Signa-Skandal: Wie Alfred Gusenbauer zum SPÖ-Schreck wurde
Von Gernot Bauer
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Was wohl eine Weinverkostung mit Alfred Gusenbauer in der Südsteiermark wert ist? Für den guten Zweck ließ sich der frühere SPÖ-Vorsitzende im Rahmen der Aktion „Steirer helfen Steirern“ versteigern. Zur Auktion gelangte eine Weinverkostung für sechs Personen mit Gusenbauer am Weingut Maitz in Ehrenhausen. Beworben wurde die Charity-Aktion in der „Kleinen Zeitung“ mit würzigen Worten: „Österreichs Altbundeskanzler Alfred Gusenbauer ist ein passionierter Weinkenner. Profitieren Sie von seinem reichen Erfahrungsschatz – profundes Expertenwissen für Weinfreunde aus erster Hand!“ Das Höchstgebot für Gusenbauer mit Weinbegleitung lag schließlich bei 1410 Euro. Die Verkostung wird im Verlauf des heurigen Jahres stattfinden.
Bis vor drei Wochen war Gusenbauer, 64, auch passionierter Immobilien- und Kaufhaus-Kenner. Nun verabschiedet er sich aus René Benkos Konzernruine. Am 22. Februar teilte Gusenbauer mit, seinen Vorsitz in den Aufsichtsräten der Signa Development und der Signa Prime nach der Gläubigerversammlung am 18. März 2024 zurückzulegen.
Für seine jahrelang ausgeübten Funktionen erhielt Gusenbauer großzügige Vergütungen. So richtig verdient – mutmaßlich Millionen – hat er allerdings als externer Signa-Consulter. Das legt der Betrag nahe, den Gusenbauer und sein Beratungsunternehmen als Gläubiger im Insolvenzverfahren gegen die Signa fordern: 6,3 Millionen Euro. Offenbar ist der Unternehmensberater teurer als der Weinkenner.
Aus SPÖ-Sicht ist René Benko ein PR-Geschenk: Milliardär, Milliarden-Pleite, Chalet, Jacht, eng verbandelt mit den Mächtigsten im Land, vor allem mit dem früheren ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz. Entsprechend forsch formulierte der Parteivorsitzende Andreas Babler: „Das, was René Benko, der Multimilliardär, aufgeführt hat, war ein Raubüberfall auf jede einzelne Steuerzahlerin und jeden einzelnen Steuerzahler. Und die ÖVP war dabei Komplize.“ Doch wenn auch der eigene Ex-Parteichef dank Signa Millionen scheffelte, hat dies auch eine negative Wirkung auf die SPÖ. Andreas Babler spricht von Gusenbauer wie von einem entfernten Verwandten, von dem man nichts mehr wissen will. Im profil meinte er, Gusenbauers Tätigkeit für die Signa sei „moralisch nicht in Ordnung“. Gusenbauer war ein pragmatischer Parteichef, Babler ist ein ethisch aufgeladener.
Immun gegen Selbstzweifel
Kritik ficht Gusenbauer nicht an. In einem Ö1-Interview sagte er, bei der Signa „für gute Arbeit gute Entlohnung bekommen zu haben“. Ein typischer Satz für einen, der sich unverstanden fühlt, dies aber nicht auf zu wenig Empathie seines Gegenübers zurückführt, sondern auf dessen Mangel an Intelligenz. Als ihn ein Journalist einmal kritisch auf seine Geschäftsfelder ansprach, leitete Gusenbauer seine Ausführungen mit Aplomb ein: „Ich baue Ihnen jetzt eine intellektuelle Brücke. Ob Sie sie beschreiten, ist Ihre Entscheidung.“
Selbstzweifel kannte Gusenbauer auch in seiner Signa-Zeit nicht. Das Immobilien-Business sei „keine Raketenwissenschaft“, meinte er, und deshalb für einen wie ihn auch mühelos zu lernen. Bilanzkunde, Betriebswirtschaftslehre, Bewertungen – alles kein Problem. Gusenbauer muss sich als Aufsichtsrat für ein Naturtalent gehalten haben. Hört man sich unter Signa-Aufsichtsratsmitgliedern um, war er das auch. Seine Vorsitzführung wird als vorbildlich beschrieben. Er sei stets bestens vorbereitet gewesen und hätte die Vorstände mit präzisen bis belehrenden Fragen – Gusi-Style – sekkiert. Und das Ganze in ausgezeichnetem Englisch.
Am Ende seiner politischen Laufbahn im Dezember 2008 – er war erst 48 Jahre alt – stand er vor der entscheidenden Frage: „Modell Gabi“ oder „Modell Gusi“? Die frühere Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller, SPÖ, war nach ihrem politischen Aus 2013 mit knapp 50 Jahren in ihren Zivilberuf in der Salzburger Arbeiterkammer zurückgekehrt. Auch Alfred Gusenbauer trat 2009 wieder seinen Dienst in der Arbeiterkammer Niederösterreich an, wechselte aber ein halbes Jahr später aus der Interessenvertretung der Unselbstständigen in die Selbstständigkeit. Er beriet den deutschen Medienkonzern WAZ, die Alpine Bau, die Novomatic, tätigte eigene Investments, saß im Board eines Bergbau-Multi und wurde Aufsichtsratsvorsitzender in Hans Peter Haselsteiners Strabag und bei der Signa.
