Sieben Thesen, warum es für die Koalition gut läuft
1. Glanz oder gar nicht
Der stärkste Trumpf der ÖVP/FPÖ-Regierung lautet immer noch: Sie ist nicht die Große Koalition. Mit dem Wahlkampfslogan „Zeit für Neues“ traf Sebastian Kurz einen Wählernerv, die SPÖ/ÖVP-Koalition war untendurch: Mit 15 Prozent wünschte sich im Herbst 2017 laut einer Langzeiterhebung des GfK-Institutes nur mehr eine Minderheit von 15 Prozent die Fortsetzung dieser Regierungsform (2006 waren es noch 41 Prozent gewesen). Hauptsache, keine GroKo mehr: Von dieser Emotion profitiert die Kurz/Strache-Regierung – und kostet sie durch demonstrative Harmonie und Geschlossenheit auch weidlich aus. Das zeitigt Wirkung: 42 Prozent sind mit der Arbeit der Regierung laut der aktuellen profil-Umfrage „sehr“ oder „eher“ zufrieden, auch wenn ihr 43 Prozent beim Thema Soziales attestieren, die Arbeit schlechter zu machen als die vorige Koalition. Das trübt den Glanz des Neuen aber nur schwach.
2. Schweigende Mehrheiten
Die Ex-Fernsehmoderatorin, die Ex-Stabhochspringerin und der Ex-Sozialarbeiter haben wenig gemeinsam, außer dass sie jetzt dank Sebastian Kurz im ÖVP-Parlamentsklub sitzen. Zu Zeiten von Schwarz-Blau I tummelten sich in der Nationalratsriege der Volkspartei erfahrene politische Schwergewichte, von denen man jederzeit geballte Expertise, aber nie blinden Gehorsam erwarten konnte: Gottfried Feurstein etwa, damals ÖVP-Sozialsprecher, den sein umfassendes Wissen immer wieder zum Detaileinspruch gegen die Regierungslinie und sogar zu einer Nein-Stimme gegen das ÖVP/FPÖ-Krankenkassenpaket trieb. Solche Kapazunder gibt es heute nicht mehr im ÖVP-Klub – die Hälfte der Mandatare ist neu im Parlament, ein Gutteil überhaupt neu in der Politik. Die Konsequenz: Der Grad an Fachwissen und Erfahrung im ÖVP-Klub ist niedrig – der Grad an Widerspruchsgeist allerdings auch.
Dasselbe gilt für das ÖVP-Ministerteam: Außer Sebastian Kurz hat niemand Regierungserfahrung, die Mehrheit besteht aus Politiknovizen. Das lässt manche Minister blass und unauffällig erscheinen; als potenzieller kommender Star hat bisher jedenfalls niemand aufgezeigt, was für Kurz den Vorteil hat, dass er ohne Konkurrenz glänzen kann und auch keine Widerrede befürchten muss. Die Minister sind ausschließlich ihm verpflichtet, sie haben keine Basis in Bundesländer- oder sonstigen ÖVP-Organisationen, deren Interessen sie zu vertreten hätten. Falls es noch einen christlich-sozialen Flügel in der ÖVP geben sollte, ist er verstummt; lediglich die Westachse der schwarzen Landeshauptleute leistet manchmal ein wenig Widerstand.
Und die FPÖ ist immer noch beseelt davon, dass sie mitregiert und Abstimmungen im Parlament gewinnt; Kontra-Redner wie seinerzeit Jörg Haider gibt es nicht. Das lässt die Regierungsarbeit ohne Quertreibereien schnurren.
