Gesundheitsminister Johannes Rauch
Interview

Sind Sie zusatzversichert, Herr Gesundheitsminister Rauch?

Im profil-Interview warnt Gesundheitsminister Johannes Rauch von den Grünen vor Spitals-Schließungen und diagnostiziert eine „inferiore“ Personalsituation. Nur: Was will er dagegen tun?

Drucken

Schriftgröße

Sind Sie zusatzversichert?
Rauch
Nein. Bewusst nicht. Ich will das öffentliche Gesundheitssystem in Anspruch nehmen und wissen was ich geboten kriege – oder eben nicht.
Welche Erfahrungen machen Sie?
Rauch
Ich habe eine schwere Krebserkrankung ohne Zusatzversicherung absolviert. Meine Erfahrungen waren exzellent, aber das ist eine Zeit her.
40 Prozent der Österreicher haben eine Zusatzversicherung. Geht es dem es dem öffentlichen Gesundheitssystem so schlecht?
Rauch
Wir haben ein gutes Gesundheitssystem, das auch viel Geld kostet. Aber wir haben in manchen Bereichen Unterversorgung, etwa bei Kassenärzten.
In der Frauen- und Kinderheilkunde bekommt man ohne Zusatzversicherung kaum einen Termin.
Rauch
Ich weiß. Meine Frau war praktische Ärztin in der 50.000-Einwohner-Stadt Dornbirn. Sie und zwei weitere praktische Ärzte sind letztes Jahr in Pension gegangen, niemand fand Nachfolger. Wir müssen die Arbeitsbedingungen für Allgemeinmediziner attraktiveren. Das ist Sache der Krankenkasse und der Ärztekammer, die diese Verträge verhandeln. Das ist mein Leben und Leiden …
…dass Sie viele Verhandlungspartner haben, aber wenig Zuständigkeiten.
Rauch
Ich bin hundert Prozent für alles verantwortlich, aber in vielen Bereichen nur zu zehn Prozent zuständig. Aber ich habe den Hebel Finanzausgleich. Diesmal gibt es nur mehr Geld, wenn Ziele verbindlich festgelegt werden.
Wie dramatisch ist die Lage in den Spitälern?
Rauch
In manchen Spitälern gibt es akut Mangelerscheinungen. Der Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist überhaupt inferior. Die Frage ist: Wie kann rasch Abhilfe geschaffen werden? Entlastung der Spitäler wird es nur geben, wenn der niedergelassene Bereich ausgebaut wird. Und wenn wir diesen Zug zur Wahlarztordination einbremsen – trotz der Aufschreie, dass man nicht einschränken dürfe, weil das sei freies Unternehmertum.
Ist Gesundheit ein Markt?
Rauch
Nein, da bin ich strikt dagegen, es gibt eine Verpflichtung der öffentlichen Hand, die Versorgung der Menschen zu gewährleisten.
Sie wollen Wahlarztpraxen unattraktiver machen, indem sie ans E-Card-System angeschlossen werden. Reicht das wirklich?
Rauch
Nicht allein. Es braucht die Attraktivierung der Kassenarztstellen und ein Einhegen der Wahlärzte. Und dafür gibt es mehrere Ideen: Wahlärzte sollen an die elektronische Gesundheitsakte angebunden werden und jenen Teil des Honorars, den die Patienten von der Kasse erstattet bekommen, automatisch mit der Kasse abrechnen – das ist der Sinn der E-Card-Anbindung.
