Interview

Sigrid Maurer: „Ich habe gedacht, ich spinne“

Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer über die „Chuzpe“ der Handelsvertreter, die Blockierer in der ÖVP und die Frage, ob der Ausschluss des Ex-Grünen Kay-Michael Dankl ein Fehler war.

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Wann waren Sie das letzte Mal in einem Supermarkt? 
Sigrid Maurer
Gestern.
Fällt Ihnen bei den Preisen etwas auf? 
Maurer
Wenn man eine Handvoll Sachen einkauft und dreißig Euro zahlt, fragt man sich natürlich, wie das sein kann. 
Die Arbeiterkammer hat sich ausgerechnet, dass Tiefkühlpizzen 92 Prozent mehr kosten als noch vor einem Jahr, Sonnenblumenöl 77 Prozent. Lässt sich das allein durch die Energiepreise rechtfertigen?
Maurer
Nein, das glaube ich nicht. Beim Sonnenblumenöl haben wir natürlich eine besondere Situation, weil der Hauptlieferant die Ukraine ist. Aber die Chuzpe, mit der sich die Handelsvertreter hinstellen und wegen Preistransparenz anfangen Krokodilstränen über ein drohendes Greißler-Sterben vergießen, während sie 95 Prozent Marktanteil haben - da habe ich gedacht, ich spinne. Mit welcher Präpotenz  und faulen Ausreden der Handel da zu allem Nein sagt, ist unsäglich. Denen muss auf die Finger geschaut werden. 
Die Regierung will jetzt die Lebensmittelhändler zu mehr Transparenz verpflichten. Müssten Sie nicht ehrlicherweise dazu sagen, dass das kein Produkt billiger machen wird?
Maurer
Es gibt verschiedene Maßnahmen, die man setzen kann. Die grundsätzliche Frage ist immer: Wie garantieren wir, dass das weitergegeben wird, zum Beispiel bei der Senkung der Mehrwertsteuer? Die treuherzigen Antworten des obersten Handelsvertreters in der ZIB 2, dass das selbstverständlich passieren würde - ich bin mir nicht sicher, ob man darauf noch zählen kann. Und durch die Transparenz, die wir am Mittwoch im Ministerratsvortrag beschlossen haben, wird der Handel schon unter einen ganz anderen Druck kommen. 
Trotzdem: Zu einem Einfrieren der Lebensmittelpreise, wie etwa in Frankreich, konnte der Handel beim Lebensmittelgipfel nicht motiviert werden.
Maurer
Von manchen wird beklagt, dass der Lebensmittelgipfel ergebnislos war. Das sehe ich absolut nicht so. Wir haben da ein sehr zentrales Thema auf die Agenda gesetzt. Bei den Energiepreisen haben wir einen Mechanismus gefunden, bei den Lebensmitteln wird das auch so sein. Es kann mir niemand erklären, warum die Preise so viel teurer sind als in anderen Ländern. Dass die Preisberechnungen komplex sind, das mag sein, aber die absolute Empathielosigkeit, mit der da von Seiten der Handelsvertreter gegenüber einer sehr stark belasteten Bevölkerung argumentiert wird, ist geradezu empörend.
Was tun Sie denn, wenn die Transparenz die steigenden Preise bis zum Sommer nicht einbremsen kann?
Maurer
Wir werden die Gesetze sehr schnell beschließen, und das wird einen Effekt haben. Hofer hat die Butter schon gesenkt - das Image ist den Lebensmittelhändlern zum Schluss nicht ganz egal.
Menschen ohne Arbeit und geringem Einkommen spüren die Teuerung am stärksten. Wann kommt die Anpassung der Notstandshilfe?
Maurer
Der Kanzler hat gesagt, dass es unerträglich ist, wenn Kinder kein warmes Essen haben. Wir sehen das ganz genauso, wir unterstützen ihn da sehr. Da muss man auf jeden Fall ansetzen.
Was ist geplant?
Maurer
Kinderarmut ist tatsächlich unerträglich, und Johannes Rauch thematisiert es immer wieder – und wir werden nächste Woche auch ein Paket dazu präsentieren. Wir haben für diese Gruppe viel Geld in die Hand genommen, die Inflation ist sogar überkompensiert worden. Und man muss bei aller Empörung auch sehen, dass bestimmte staatliche Eingriffe wie Preisdeckel in anderen Ländern auch negative Effekte hatten.

