Sigrid Maurer: "Was ist bitte die österreichische Kultur?"
profil: Sie machen einen gelösten Eindruck. Keine Spur von grüner Krise? Sigrid Maurer: Für mich ist es sehr gut gelaufen. Ich habe überraschend den dritten Listenplatz in Wien gewonnen, und mit der Rettung des Uni-Budgets ist mir ein großer Coup gelungen. Es ist natürlich eine heftige Zäsur, wenn die Parteichefin nach neun Jahren mitten im Wahljahr geht. Aber die Partei hätte man auch mit ihr neu aufstellen müssen. Das beschleunigt sich nun.
profil: Und Sie sind Pilz los, mit dem Sie sich so manches Wortgefecht lieferten. Maurer: Nicht wirklich. Das hätte vorausgesetzt, dass er mit mir gesprochen hätte.
profil: Sie haben im Parlament nie miteinander gesprochen? Maurer: Kaum. Ich habe das Gespräch auch nicht gesucht. Peter ist ein Populist, der egogetrieben sein eigenes Ding macht und nicht im Interesse der Partei handelte.
profil: Warum soll man die "neuen" Grünen wählen? Maurer: Weil wir uns als Einzige nicht am rechten Mainstream ausrichten. Weil wir als Einzige nicht sagen, wir sind eine Bewegung, sondern dazu stehen, eine klassische Partei zu sein, und weil wir als Einzige nachhaltige Umwelt-, Frauen- und Sozialpolitik machen, ohne von Schlagzeile zu Schlagzeile zu hecheln. Das kann man langweilig finden, aber die One-Man-Shows dieser Entertainer mit ihrer Schwarzweiß-Politik sind massiv demokratiegefährdend.
profil: Pilz mitgemeint? Maurer: Auch ihn könnte man als Entertainer verstehen.
profil: Kommt jetzt der schärfere Linkskurs, den Sie unter Glawischnig vermissten? Maurer: Wir ändern nicht den Kurs, sondern waren durch den langen Präsidentschaftswahlkampf stark gebremst. In diesem Wahlkampf werden wir ein klares Profil zeigen.
Auch Konservative haben ein Verständnis für Solidarität.
profil: Die Grünen fordern eine Erbschaftsteuer ab 500.000 Euro, eine Mietobergrenze von 7,50 Euro pro Quadratmeter und einen Mindestlohn von 1750 Euro. Damit überholen Sie die SPÖ links. Wie weit können Sie gehen, ohne ihre bürgerlichen Wähler zu vergraulen? Maurer: Auch Konservative haben ein Verständnis für Solidarität. Warum soll derjenige, der ein Haus erbt, das einfach so geschenkt bekommen? Und eine Arbeiterin, die nix erbt, zahlt auf alles Steuern?
profil: Billigere Miete, höhere Löhne: Die kleinen Leute müssten Ihnen die Türe einrennen. Das passiert aber nicht. Maurer: Die Verunsicherung der Menschen ist groß. Das ist das Ergebnis einer neoliberalen Gesellschaft, in der ein hoher Druck auf Einzelnen lastet und du immer nur selbst schuld bist, wenn etwas nicht klappt. Diese starke Entsolidarisierung merke ich sogar schon in der Studentengeneration. Manche wollen ihre Skripten gar nicht mehr herborgen. In diesem Zustand ist es leichter, populistische Lösungen wie "Mittelmeerroute schließen“ anzubieten.
profil: Sind die grünen Versprechen nicht ebenfalls populistisch und somit Beispiel für den von Pilz eingeforderten Linkspopulismus? Maurer: Wo ist Pilz bitte links? Nennen Sie mir eine einzige linke Forderung! Vor drei Jahren wollte er die grüne Volkspartei, vor zwei Jahren dann die grüne Linkspartei. Er orientiert sich daran, was gerade in ist.
profil: Ihr 28-jähriger Parteikollege Julian Schmid macht eine Schnupperlehre bei Betrieben wie Spar, Strabag und Porsche. Volksnah oder reine Show? Maurer: Das ist nicht nur Show, ich gehe davon aus, dass er wirklich was hackeln muss.
Ich bewege mich nicht nur in der Twitter-Politik-Blase oder dem 7. Wiener Bezirk.
profil: Kommt als Nächstes eine Schnupperwoche im Gemeindebau, um die Menschen besser zu verstehen? Maurer: Sie tun so, als lebten Grüne in einer Parallelwelt. Wir sind normale Menschen, mit normalen Familien und den üblichen Problemen. Ich bewege mich nicht nur in der Twitter-Politik-Blase oder dem 7. Wiener Bezirk.
profil: In Ottakring am Brunnenmarkt kosten 30 polnische Legebatterie-Eier 2,40 Euro. Sind öko und sozial nicht ein Zielkonflikt? Sollten die Eier bio und damit teurer werden? Maurer: Die Eier sollten bio und für alle leistbar werden - dafür braucht es höhere Einkommen.
profil: In Wien sind bereits mehr als die Hälfte der Mindestsicherungsbezieher Ausländer. Ist das kein Problem? Maurer: Es ist Realität, weil die anderen Bundesländer kürzen und die Flüchtlinge nach Wien treiben - und weil Wien generell eine extrem attraktive Stadt für Zuwanderer ist, aber nach wie vor sehr weiß, also kein Melting Pot wie London, Paris oder Brüssel. Die Mindestsicherung beträgt einen Bruchteil der Sozialausgaben.
profil: Sehen Sie nicht die Gefahr der Entsolidarisierung? Dass die einen irgendwann nicht mehr für die anderen zahlen wollen, weil der kulturelle Kitt fehlt? Maurer: Die Entsolidarisierung kommt in Wahrheit daher, dass die Menschen das Gefühl haben, auf dem absteigenden Ast zu sitzen und diesem enormen Druck ausgesetzt sind.
