.

Die Bestimmungen in diesen Dokumenten sind beinahe deckungsgleich.

Obgleich wesentliche Unterschiede bestehen, ist allen Vorschlägen gemein, dass sie den Zweck haben, die Öffentlichkeit vor Gefahren zu schützen, die von einer Person ausgehen, bei der es nicht den Verdacht gibt, dass sie bereits eine konkrete Tathandlung gesetzt hat.

Dies unterscheidet die Vorschläge auch von klassischen Haftinstrumenten des österreichischen Strafrechts. So setzt z.B. auch die Untersuchungshaft zumindest einen dringenden Tatverdacht voraus.

Die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten, die bestehen, erklären sich vor allem dadurch, dass das Unionsrecht sowie auch die relevanten menschenrechtlichen Instrumente eine Inhaftierung von Personen, die wie Asylwerber einen prekären Aufenthaltsstatus haben, leichter ermöglichen als die Haft von Personen mit gesichertem Rechtsstatus.

Obwohl das österreichische Recht bereits jetzt Möglichkeiten vorsieht, die mit dem Ziel einer Prävention von zukünftigen Straftaten verbunden sind, stellen die vorgeschlagenen Neuerungen doch beträchtliche Einschnitte in die Grundrechtslage in Österreich dar, die höchster Sensibilität und Zurückhaltung bedürfen.

Sicherungshaft nach den Plänen des BM für Inneres

Der Vorschlag des Innenministeriums, eine Sicherungshaft gegen Asylwerber einzuführen und dafür das PersFrSchG zu adaptieren, bezieht sich auf die Umsetzung der Aufnahmerichtlinie der Europäischen Union. Diese Richtlinie betrifft allein Asylwerber (im laufenden Asylverfahren) und sieht vor, dass diese aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung inhaftiert werden dürfen.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat geurteilt, dass diese Bestimmung nicht in Widerspruch mit dem Recht auf Freiheit und Sicherheit nach Art 6 der GRC (mit Art 5 EMRK deckungsgleich) steht, das als einen Haftgrund vorsieht, dass Personen, die von einem schwebenden Ausweisungsverfahren betroffen sind, inhaftiert werden können.

Denn es könne ja sein, dass Asylwerber schon vor Asylantragstellung bereits von eine Ausweisung (samt Einreiseverbot) betroffen sind, nachdem frühere Asylanträge bereits abgewiesen wurden und sie auch mehrmals straffällig wurden.

Eine solche Sicherungshaft würde (laut EuGH) das Ziel verfolgen, die Öffentlichkeit vor der Gefahr, die das Verhalten der Person darstellt, zu schützen.

Zudem weist der EuGH auf die strengen Kriterien hin, die bei einer solchen Haft - die prinzipiell auf das Notwendigste beschränkt bleiben muss - eingehalten werden müssen.

Darunter: die Prüfung möglicher Alternativen zur Haft, Haft für kürzest möglichen Zeitraum, Haft nur in Ausnahmefällen, Prüfung der Verhältnismäßigkeit und nicht zuletzt Beachtung der Definitionen von „nationale Sicherheit“ und „öffentliche Ordnung“ in der Judikatur des EuGH.

„Nationale Sicherheit“ und „öffentliche Ordnung“ sind laut EuGH dann berührt, wenn das Verhalten der Person eine „tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder die innere oder äußere Sicherheit“ des Staats betrifft.

In Österreich wurde diese Bestimmung zur Sicherungshaft (in der Aufnahmerichtlinie) bereits 2018 umgesetzt, allerdings mit Einschränkungen, da das Verfassungsrecht in Österreich keine umfassende Umsetzung erlaube.

Und tatsächlich ergibt sich vor allem aus dem PersFrSchG (das das BMI nun adaptieren möchte) dass eine Schubhaft gegen Asylwerber nur! aus Sicherheitsgründen nicht zulässig ist. Die Haft muss notwendig sein, um das Verfahren zu sichern und zu diesem Zweck verhältnismäßig sein. Zusätzlich zur Bedrohung der nationalen Sicherheit und öffentliche Ordnung müssen nach der derzeitigen Verfassungsrechtslage daher jedenfalls auch Fluchtgefahr und eine größere Nähe zu einer möglichen Abschiebung gegeben sein.

