Frau Klubobfrau, sollte Ihr Diensthandy jemals ins Wasser fallen, wem würden Sie es denn geben, um die Daten zu retten?
Maurer
Unserer IT.
Also nicht dem Innenministerium?
Maurer
Das können wir hier selbst machen, und das Innenministerium hat wohl kaum Interesse an meinem Handy.
Wir fragen wegen Egisto Ott: Er soll jahrelang aus dem Innenministerium für Russland spioniert haben. Er war in U-Haft, wurde entlassen und spionierte weiter. Wie kann der Fall so lange keine Konsequenzen haben?
Maurer
Das Ausmaß muss man sich vor Augen führen, ich finde es wirklich irre! Die FPÖ schließt einen Vertrag mit der Putin-Partei ab, Herbert Kickl kriegt das Innenministerium, und schwuppdiwupp liefern drei mit Russland konnotierte Belastungszeugen die Argumentation für eine richterliche Genehmigung für eine illegale Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz. Da muss schon ein großes Behördenversagen vorliegen, damit das alles so passieren konnte.
Die Kritik kann ja nicht nur Kickl treffen. Er war knapp zwei Jahre Innenminister, davor und danach die ÖVP, 2017 kam Ott das erste Mal ins Visier der Justiz, und trotzdem spionierte er weiter. Hat die Justiz zu lange zugeschaut?
Maurer
Die bisher bekannten Fehler, etwa dass Otts erste Suspendierung aufgrund eines mangelhaften Disziplinarbescheids nicht aufrechterhalten werden konnte, liegen in der Sphäre des Innenministeriums. Die Neuaufstellung des Verfassungsschutzes war eine Reaktion auf die Razzia. Es wird im Detail aufzuarbeiten sein, ob weitere Versäumnisse vorliegen. Justizministerin Alma Zadić hat eindrücklich bewiesen, dass sie die Justiz unbeeinflusst arbeiten lässt.
Ex-FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl lebt in St. Petersburg und arbeitet für ein russisches Institut. Gibt es ein Verfahren zum Entzug der Staatsbürgerschaft?
Maurer
Dafür gibt es einen rechtlichen Vorgang. Ob der eingeleitet wurde, weiß ich nicht. Ich glaube jedenfalls, das wäre durchaus angebracht. Auf jeden Fall ist der Schaden für Österreich groß. Mir stellt sich die Frage: Was bedeutet das für die Sicherheit im Land, wenn solche Dinge möglich sind? Herbert Kickl hatte eine zentrale Rolle inne. Experten sprechen von einer Destabilisierungskampagne gegen die Republik. Es sind ja nicht ein paar Beamte, die sich falsch verhalten haben.
Themenwechsel. Was macht eigentlich die österreichische Identität aus?
Maurer
Es gibt viele unterschiedliche Identitäten. Ich komme aus dem Tiroler Stubaital, ich habe in meiner Jugend bei Prozessionen Holzfiguren durch die Gegend getragen, während die Schützen daneben geschossen haben.
Waren Sie bei der Blasmusik?
Maurer
Nein. Ich war beim Kirchenchor. Das war das Einzige, was im Stubaital available war ohne Blasinstrument.
Tragen Sie Tracht?
Maurer
Nein! Außer, wenn ich beruflich dazu gezwungen wurde. Damit meine ich nicht politisch, sondern im Gastgewerbe. Weil Sie nach der Identität fragen: Wir leben in einer pluralen Demokratie mit unterschiedlichen Lebensentwürfen. Es gibt zum Glück internationale Einflüsse, Popkultur und Alternativszenen. All das ist genauso österreichische Identität.
Die FPÖ will nichts Geringeres als die Zerstörung unserer Demokratie.
Sigrid Maurer
über das Umfrage-Hoch der Freiheitlichen
Sebastian Kurz machte es schon 2019 zum Thema. Damals sagten Sie: „Ich könnte nicht sagen, was das spezifisch Österreichische wäre.“ Gibt es die österreichische Identität nicht?