„Die Chuzpe, mit der sich die Handelsvertreter hinstellen und wegen Preistransparenz Krokodilstränen über ein drohendes Greißler-Sterben vergießen, während sie 95 Prozent Marktanteil haben - da habe ich gedacht, ich spinne.“

Die Teuerung war auch eines der Top-Themen bei der Salzburg-Wahl. Die KPÖ triumphierte vor den Grünen. In der vordersten Reihe der Kommunisten steht mit Kay-Michael Dankl ein Ex-Grüner, der 2016 aus der Partei geworfen wurde, weil er der kritischen Jugendorganisation angehörte. War das ein Fehler?
Maurer
2016 sind bei den Grünen viele Dinge nicht so gut gelaufen. Ich kenne den Kay schon sehr lange, er war mit mir auf der ÖH. Er hat in Salzburg das Thema Wohnen gut besetzt. Aber auch das Wahlergebnis der Grünen ist ein Gutes. Dass sich Wilfried Haslauer dazu entscheidet, mit Marlene Svazek von der FPÖ zu koalieren, ist eine Katastrophe für Salzburg. 
Zur FPÖ kommen wir noch – würden Sie Kay-Michael Dankl wieder bei den Grünen aufnehmen, wenn er anklopft? 
Maurer
Ich glaube nicht, dass das in seinem Interesse wäre. Das, was er in Salzburg macht, ist eine monothematische Geschichte, und er macht manche Sachen sehr geschickt. Was an Substanz dahinter ist, ist ein anderes Thema.
Diese Woche stellten SPÖ und FPÖ im Nationalrat zwei Misstrauensanträge gegen die Regierung. Das wurde etwa mit “unterlassener Hilfeleistung für die Bevölkerung” argumentiert. Hat die Opposition recht? 
Maurer
Es ist der Job der Opposition, die Regierung zu kritisieren. Inhaltlich weise ich diese Vorwürfe klar zurück. Kickls absurde Wordings und Vorschläge kennen wir, und wir wissen auch, wie sie einzuschätzen sind. Er stellt sich gerne hin als der, der für die sogenannten kleinen Leute kämpft, aber in Wahrheit ist das alles nur Show mit wenig Substanz. Ein Beweis dafür: Er ist gegen eine Millionärssteuer, seine Sozialministerin Hartinger-Klein wurde 2018 berühmt mit der frappanten Aussage, 150 Euro Mindestsicherung wären genug – und damals hatten wir kaum Inflation. Mit dem Beschluss des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes hat die FPÖ schweren Schaden für Armutsbetroffene angerichtet – diese Politik ist heuchlerisch und verlogen.
Aber auch die SPÖ stellte einen Misstrauensantrag, weil die Regierung keine Mietpreisbremse beschlossen hat. 
Maurer
Wir haben sehr darum gekämpft. Wir haben der ÖVP großzügigste Angebote gemacht, auch für ihre Zielgruppe, die Häuslbauer. Die ÖVP hat es trotzdem verweigert, und ich halte das für einen wirklichen Fehler. 
Inflationsanpassung der Notstandshilfe, Mietpreisdeckel, Millionärssteuer: Da kommen Sie mit der ÖVP nicht zusammen. Wie gut funktioniert Schwarz-Grün noch?
Maurer
Diese Koalition hat krisenreiche Jahre gut gemeistert und wird es auch weiterhin tun. Ich halte es für falsch, immer Punkte herauszugreifen, wo man unterschiedlicher Meinung ist, und zu sagen: Das ist das einzige, was zählt. Dass diese Regierung sehr viel auf den Boden gebracht hat, kann man auch an der Zahl der Gesetze, die wir beschlossen haben, sehen. Nichtsdestotrotz sind es zwei unterschiedliche Parteien und in manchen Punkten hat die ÖVP noch nicht den richtigen Weg gefunden. Aber die Zusammenarbeit funktioniert gut. 