3. Die Gebetsliga lässt grüßen
Kleine Geschenke können Freundschaften sichern, das wusste schon Werner Faymann. Seine Inseratepraxis trug Früchte, er konnte sich überaus wohlwollender Boulevard-Berichterstattung sicher sein. Dadaistischer Höhepunkt: die „Krone“-Schlagzeile „Tiere würden Faymann wählen“. Wer das für unüberbietbar hielt, wird durch die Sebastian-Kurz-Hagiographien eines Besseren belehrt, „Standard“-Kolumnist Hans Rauscher nennt das Trio der Boulevard-Zeitungen „Krone“, „heute“, „Österreich“ lapidar die „Sebastian-Kurz-Gebetsliga“. In der Tat sind die Schlagzeilen hymnisch: „Berlin liegt unserem Kanzler zu Füßen.“ – „Im Ausland lieben sie den Wonder Boy.“ Mit dem Dreiklang Kriminalität-Flüchtlinge-Asyl werden auch die Lieblingsthemen der ÖVP/FPÖ-Koalition ausgiebig behandelt. Das sichert Zuspruch. Schon bei der Nationalratswahl im Herbst kamen FPÖ und ÖVP laut Erhebungen der Wahlforscher Fritz Plasser und Franz Sommer bei Lesern der drei Boulevardblätter auf überdurchschnittlich hohe Werte – und die SPÖ nur auf Platz drei.
4. Immer schön rechts fahren
Keine Frage: Sebastian Kurz ist ein Supermagnet, der Wählerstimmen anzieht. Und Heinz-Christian Strache gelang es über die Jahre, einen soliden Stock an Stammklientel aufzubauen. Allerdings: Der Anti-Flüchtlingswahlkampf von Kurz und Strache fiel auf fruchtbaren, weil sehr lange schon intensiv beackerten Boden. Vieles, was nach der Wahl 2017 über das „Ende der linken Mehrheit“ und die „Rechtsverschiebung der Mitte“ geschrieben wurde, war schlicht Unfug. Denn eine „linke“ Mehrheit gibt es in Österreich seit den 1970er-Jahren und Bruno Kreisky nicht mehr. „Mitte-rechts-Parteien halten seit der Nationalratswahl 1983 eine hypothetische Mehrheit“, analysieren die Politologen Fritz Plasser und Franz Sommer. Als hypothetisch werten sie, auch Parteien dazuzuzählen, die den Einzug nicht schafften. Das Bild ist eindeutig: Der Zulauf zu Mitte-rechts-Parteien hat eine jahrzehntelange Tradition.
Das ist einer der Gründe, warum die Umfragewerte derart stabil sind – sie folgen einem lange verankerten Trend. Dieser teilte sich allerdings manchmal auf mehr Parteien als ÖVP und FPÖ auf: Schon im Jahr 2006 kamen ÖVP und FPÖ gemeinsam auf 49,4, im Jahr 2008 auf 54,7 Prozent. Bei der Nationalratswahlwahl 2013 erreichte Mitte-rechts (damals bestehend aus ÖVP, FPÖ, BZÖ und Team Stronach) 53,7 Prozent. Insofern können weder die 57,7 Prozent für ÖVP und FPÖ bei der Nationalratswahl 2017 überraschen – noch die 58 Prozent in der aktuellen Umfrage.
5. Es gibt kein Zurück
Die Optimisten in der SPÖ glauben fest daran, dass sich Geschichte wiederholt und es nur eine Frage der Zeit ist, bis ein neues Knittelfeld herandräut, die FPÖ in der Regierung implodiert und die Wähler scharenweise zur SPÖ zurückkehren. Dem liegen gleich mehrere entscheidende Denkfehler zugrunde: Erstens ist die FPÖ diesmal besser vorbereitet. Zweitens ist ihr die ÖVP, vor allem in Migrationsfragen, inhaltlich deutlich näher als 2000. Drittens ist das „Zurück“ eine Illusion, anders als vor knapp zwei Jahrzehnten: Damals waren in der Tat enttäuschte SPÖ-Wähler zur FPÖ gewechselt und rückgewinnbar. Diesmal aber gibt es etliche Jahrgänge von (vor allem, aber nicht nur männlichen) Lehrlingen und Arbeitern, die nie die SPÖ gewählt haben, sondern stets die FPÖ. Selbst wenn sie sich abwenden sollten, dann eher in den Nicht-Wählerbereich als zur SPÖ, die nie ihre Heimat war.