Maurer
Nein. Natürlich gibt es Bräuche, Speisen, Wiener Schmäh und anderes, das als typisch österreichisch konnotiert werden würde. Aber zu jeder Formulierung würde uns ein Gegenbeispiel einfallen, das finde ich gut. Jeder Versuch einer Gruppe, eine Identität zu formulieren, die letztlich nur die Funktion der Ausgrenzung haben kann, lehne ich grundsätzlich ab.
Mit Gruppe meinen Sie die ÖVP.
Maurer
Hier ja. Aber diese Debatte haben wir ja seit 20 Jahren immer wieder.
Stört es Sie, dass Ministerin Susanne Raab eine Leitkultur niederschreiben will?
Maurer
Alles, was in Gesetze gegossen würde, bräuchte eine Mehrheit im Parlament. Und diesen Blödsinn machen wir sicher nicht mit. Unser Wertekatalog ist in der Verfassung und der Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben.
Es gibt aber Integrationsprobleme. Wien stöhnt unter dem Familiennachzug, pro Monat kommen 350 Kinder im schulpflichtigen Alter. Sollen Familien über alle Bundesländer verteilt werden, oder ist Wien an der Situation schuld?
Maurer
Es wird wieder einmal versucht, auf dem Rücken von Kindern politisches Kleingeld zu wechseln. Die Situation ist herausfordernd, aber können wir mal kurz darüber reden, was hier passiert? Kinder werden aus dem Krieg geholt und können in Frieden aufwachsen. Wir sollten uns überlegen, was wir tun können, damit sie gut ankommen. Wie Sie merken, bin ich berührt davon, wenn Familien wieder gemeinsam leben können.
Das ist NEOS-Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr wohl auch, aber er sagt: Wien steht am Rande dessen, was es schaffen kann, und verlangt eine Wohnsitz-Auflage. Asylberechtigte sollen eine Zeit lang dort leben, wo ihr Asylverfahren abgearbeitet wurde.
Maurer
Das ist so nicht umsetzbar, es gibt rechtliche Vorgaben.
Man könnte Anreize schaffen.
Maurer
Ja, aber die Bundesländer sind für die Grundversorgung zuständig und lösen das unterschiedlich gut oder schlecht. Wir haben in den letzten Jahren an mehreren kleinen Schrauben gedreht, etwa höhere Tagsätze. Wenn alle an einem Strang ziehen und konstruktiv wie Wien wären oder auch Oberösterreich, das in puncto Arbeitsmarktintegration überraschend viel macht, dann wäre die Lage in Wiens Schulen deutlich entspannter.
Kann es sein, dass zu viele Asylwerber und Migrantinnen da sind und deswegen die Integration erschwert wird? Ihr Parteichef Werner Kogler sagte selbst: Vielleicht haben die Grünen manchmal zu lange geschwiegen, aus Angst, rassistische Stereotype zu bedienen.
Maurer
Werner Kogler bezog sich damit auf potenzielle Radikalisierungen oder Ausgrenzungsmechanismen, auch in bestimmten Communitys. Ich kann mich an die Situation vor einigen Jahren noch genau erinnern. Wir waren sehr bemüht, sie zu bewältigen – und das ist uns auch gelungen. Aber in einem Klima, in dem mit Hass und Hetze operiert wurde, wollten wir nicht dazu beitragen, dass diese negative Perspektive weiter befeuert wird. Das war auch richtig.
Mir sind authentische Persönlichkeiten lieber, denen Fehler passieren und die über sich selbst lachen können, als stocksteife Polit-Roboter.
Sigrid Maurer
über ihre TikTok-Videos
Die Koalition ist im Endspurt, aber im Bereich Asyl/Migration ist die Gesetzeslage nicht entschärft worden. War das der härteste Bereich, den Sie mit der ÖVP verhandelt haben?
Maurer
Och, welcher Bereich ist einfach mit der ÖVP zu verhandeln? Aber es ist einiges gelungen
Die Regierung hat auch das ORF-Gesetz beschlossen, inklusive Offenlegung der Gehälter. Waren Sie überrascht, dass ein Ö3-Moderator über 400.000 Euro im Jahr verdient?