Als Klubobfrau sitzen Sie im Maschinenraum der Koalition. Geben Sie uns einen Einblick: Was kommt noch bis 2024? 
Maurer
Wir haben natürlich noch viel vor. Energiegesetze, Klimaschutz und auch das Informationsfreiheitsgesetz wird bis zum Sommer fertig sein.
Die Länder werden sich nicht querlegen? 
Maurer
Was die Länder tun oder nicht tun, kann ich nicht prophezeien. Wir sind jedenfalls wild entschlossen, das Amtsgeheimnis abzuschaffen. 
Funktioniert das Koaltions-Tandem noch, das Sie mit Klubobmanns August Wöginger bilden?
Maurer
Ja. 
Wöginger gehört zu jenen in der ÖVP, die beginnen, sich die FPÖ schön zu reden und sich ihr annähern.
Maurer
Ich kann bei ihm keine Annäherung erkennen. Es stimmt, dass sie nicht ausschließen, mit der Kickl-FPÖ zu koalieren. Das halte ich für eine sehr schlechte Nachricht für das Land. Immerhin ist Karoline Edtstadler sehr klar in ihren Ansagen zur FPÖ, das begrüße ich. Aber es hat keinen Einfluss auf die Regierungsarbeit. Dass Kickl immer radikaler wird, halte ich für hochproblematisch. Das, was die Freiheitlichen insbesondere in Niederösterreich aufführen, das ist extrem unverantwortlich und menschenverachtend.
Was meinen Sie?
Maurer
Stichwort Waldhäusl, Stichwort Deutschpflicht am Schulhof. Das ist klassische freiheitliche Propaganda. 
Wie geht es den Besetzungen bei der Bundeswettbewerbsbehörde und beim Bundesverwaltungsgericht? 
Maurer
Beim Bundesverwaltungsgericht liegt das Ergebnis der Besetzungsommission vor, auch der Ministerratsvortrag liegt vor - die Zustimmung der ÖVP fehlt.
Ist der Grund für die unbesetzten Posten, dass es dazu einen Sideletter zwischen ÖVP und Grünen gibt, wer die Positionen besetzen darf?
Maurer
Nein. Es gibt einen Dreiervorschlag einer hochkarätig besetzten Kommission, vom VfGh-Präsidenten Grabenwarter über die OGH-Präsidentin Lovrek und dem renommierten ehemaligen Justizminister Jabloner, und aus dem muss ausgewählt werden.
Auch auf das Klimaschutzgesetz warten wir noch. Wo sind da eigentlich die Blockierer? 
Maurer
Man hat manchmal den Eindruck, da haben sich ein paar Wirtschaftskämmerer festgeklebt. Das fossile Denken ist nach wie vor vorhanden in Teilen der ÖVP. Aber das ist nichts Neues. Wir haben auch bisher Themen auf den Boden gebracht, bei denen es großen Widerstand gab: zum Beispiel das Klimaticket, den größten Bahnausbau, den es je gegeben hat, oder das Plastikpfand. 
Es sind aber noch einige Dinge offen: Das Energieeffizienzgesetz, das Vernichtungsverbot für Retouren und neuwertige Waren.
Maurer
Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz ist beschlossen und bereits in Kraft. Wir haben auch das Erneuerbaren-Beschleunigung-Gesetz, wo es vor allem darum geht, auch den Ländern auf die Sprünge zu helfen. Andere Gesetze liegen im Parlament und brauchen eine Zwei-Drittel-Mehrheit, und das verhandeln wir mit der SPÖ. 