Sollen Ärzte verpflichtet werden, nach dem Medizinstudium in einer Kassenordination zu arbeiten?
Rauch
Mit Zwang bin ich vorsichtig, da erreicht man oft das Gegenteil. Wo ich schon ein Thema sehe: Wie viele Spitalsärzte haben wir, die nebenher eine Wahlarztpraxis betreiben und finanziell davon profitieren, dass sie Privatpatienten behandeln? Das Problem ist: Ich weiß nicht einmal, wie viele Ärzte das sind. Ich versuche das gerade herauszufinden.
Und dann denken Sie an Einschränkungen?
Rauch
Wenn ich die Daten habe, kann ich mir schon vorstellen zu sagen: Das geht sich so nicht aus, das müssen wir regeln, denn wir haben eine Mangelerscheinung im niedergelassenen Kassenbereich.
Es gibt ja genügend Ärzte. Wo sind die?
Rauch
Wir bilden in Österreich seit 15 Jahren immer dieselbe Anzahl an Ärzten aus. Wo wir einen wirklichen Mangel haben, ist im öffentlichen Gesundheitsdienst, im niedergelassenen Bereich und in einzelnen Fächern. Dort anzusetzen, halte ich für notwendig. Beim Bundesheer gibt es beispielsweise ein Projekt, wo Medizinstudenten einen privilegierten Zugang zum Studium bekommen, wenn sie sich verpflichten, eine gewisse Zeit dort tätig zu sein. Ein solches Modell für den öffentlichen Gesundheitsdienst könnte ich mir vorstellen.
Zu viele Patienten strömen in die Spitalsambulanzen. Muss man steuernd eingreifen?
Rauch
Dazu eine Episode: Ich bin immer wieder bei Rettungsorganisationen zu Besuch. Als ich zuletzt in der Leitstelle war, kamen vier Anrufe – davon drei Kleinigkeiten wie ein eingewachsener Zehennagel. Die Rettung kommt und führt den Patienten automatisch ins Spital. Da brauchen wir am Beginn der Alarmierungskette Profis, die einschätzen, wie ernsthaft der Fall ist – und ob der Patient wirklich ins Spital muss.
Im Spital wird man behandelt – bei Ärzten gibt es oft keinen Termin.
Rauch
Deshalb braucht es mehr Primärversorgungszentren. Und zwar ohne Vetomöglichkeit der Ärztekammer, sie kann das nicht mehr verhindern. Das Gesetz wird mit 1. Juli in Kraft treten.
Bis 2021 sollte es 75 dieser Zentren geben. Tatsächlich gibt es bisher nur die Hälfte.
Rauch
Seit das Gesetz in Begutachtung ist, geht da viel weiter. Das ist nicht aufzuhalten. Die jungen Ärzte wollen anders arbeiten – im Team mit anderen Professionen wie Sozialarbeitern und Pflegern. Wichtig ist, was Patienten nützt: längere Öffnungszeiten, klare Vertretungen bei Urlauben, gesicherte Qualität durch verschiedene Fachrichtungen. Und vor allem: Wer dort hin geht, braucht die E-Card – aber nicht die Kreditkarte.