Maurer
Ich kann verstehen, dass man darüber empört ist. Ich war es auch. Verantwortlich für die hohen Verträge sind die ORF-Chefs der letzten Jahre, die sie hergegeben haben. Die Offenlegung der Gehälter darf aber nicht zur persönlichen Hetze verwendet werden.
Diese Hetze passiert aber.
Maurer
Das geht natürlich überhaupt nicht. Wir haben uns zu der Transparenzmaßnahme bekannt. Große Gesetzespakete sind ein Kompromiss, diese Art der Veröffentlichung war nicht die Idee der Grünen.
Sollen jetzt die ORF-Gagen sinken, wie Medienministerin Susanne Raab ankündigt?
Maurer
Das ist nicht Aufgabe der Politik, sondern Aufgabe des ORF.
Sollen auch in anderen öffentlichen Unternehmen Gehälter offengelegt werden?
Maurer
Wir haben bei der Abschaffung des Amtsgeheimnisses darüber debattiert. Derzeit müssen die Gehälter von ATX-Vorständen veröffentlicht werden. Wir Grüne sind immer für Transparenz und daher dafür, dass auch andere öffentliche Unternehmen wie der ORF die Gehälter veröffentlichen. Ziel muss natürlich die Kontrolle der Verwendung von Steuergeld sein, nicht persönlich diffamierende Hetze.
Gibt es eine Höchstgrenze, was jemand in öffentlichen Unternehmen verdienen soll?
Maurer
Na ja, wenn man will, dass fähige Leute dort sitzen, kann man nicht komplett marktunübliche Gehälter bezahlen. Verantwortung soll entlohnt werden. Aber auch ich frage mich manchmal, was denn die riesige Leistung ist – insbesondere im Vergleich mit Pflegerinnen oder Sozialarbeiterinnen, die ich gern besser bezahlen würde.
Das Höchstgericht verlangt die Reparatur der ORF-Aufsichtsgremien. Macht das diese Regierung noch?
Maurer
Es wäre gut, wenn wir das noch erledigen.
Man hat den Eindruck, dass ÖVP und Grüne die gemeinsam möglichen Beschlüsse ausgeschöpft haben.
Maurer
ÖVP-Klubobmann August Wöginger und ich haben eine andere Einschätzung. Wir wollen noch zahlreiche Dinge erledigen, insbesondere in den Bereichen Klimaschutz und Pflege.
Kommt etwa das Klimaschutzgesetz noch?
Maurer
Wir werden bis zur allerletzten Sekunde darum kämpfen.
Und die Bodenschutzstrategie?
Maurer
Dafür würde ich gerne die Rufumleitung in Richtung Oberösterreich einrichten, dort bremst der Landesrat. Kurz ist auch Finanzminister Magnus Brunner dem Zubetonieren anheimgefallen. Aber nur kurz: Gerade im Westen ist jede nicht verbaute Wiese wichtig. Ich bin zuversichtlich, dass uns die Bodenschutzstrategie noch gelingt.
In Deutschland gilt die Regelung seit ein paar Tagen. Man muss sich anschauen, wie sich das entwickelt.
Sigrid Maurer
über Cannabis-Legalisierung
Die ÖVP möchte noch das automatische Pensionssplitting umsetzen.
Maurer
Wir wollen Altersarmut von Frauen verhindern. Das Pensionssplitting kann ein kleiner Beitrag dazu sein. Der Kern des Problems ist, dass zu viele Frauen Teilzeit arbeiten und damit nur geringe Pensionen haben. Dagegen ist der Schlüssel mehr Kinderbetreuung: Die Regierung nimmt 4,5 Milliarden Euro in die Hand, um die Länder dazu zu bringen, endlich die Kinderbetreuung stärker auszubauen.
Im Regierungsprogramm steht nichts dazu, aber: In Deutschland ist Cannabis legalisiert. Sollte Nachbarland Österreich das auch tun?