Wir haben kein Islamproblem, sondern ein Islamismusproblem.
profil: Wer sich abgesichert fühlt, akzeptiert auch Fremde eher? Maurer: Genau.
profil: Die Islamdebatte deutet auf eine Entfremdung der Kulturen hin. Maurer: Diese Debatte ist rassistisch. Hier wurden bewusst Ängste geschürt. Wir haben kein Islamproblem, sondern ein Islamismusproblem.
profil: Die Entwicklung in der Türkei zeigt, wie schwer die Trennlinie zu ziehen ist. Maurer: Was ich meine: Es ist Rassismus, pauschalierend zu sagen, die Muslime - oder wie manche Zeitung schreibt: "die Türken“ - sind unser Problem, aber über das mittelalterliche Frauenbild von erzkonservativen Katholiken reden wir nicht.
profil: Christen gehen dank Aufklärung viel entspannter mit religiösen Dogmen um als konservative Muslime. Maurer: Christen sind doch nicht per se entspannt. Das ist ein Blödsinn. Ich komme aus Tirol.
profil: Was wäre das grüne Narrativ, das die Gesellschaft im Einwanderungsland Österreich zusammenhält? Maurer: Dass man leben kann, wie man will. Als Schwuler ...
profil: … Muslim ... Maurer: Genau. Und dass alle die gleichen Chancen haben in der Schule, auf der Uni, im Job.
profil: Wie wichtig ist die österreichische Kultur als Klammer? Maurer: Was ist denn bitte die österreichische Kultur? Dass wir alle zu viel Schnitzel essen? Es gibt eine Verfassung, und an die haben sich ohnedies alle zu halten.
profil: Und die viel beschworenen Werte? Maurer: Die unterscheiden sich in der Lebensrealität kaum von muslimischen. Alle haben ihre Kinder lieb und wollen ein möglichst gelingendes Leben.
Ich habe Angst vor einer Entwicklung, bei der es an die Grundfesten unserer Demokratie geht.
profil: "Wir müssen ein positives Zukunftsbild für ein Leben ohne Angst schaffen.“ Mit dieser Rede haben Sie den dritten Listenplatz in Wien ergattert. Wovor haben Sie selbst Angst? Maurer: Vor Spinnen. Scherz. Ich habe Angst vor einer Entwicklung, bei der es an die Grundfesten unserer Demokratie geht. Bei der die FPÖ salonfähig ist, bei der rechtsextreme Mobs durch die Straßen rennen, ohne eingeschränkt zu werden, bei der demokratische Errungenschaften noch weiter abgebaut werden. Wenn wir nach Ungarn oder Polen schauen, müssen wir heute die Demokratie und ihre Institutionen an sich verteidigen. Das hätte ich mir vor drei Jahren nicht gedacht, und diese Herausforderung unterscheidet uns von der früheren Generation der Grünen.
profil: Verstehen Sie die Ängste vor einer zu großen Zahl junger, männlicher, kaum gebildeter Flüchtlinge aus Ländern mit archaischen Frauenbildern? Maurer: Die Debatte in diese Richtung ist aufgeheizt. Es wird völlig übertrieben und gehetzt, und ständig werden unwahre Dinge behauptet.
profil: Welche Dinge? Maurer: Dass es eine Zunahme an Vergewaltigungen gibt etwa.
profil: Die Fälle gab es ja tatsächlich. Maurer: Ja, es gibt sie, das darf man auch nicht ignorieren. Deshalb hab ich auch eine eigene Veranstaltungsreihe zum Thema Frauen und Islam gemacht. Aber ein sehr großer Teil der im Boulevard und im Netz behaupteten Fälle hat so nie stattgefunden. Es regt mich auf als Frau, dass mir Männer sagen, wie sehr ich mich fürchten soll.
Die patriarchalen Strukturen prägen natürlich, aber sie sind auch der Grund, warum viele geflüchtet sind
profil: Sie gehen wie früher allein durchs nächtliche Wien oder joggen abends durch den Prater? Maurer: Ich habe mich noch nie gefürchtet. Man muss die Burschen aufklären. Ich begleite selbst einen 20-jährigen Afghanen. Die patriarchalen Strukturen prägen natürlich, aber sie sind auch der Grund, warum viele geflüchtet sind.
profil: Auf ihrem Facebook-Profil steht weiterhin: "Refugees welcome - kein Mensch ist illegal." Soll jeder, der es nach Österreich schafft, bleiben dürfen? Maurer: Ein Flüchtling ist ein Mensch. Kein Mensch kann illegal sein, weil er ein Recht zu leben hat. Wir müssen Fluchtursachen durch Entwicklungshilfe und Klimaschutz bekämpfen. Bis dahin müssen wir denen, die kommen, helfen und sie arbeiten lassen.