Autokraten-Consulting
Die Österreicherinnen und Österreicher machen es ihren Ex-Kanzlern nicht leicht. Nähme einer die gesetzlich vorgesehene Weiterzahlung des Gehalts in Anspruch, würde ihn der Boulevard zerfleischen. Macht er sich selbstständig, ist es auch nicht recht. Gusenbauer geht es da nicht anders als Sebastian Kurz.
Geschäftsgrundlage eines früheren EU-Regierungschefs ist der Kontakte-Ordner am Smartphone. Leider ist der Nachfragemarkt für Politikberater mit Kanzlervergangenheit nicht gerade divers. Die spezifische Dienstleistung von Gusenbauer, Kurz und anderen ehemaligen EU-Spitzenpolitikern wird neben Milliardären gern von nicht ganz einwandfreien Demokraten in Anspruch genommen. Gusenbauer beriet etwa den autokratischen kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew.
Wie nun als Geschäftsmann überforderte Gusenbauer schon als Parteivorsitzender die SPÖ. Einerseits stilistisch: Wenn er an Sitzungen des Parlamentsklubs teilnahm, las er bisweilen gelangweilt in der Zeitung. SPÖ-Funktionären in Donawitz unterstellte er „Gesudere“. Andererseits inhaltlich: Gusenbauer war angetreten, die SPÖ zu modernisieren. Er beschnitt den Einfluss der Gewerkschaften und entwickelte das Konzept einer „solidarischen Hochleistungsgesellschaft“. Mit Studiengebühren hatte er kein Problem. Aus Protest besetzten Mitglieder der Sozialistischen Jugend 2006 den Eingang zur Parteizentrale in der Wiener Löwelstraße, darunter auch die heutige SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Sandra Breiteneder.
Gusenbauer kannte die Gefühlswelt der Parteijugend, war er doch selbst im Jahr 1984 zum Vorsitzenden des Verbands der Sozialistischen Jugend gewählt worden. Bis weit in die Nacht war zuvor zwischen den verschiedenen Gruppen gestritten worden. Als der Verbandstag am nächsten Morgen fortgesetzt wurde, fehlte ausgerechnet der frisch gewählte Vorsitzende. Sein allzu legerer Umgang mit den eigenen Funktionären zeichnete sich schon damals ab.
Individualist im Kollektiv
Alfred Gusenbauer ist ein Individualist und als solcher den eigenen, aufs Kollektiv konditionierten Genossen verdächtig. Sie halten ihm vor, mit der Strabag solidarischer zu sein als mit der SPÖ. Aus dem Aufsichtsrat des Baukonzerns schied er zum Jahresende aus, in der Partei bleibt er. Er sei seit 50 Jahren in verschiedenen Funktionen in der Sozialdemokratie tätig und unterstütze „jetzt als einfaches Parteimitglied“ weiterhin deren Werte, sagte er im Jänner im Ö1-Interview. Eine Partei ist ja auch keine Kapitalgesellschaft, sondern eine Herzensangelegenheit.
Nun legen ihm manche den Parteiaustritt nahe. Bisher hatte die SPÖ mit dem Genossen Kapitalisten allerdings kein Problem. Bis 2017 war Gusenbauer Präsident des Karl-Renner-Instituts. Und 2021 verlieh ihm die SPÖ ihre höchste Auszeichnung, die Viktor-Adler-Plakette.
Unter den Spitzenvertretern der SPÖ hat Gusenbauer aktuell nur noch zwei wirkliche Freunde: den Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser und die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures. Gusenbauer habe die SPÖ „mit großem Einsatz, strategischer Disziplin und intellektuellem Niveau“ geleitet, so Bures vergangene Woche gegenüber profil. Über seine „privatwirtschaftlichen Engagements“ habe sie „keine näheren Kenntnisse“. Die Sozialdemokratie habe Gusenbauer „jedenfalls einiges zu verdanken“.
Falsch liegt sie damit nicht. Gusenbauer schaffte 2006 das Kunststück, aus der Opposition den amtierenden ÖVP-Bundeskanzler (Wolfgang Schüssel) bei der Nationalratswahl zu besiegen und der SPÖ das Kanzleramt zu verschaffen. Andreas Babler steht heuer vor exakt derselben Herausforderung. Dass er seinem Nachfolger dabei schade, glaubt Gusenbauer nicht.
„In der Wirtschaft geht es darum, was du machst, in der Politik darum, was du aushältst“, sagte Alfred Gusenbauer im September 2023 zu profil. Derzeit ist es so, dass die SPÖ ihren früheren Vorsitzenden nur schwer aushält. Das Gesudere wird lauter.
Gernot Bauer
ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.