Das ist einer der Gründe, warum die Opposition nicht punktet. Andere Erklärungen sind hausgemacht: Die Dauerkabalen bei der Liste Pilz bilden sich in der Umfrage ab, auch das Schwächeln der NEOS kommt nicht überraschend. Sie waren zuletzt vor allem mit Interna und der neuen Führung beschäftigt. Die Grünen wiederum leiden unter ihrer Absenz von der Parlamentsbühne.
In der Feinanalyse zeigt sich aber, welche Themen der FPÖ zusetzen: Der ÖVP schadet die Diskussion über den 12-Stunden-Tag nicht, im Gegenteil; die FPÖ hingegen verliert an Boden. Vor allem die schlechten Noten für die Sozialpolitik, gefolgt von Gesundheitspolitik, signalisieren, dass der Protest der Gewerkschaft sickert. Davon profitiert die SPÖ leicht, wenn auch weniger stark als erhofft.
6. Das Prinzip Dauerwahlkampf
Die wiederkehrende Diskussion über das Kopftuchverbot, derzeit in der Variante „Geld für Kindergärten nur ohne Kopftuch“. Großes Brimborium über die Schließung von Moscheen. Forderungen, dass die Mindestsicherung für Flüchtlinge massiv gekürzt werden soll. Und auf der großen EU-Bühne: Österreich in der Rolle des Wortführers in der hitzigen Debatte, welche Flüchtlingsrouten geschlossen werden sollen. ÖVP und FPÖ setzen ihren Wahlkampfschlager Migration unermüdlich fort, neuerdings auch in der Rolle des EU-Ratsvorsitzes. Das bringt Punkte, die Themen Zuwanderung/Asyl rangieren in der Meinung vieler Wähler ganz weit oben. Das Resultat ist in der Umfrage ablesbar: Mit 53 Prozent ist die Mehrheit der Meinung, dass die Regierung beim Migrationsthema bessere Arbeit leistet als die vorige.
7. Bin dann mal weg
Noch jeder Regierungschef hat sich gern der Außenpolitik gewidmet, wenn es zu Hause ungemütlich wurde. Aus guten Gründen: Bei Auftritten mit ausländischen Staatsoberhäuptern kann man nicht viel falsch machen, solange die Frisur hält. Kanzler Sebastian Kurz reist, auch wenn es zu Hause überaus gemütlich ist, viel und gern. Er hat schon jetzt mehr Besuche absolviert als manch anderer Kanzler in der gesamten Amtszeit. Vorgestern Israel, gestern Brüssel, heute Irland, morgen London: Das Dasein als Dauerjetter hebt das internationale Ansehen und hat den praktischen Nebeneffekt, dass man sich aus innenpolitischem Kleinkram weitgehend heraushalten kann. Unangenehme Fragen zu 12-Stunden-Tag oder Nichtraucherschutz sollen andere beantworten. Sebastian Kurz hebt in der Kanzlerfrage in lichte Höhen ab – und liegt weit vor der Konkurrenz.
Anmerkung zur aktuellen profil-Umfrage:
In den "Oberösterreichischen Nachrichten" wurde zeitgleich eine Umfrage veröffentlicht, die die Freiheitlichen nicht bei 24 (also hinter der SPÖ), sondern bei 28 Prozent auf Platz zwei sieht.
Unterschiede in den Hochrechnungen zwischen Unique Research (für profil) und der kürzlich publizierten Spectra-Umfrage (für "OÖN") ergeben sich aus den unterschiedlichen Befragungszeiträumen. Während Unique Research zwischen 9. und 13. Juli 2018 befragt hat, war der Befragungszeitraum bei Spectra zwischen 6. und 29. Juni 2018, die aktuelle Debatte rund um die Arbeitszeitflexibilisierung ist in der Spectra-Umfrage also nur teilweise abgebildet.