Maurer
In Deutschland gilt die Regelung seit ein paar Tagen. Man muss sich anschauen, wie sich das entwickelt. Die grüne Position war immer, besonders für medizinische Zwecke, etwa bei Schmerzen, über leichteren Zugang zu diskutieren. Aber das ist kein Projekt mehr für diese Legislaturperiode.
Damit bleibt das gemeinsame Projekt, die FPÖ als nächste Regierungspartei zu verhindern?
Maurer
Von der FPÖ kommt ausschließlich Hetzerisches auf grottigem Niveau. Und niemand scheint sich für die Russlandnähe zu schämen. Österreich hat eine historische Verantwortung, wir sagen bei vielen NS-Gedenkveranstaltungen „nie wieder“. Nie wieder, das ist jetzt. Die FPÖ will nichts Geringeres als die Zerstörung unserer Demokratie. Wir stehen tatsächlich vor einer Richtungsentscheidung – in Europa und in Österreich: Soll das Land in Richtung autoritärer Polizeistaat gehen? Oder in Richtung florierende Gesellschaft mit Zukunft und Klimaschutz?
Die FPÖ liegt seit einem Jahr in Umfragen voran.
Maurer
Wir sind mit einer riesigen Desinformationskampagne konfrontiert. Wir wissen, dass Russland viel Geld einsetzt, um Wahlen gezielt zu beeinflussen. Dagegen müssen sich alle demokratischen Kräfte vereinigen. Ich konzentriere mich darauf, dass wir in der Regierung und als Partei unsere Arbeit gut machen. Wir haben mit Lena Schilling eine geniale Spitzenkandidatin für die EU-Wahl, die junge Menschen begeistert.
Aber nicht weiß, ob Norwegen den Euro als Währung hat.
Maurer
Ganz ehrlich: Ich bin mir nicht sicher, ob ich korrekt beantwortet hätte, ob Norwegen Teil der EU und des Euro ist. Es ist nicht ausschlaggebend dafür, ob man gute Politik macht oder nicht, wenn bei einem ORF-Satiriker ein Lapsus passiert. Darauf gerade bei einer jungen Frau herumzureiten, finde ich seltsam.
Was raten Sie, wenn ORF-Satiriker Peter Klien kommt: Davonlaufen?
Maurer
Augen zu und durch. Und ihn keinesfalls wie die FPÖ in den Schwitzkasten nehmen. Satire ist Teil der Demokratie. Politikerinnen und Politiker sollen sich nicht zu ernst nehmen. Mir sind authentische Persönlichkeiten lieber, denen Fehler passieren und die über sich selber lachen können, als stocksteife Polit-Roboter, die nur vorgefertigte Sprechblasen absondern.
Sie singen einen Rhabarber-Song. Was soll da die politische Botschaft sein?
Maurer
Auf TikTok gibt’s viele Trends, manche davon finde ich lustig – zum Beispiel den Zungenbrecher Rhabarber. Ich mache auch TikTok-Serien zu Putin oder zum Tradwifes-Trend. Ich habe 1000 Reden in Hosenanzügen im Parlament gehalten. Wenn ich mich ungeschminkt im Bademantel in der Küche zeige und Rhabarber singe, vermittle ich auch, welche Person die Politikerin Maurer ist.
Ist das nicht ein wenig unpolitisch?
Maurer
Ich könnte als Politikerin meine Kommunikation ausschließlich über die Austria-Presse-Agentur und OTS-Aussendungen machen. Aber das wird nur mäßig erfolgreich sein. Wir müssen dorthin, wo junge Menschen sind. Daher experimentieren wir mit TikTok-Videos. Politik darf auch Spaß machen.
Interview: Iris Bonavida, Eva Linsinger, Fotos: Wolfgang Paterno
ist seit Jänner 2020 Klubobfrau der Grünen im Parlament. Die gebürtige Tirolerin zog erstmals 2013 in den Nationalrat ein. Von 2017 bis 2019, als die Partei dort nicht vertreten war, arbeitete sie beim Institut für Höhere Studien (IHS).
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Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.