Koalition

Sideletter: Vollendet Kickl, woran Strache und Kurz scheiterten?

Ob ORF-Umbau oder Liberalisierung des Glücksspiels – die Ibiza-Affäre setzte den damals geheimen Plänen der türkis-blauen Regierung im Jahr 2019 ein abruptes Ende. Diese Projekte könnten unter einem Kanzler Kickl vollendet werden.

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Die FPÖ ist dem Kanzleramt so nahe wie nie zuvor. Die inhaltlichen Schnittmengen der Volkspartei mit den Freiheitlichen, etwa bei der Zuwanderung, sind weitestgehend bekannt. 

Als Vorlage für Blau-Schwarz könnten aber auch die geheimen Pläne der letzten ÖVP-FPÖ-Koalition zwischen Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache dienen, die Mitte 2019 nach kaum mehr als 500 Tagen ein vorzeitiges Ende durch die Ibiza-Affäre fand.

Dass Regierungen neben ihrem offiziellen Programm eine „Hidden Agenda” haben, die zwischen den Regierungsparteien in Nebenabsprachen (Sidelettern) festgelegt wird, ist in der österreichischen Politik nichts Ungewöhnliches. Im Falle von Kurz und Strache fanden diese Sideletter ihren Weg an die Öffentlichkeit, die verdeutlichen, welche Pläne sie für den Umbau der Republik hatten - die aber wegen des frühzeitigen Endes der Koalition nie umgesetzt werden konnten. Weitere Pläne sind durch die umfangreichen Ermittlungen im Casinos-Verfahren ans Licht gekommen. Setzt Kickl das jetzt um?

Operation Küniglberg

Ein zentrales Projekt der FPÖ betraf den ORF. Die Partei hegte schon lange den Wunsch, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk stärker zu kontrollieren. In einem Sideletter zwischen ÖVP und FPÖ war die Überführung der ORF-Gebühren (heute: Haushaltsabgabe) in das Bundesbudget vorgesehen: „Es gibt Einvernehmen darüber, dass die ORF-Gebühren unter Voraussetzung budgetärer Machbarkeit in das Budget des Bundeshaushalts übergeführt werden. Den Zeitpunkt vereinbaren die beiden Koalitionspartner gemeinsam.“

Übersetzt heißt das: Gebühr abschaffen und ORF aus dem Bundesbudget finanzieren.

Diese Maßnahme hätte den Sender finanziell zum Bittsteller gegenüber der Regierung gemacht, ähnlich wie es in Ungarn unter Viktor Orbán oder in der Slowakei unter Robert Fico geschehen ist.

Was der Sideletter aber nicht zeigt, ist, dass die FPÖ den öffentlich-rechtlichen radikaler umbauen wollte, als gedacht: Ein internes Dokument, das profil 2020 einsehen konnte, skizzierte eine vollständige Neugründung des ORF als „Österreichisches Elektronisches Medienhaus“ (OEMH). Dieses Vorhaben sah die Entlassung der gesamten Belegschaft und die anschließende Neubesetzung mit - mutmaßlich - regierungsnahen Mitarbeitern vor. Chats zwischen Strache und dem von der FPÖ entsandten Stiftungsrat Norbert Steger unterstreichen diese Ambitionen:

Norbert Steger

Ohne Personelles wird trotzdem kein einziger FP-Beitrag objektiver oder freundlicher werden! Dazu muss wer rausgeschmissen werden!

Heinz-Christian Strache

Deshalb brauchen wir ein ORF-Gesetz, wo totale Personalrochaden, Neubesetzungen möglich werden!

Doppeltes Spiel?

Warum bestand die Strache-FPÖ in den Nebenabsprachen auf einen eigenen Staatssekretär im seit Jahrzehnten von der ÖVP geführten Finanzministerium? In den Sidelettern wurde die FPÖ zu den Finanzagenden sehr konkret: Es ging um den Einfluss auf den streng regulierten Glücksspiel-Bereich.