Die Schnittstelle Pflege-Spital funktioniert nicht: Es ist evident, dass es Menschen gibt, die keinen Platz im Pflegeheim haben und deshalb im Spital liegen.

Johannes Rauch, Gesundheitsminister

Woher kommt der Mangel im niedergelassenen Bereich?
Rauch
Eigendynamiken entstanden entlang von Finanzierungs-Schützengräben. Jede Organisation sitzt in ihrem Budgetfinanzierungs-Graben und schaut keinen Millimeter darüber hinaus. So wird das System teuer und ineffizient. Dazu funktioniert die Schnittstelle Pflege-Spital nicht: Es ist evident, dass es Menschen gibt, die keinen Platz im Pflegeheim haben und deshalb im Spital liegen.
Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker wirft Ihnen vor, dass Sie viel reden, aber wenig tun.
Rauch
Schöne Grüße an den Stadtrat Hacker. Finanzausgleichsverhandlungen führe ich vor allem mit den Landeshauptleuten. Es gibt weit fortgeschrittene Verhandlungpapiere mit weitreichenden Reformvorschlägen.
Bei Landtagswahlen wurden Landeshauptleute abgestraft, macht das die Verhandlungen leichter?
Rauch
Wenn es darum geht, mehr Geld zu bekommen, sind sich die Länder sehr rasch einig. Aber: Wir waren noch nie so weit wie jetzt. Alle Beteiligten erkennen: Wir brauchen Reformen, wir müssen den niedergelassenen Bereich stärken und das Gesundheitssystem digitalisieren. Sonst geht es sich ökonomisch nicht mehr aus.
Mehr niedergelassene Ärzte werden seit Jahrzehnten gefordert – vergeblich. Warum soll das jetzt gelingen?
Rauch
Alle Gesundheitsminister hatten das Ziel – aber wenn es nicht im Finanzausgleich festgeschrieben ist, wird das nichts. Darum will ich das Zeitfenster der Finanzausgleichs-Verhandlungen nutzen. Bis Ende Juni sollte die politische Einigung stehen, bis Oktober dann die Bund-Länder-Vereinbarung legistisch formuliert und dann beschlossen werden. Das ist der Fahrplan, den ich im Kopf habe.
Wie viel mehr Geld soll es für den niedergelassenen Bereich geben?
Rauch
Bei Gesprächen übers Geld sind wir noch nicht angelangt. Aber klar ist: Es braucht etwa 500 zusätzliche Stellen im Kassenarzt-Bereich.
Wie groß ist die Lücke beim Pflegepersonal?
Rauch
Das ist unser größtes Problem. Die Regierung hat bereits einiges gemacht: Etwa Zuschüsse bei Gehältern, 600 Euro Zuschuss bei der Ausbildung, 1400 Euro Zuschuss bei der berufsbegleitenden Ausbildung. Das funktioniert, die Nachfrage nach dem Pflegeberuf steigt. Aber das reicht nicht. Wir werden aktive Anwerbung von qualifiziertem Personal aus dem Ausland brauchen.
Befördert das brain drain?
Rauch
Die Sorge gibt es: Ich hatte neulich eine intensive Diskussion mit dem ukrainischen Gesundheitsminister, der Bedenken hat, dass der Ukraine die Leute fehlen, die wir anwerben. Darum bin ich so erpicht darauf, Anwerbungen auf Augenhöhe zu machen. Und Österreich darf natürlich auf keinen Fall Menschen abschieben, die wir brauchen. Fälle wie jene der indischen Familie sind jenseitig.
Sie sagten, das System fährt gegen die Wand, wenn keine Reform gelingt. Ist es so schlimm oder übertreiben Sie, um bei den Verhandlungen Druck zu machen?
Rauch
Ich sehe das wirklich so. Daher investiere ich extrem viel Zeit und Energie in die Verhandlungen. Gewinnen kann ich damit eigentlich nichts: Der Finanzausgleich interessiert die Patienten nicht. Aber wenn wir jetzt nichts machen, dann kommt es in fünf Jahren zu brutalen Einsparungen, zu Spitals-Schließungen und Kürzungen im Gesundheitssystem. Das will ich nicht. Auch die Zwei-Klassen-Medizin darf sich nicht weiter verschärfen, sonst landen wir bei Verhältnissen wie in Großbritannien, wo Zahnärzte so teuer sind, dass sich Menschen mit Klebstoffen selbst die Zähne reparieren. Oder man in der Ambulanz 48 Stunden wartet. Das wird nicht passieren. Den Bundesländern ist bewusst, dass es ohne Reformschritte nicht gehen wird.
Was machen Sie, wenn Sie die Reform nicht schaffen?
Rauch
Noch bin ich bei meiner Zuversicht und glaube, dass es möglich sein wird. Aber wenn ich es nicht schaffe, reihe ich mich ein in die Legion von Vorgängern, die es auch nicht geschafft haben. Das würde mich extrem schmerzen. Nicht weil ich eitel bin, das ist mir wurscht. Aber weil ich es für einen fulminanten Schaden für das Gesundheitssystem hielte.
Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.