Mit der Änderung des PersFrSchG erhofft man sich, dass diese Kriterien nicht mehr streng angewendet werden müssen.

Und tatsächlich stimmt es wohl, dass die Judikatur der Höchstgericht auf Basis der derzeitigen Verfassungsrechtslage einen strengeren Maßstab ansetzt als der EuGH oder auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).

Inwieweit der Verfassungsgerichtshof (VfGH) seine Sicht zur Schubhaft ändern wird, wenn das PersFrSchG geändert wird, ist allerdings eine offene Frage. Es ist nicht auszuschließen, dass er den strengen Maßstab in der bisherigen Judikatur auf Basis der EMRK oder der GRC weiterführt. Zusammenfassend bedeutet dies also, dass der Vorschlag des BMI darauf abzielt, die Schubhaftmöglichkeiten gegen Asylwerber auszuweiten, um nicht mehr an gewisse Anforderungen gebunden zu sein, die sich aus dem Recht auf persönliche Freiheit ergeben – darunter vor allem die Fluchtgefahr und Nähe zur Abschiebung. Eine Präventivhaft im engeren Sinn (siehe unten) ist damit jedoch nicht gemeint.

Präventivhaft

Neben dem aktuellen Vorschlag des Innenministeriums wurde auch die Einführung von Präventivhaft (im engeren Sinn) von manchen Kommentatoren angedacht.

Eine solche würde sich rechtlich nicht auf ein schwebendes Ausweisungsverfahren nach Art 5 Abs 1 lit f EMRK beziehen, sondern auf die Notwendigkeit, eine bevorstehende Tat zu verhindern nach dem Haftgrund des Art 5 Abs 1 lit c EMRK. Die Kriterien für die Anwendung einer solchen Haft sind nach der Judikatur des EGMR deutlich strikter.

Eine Politik der allgemeinen vorsorglichen Haft gegen eine Gruppe von Personen, die zu Recht oder Unrecht als gefährlich eingestuft wird, ist demnach unzulässig.

Es muss jedenfalls die Gefahr einer konkreten unmittelbar bevorstehenden Tatbegehung nachgewiesen werden kann und der Zugang zu einem Richter muss innerhalb von Stunden sichergestellt werden.

Für zulässig befunden hat der EGMR eine solche Haft zB für Hooligans, die sich zu einer tätlichen Auseinandersetzung vereinbart hatten und die für wenige Stunden von der Polizei inhaftiert wurden, um sie nach Ende des Spiels wieder freizulassen.

Eine Einschränkung einer solchen Haft nur auf Asylwerber würde sich wahrscheinlich schwer argumentieren lassen, da sachlich nicht gerechtfertigt.

Der Leiter des Boltzmann-Instituts für Menschenrechte, Hannes Tretter, erklärt dazu zusammenfassend: „Die Einführung einer Präventiv- oder Sicherungshaft ohne konkreten Tatverdacht ist hochproblematisch und könnte zu Missbrauch verleiten, um Asylwerber kollektiv „in den Griff“ zu bekommen und sich damit die Mühe zu ersparen, konkrete Gefährdungen im Einzelfall nachzuweisen. Es gibt aber Alternativen zur Beschränkung des sensibel geschützten Rechts auf persönliche Freiheit, die im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) stehen: Beschränkungen des Rechts auf Freizügigkeit von nachweislich als potentielle Gefährder der öffentlichen Sicherheit eingestufte Asylwerber, die durch spezifische Melde- und Aufenthaltsvorschriften, Ausgehverbote und Beobachtungsmaßnahmen gesetzlich verfügt werden können, wobei aber auch hier das Gebot der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme beachtet werden muss, die Maßnahme im Hinblick auf das festgestellte Gefährdungspotential nicht überschießend sein darf.“