Interne Besprechungsprotokolle aus dem Finanzministerium zeigen, wie zwischen Mitarbeitern des ehemaligen ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger und des ehemaligen FPÖ-Staatssekretärs Hubert Fuchs die Neuordnung des “kleinen Glücksspiels”, also Glücksspielautomaten, geregelt werden sollte. Türkis und Blau planten, das kleine Glücksspiel von den Ländern in Bundeskompetenz zu übergeben. 

Das kleine Glückspiel ist seit jeher in der Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer. Sie können entscheiden, ob und wo unter welchen Auflagen Automaten aufgestellt werden dürfen. In Wien ist beispielsweise seit 2015 das kleine Glücksspiel wie in einigen anderen Bundesländern verboten. Für den privaten Automatenanbieter und damaligen Casino Austria Miteigentümer Novomatic ist die Länderkompetenz ein Entfall der Geschäftsgrundlage.

Wenn der Bund die Bewilligungen für Glücksspielautomaten vergeben könnte, wäre es theoretisch möglich, Bewilligungen für Automaten in sogenannten „Verbotsländern“ wie Wien zu bekommen. Laut Branchenkennern geht es dabei um dreistellige Millionenbeträge für Glücksspielunternehmen. In geheimen Absprachen soll der damalige FPÖ-Bezirksrat Peter Sidlo auf Vorschlag des Miteigentümers Novomatic als Vorstand der Casino Austria AG bestellt worden sein, obwohl dieser in der Branche als unerfahren galt. 

Ob das ein politisches Tauschgeschäft war, wodurch das kleine Glücksspiel bundesweit wieder ermöglicht werden sollte, ist Gegenstand der Casag-Ermittlungen. Für Sidlo und Novomatic gilt die Unschuldsvermutung. Die FPÖ hätte eines jener Versprechen einlösen können, das laut Verdachtslage der Staatsanwaltschaft in der Causa Casinos Teil eines „FPÖ-Novomatic-Deals“ gewesen sein soll. 

Nach fünf Jahren Untersuchungen wurde bisweilen von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ein Ermittlungsstrang gegen zwei ehemalige Mitglieder des Aufsichtsrat eingestellt, die die Vorstandsbestellung durch die vorzeitige Abstellung derer Vorgänger zum finanziellen Nachteil des Konzerns zugestimmt haben sollen. Die zentrale Frage, ob die Vorgänge politisch motiviert waren, sind weiterhin Gegenstand von Ermittlungen. Alle Betroffenen bestreiten bis heute die Vorwürfe. Für sie gilt die Unschuldsvermutung.

Im Bereich Online-Glücksspiel ging es ebenfalls um eine Marktöffnung. Aktuell besitzt die Casinos-Austria-Tochter Win2Day ein Monopol auf Online-Angebote. Die Sideletter der türkis-blauen Regierung sahen jedoch die Einführung mehrerer Bundeskonzessionen vor, was privaten Anbietern ein profitables Geschäft eröffnet hätte.

Neben inhaltlichen Projekten zeigen die Sideletters auch, wie wichtig der türkis-blauen Regierung die strategische Besetzung einflussreicher Positionen war. Ob im Verfassungsgerichtshof, in der Nationalbank oder in staatsnahen Betrieben wie ÖBB und Asfinag – langfristige Personalentscheidungen wurden genauestens ausverhandelt und geplant, um die politische Kontrolle über zentrale Institutionen zu sichern. Welche Personalien es genau in den nächsten Jahren zu besetzen gilt, lesen Sie hier

Die Sideletters der türkis-blauen Regierung geben einen Einblick in eine Politik, die auf Machtkonzentration und Umgestaltung zentraler Institutionen ausgerichtet war. Ob Herbert Kickl und die FPÖ diese Pläne wieder aufgreifen, wird sich zeigen. Sicher ist, dass viele der damals angedachten Projekte heute genauso umstritten wären wie damals.

Kevin Yang

Kevin Yang

seit November 2024 im profil Digitalressort.