Die SPÖ knüpft ihre Zustimmung zu Koalitionsprojekten allerdings an Maßnahmen gegen die Teuerung. Sie werfen ihr nun „Blockadehaltung“ vor. Sie könnten sich auch darüber freuen, dass Sie in den Verhandlungen mit der ÖVP nun ein neues Druckmittel von außen bekommen. 
Maurer
Es ist absolut unverantwortlich was die SPÖ hier ankündigt, legt aber offen dass es ihr eben nicht um die Sache sondern reine Parteitaktik geht. Die SPÖ glaubt, sie setzt damit die Bundesregierung unter Druck, aber in Wahrheit nimmt sie die Bevölkerung in Geiselhaft. Die Menschen sind die Leidtragenden, wenn die Abhängigkeit von Putin nicht durchbrochen wird, oder wenn Millionen an Steuergeld für Strafzahlungen verschwendet werden muss, weil das Energieeffizienzgesetz nicht beschlossen wird.
Der SPÖ-Konflikt birgt für die Grünen Chancen und Gefahren. Von der roten Selbstbeschädigung könnten die Grünen bei Wahlen profitieren. Gleichzeitig schwindet mit einer schwachen SPÖ die Chance für eine grüne Regierungsbeteiligung nach 2024. Was überwiegt bei Ihnen?
Maurer
Es schmerzt, diese Selbstzerfleischung zu beobachten. Was die Spekulationen über mögliche Mehrheiten betrifft, ist die Frage: Was kann man mit der Sozialdemokratie überhaupt umsetzen? Es ist lieb, wenn SPÖ-Nationalrätin Julia Herr irgendwelche Klimaschutz-Taferln in die Kameras hält, aber dann trotzdem jedes Mal mitstimmt, wenn versucht wird, die CO2-Bepreisung wieder abzuschaffen oder fossile Subventionen zu erhöhen. Wir wissen auch aus der Wiener Stadtregierung, dass es mit der Sozialdemokratie überhaupt nicht gegessen ist, dass man in den Klimafragen weiterkommt. In anderen Themenbereichen gibt es natürlich größere Schnittmengen. Aber die Wahl ist 2024, ich halte mich daher nicht mit solchen Spekulationen auf.
Mit wem aus dem roten Trio würden Sie denn am liebsten koalieren?
Maurer
Wir Grüne können uns nicht aussuchen, wer dort an der Spitze ist. Ich erwarte, dass egal, wer es wird, einen professionellen Zugang zur Verantwortung mitbringt.
Die Vorsitzende der SPÖ ist an sich gewählt, trotzdem muss sie sich diesem internen Wettstreit stellen. Haben Sie den Eindruck, dass es Frauen in der Politik schwieriger haben?
Maurer
In dieser Debatte gibt es starke sexistische Untertöne. Und auch Fragen, für die sich Pamela Rendi-Wagner rechtfertigen muss, die den männlichen Vorsitzenden nie gestellt wurden. 

„Die SPÖ glaubt, sie setzt damit die Bundesregierung unter Druck, aber in Wahrheit nimmt sie die Bevölkerung in Geiselhaft.“

Werner Kogler wird heuer 62. Wir wählen nächstes Jahr im Herbst. Wird er der nächste Spitzenkandidat?
Maurer
Werner Kogler ist der gewählte Bundessprecher, er ist jetzt Vizekanzler und wird unser Parteichef bleiben.
Werden Sie zur Verfügung stehen, wenn er irgendwann nicht mehr will?
Maurer
Wir haben viele fähige Menschen in der Partei. Ich bin an der Stelle, wo ich jetzt bin, sehr gut eingesetzt.
Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

war bis Oktober 2024 stv. Online-Ressortleitung und Teil des faktiv-Teams.

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.