Skispringen im Kalten Krieg: Konflikte zwischen Österreich und der DDR
Nach 13 langen Jahren konnten die deutschen Fans endlich wieder über einen Sieg jubeln. Am Dienstag der Vorwoche gewann der Bayer Severin Freund den ersten Bewerb der Vierschanzentournee, das Skispringen in Oberstdorf. Der Wind habe ihm sicherlich geholfen, erklärte Freund nachher bescheiden – und konnte sein Glück kaum fassen: „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Der letzte Deutsche, dem ein Auftaktsieg bei der Vierschanzentournee gelungen war, hieß Sven Hannawald. Im Jahr 2001 hatte er – als bisher einziger Athlet – alle Teilbewerbe der Tournee gewonnen. Im Jahr darauf siegte der gebürtige Ostdeutsche in Oberstdorf und wurde Zweiter in der Gesamtwertung.
Hannawalds DDR-Herkunft war damals kein Thema mehr. Politik spielt im Skispringen überhaupt kaum noch eine Rolle. In den Anfangsjahren der Vierschanzentournee war das anders. Vor allem im sonst so harmonischen Verhältnis zwischen der DDR und Österreich sorgte das Sportereignis für mitunter heftige diplomatische Kontroversen. Der österreichische Historiker Maximilian Graf hat diesem fast vergessenen „Kalten Krieg am Bergisel“ eine neue Studie*) gewidmet.
Streit um DDR-Fahne
Die Vierschanzentournee im Jahr 1959/60 lieferte wegen der kurz zuvor eingeführten neuen DDR-Fahne – schwarz-rot-gold mit den Symbolen Hammer und Zirkel im Ährenkranz – einen Skandal. Zunächst nahmen die DDR-Sportler mit dem zweifachen Titelverteidiger Helmut Recknagel an der Spitze an den beiden Bewerben in Oberstdorf und Garmisch nicht teil, weil dort keine Flaggen – also auch nicht die neue der DDR – gehisst wurden. Aber bei den Bewerben in Innsbruck und Bischofshofen wollten die ostdeutschen Sportler an den Start gehen. In der DDR ging man davon aus, dass im neutralen Österreich das Hissen der DDR-Fahne erlaubt sein werde.
Die österreichische Bundesregierung wollte aber der Tiroler Landesregierung keine diesbezügliche Weisung erteilen, „da Österreich keine Beziehungen zur DDR unterhält“. Der damalige Außenminister Bruno Kreisky merkte an, „dass das Hissen der Staatsflagge der DDR zu äußerst peinlichen Verwicklungen führen“ könnte. Er schlug die Zulassung der gesamtdeutschen Olympiaflagge oder nur der Fahnen Österreichs und Tirols vor. Sollten die ostdeutschen Funktionäre nicht zustimmen, möge man sie ruhig nach Hause fahren lassen, grummelte Kreisky.
Als die DDR-Sportler in Innsbruck tatsächlich vor dem Bewerb ihre Koffer packten, jubelte die „Arbeiter-Zeitung“ in Wien über die gelungene Abwehr „der Provokation der ostdeutschen Kommunisten“. In Ost-Berlin aber fragte das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ auf der Titelseite, ob Innsbruck nun zu Bonn gehöre. Bei einem Hallenhandball-Bewerb in Kopenhagen sei soeben die DDR-Fahne ohne Probleme aufgezogen worden.
Ein Jahr später gaben die DDR-Sportfunktionäre nach und akzeptierten die Regelung, dass in allen Skisprung-Stadien der Tournee nur die Fahne des Veranstalterlandes und jene der vier veranstaltenden Skiklubs wehen durften. Bei den Olympischen Winterspielen 1964 in Innsbruck traten Ost- und Westdeutschland als gesamtdeutsche Mannschaft an. Das Team der Skispringer bestand ausschließlich aus DDR-Athleten. Sie erreichten aber nur den vierten Platz.
Suspekte Mehrfachsiege im Rodeln
Nach 1972 kam es in Folge des deutsch-deutschen Grundlagenvertrags auch zur formellen Anerkennung der DDR durch Österreich. Doch im sportlichen Bereich warfen österreichische Funktionäre den staatlichen Verbänden der DDR unsauberen Wettbewerb vor. Suspekt erschienen vor allem die Mehrfachsiege im Rodeln. Der Innsbrucker Bürgermeister Alois Lugger drohte DDR-Trainern einmal leicht illuminiert an, er werde ihnen einen der geheimnisvollen Rennschlitten stehlen.
Unter der Leitung von Baldur Preiml gelang österreichischen Skispringern wie Toni Innauer und Karl Schnabl ein Vordringen zur Weltspitze. Angeblich hatte Preiml DDR-Fachbücher und ostdeutsche Psycho-Tricks studiert und in neue Ausrüstung (Ski, Schuhe und Anzüge) investiert, „um die DDR-Übermacht zu brechen“ (Preiml).
Bei den Olympischen Spielen 1976 in Innsbruck durfte zwar neben der deutschen Fahne auch jene der inzwischen ebenfalls von Österreich anerkannten DDR aufgezogen werden, doch es kam wieder zum Eklat: Schon bei der vorherigen Vierschanzentournee hatte der DDR-Springer Jochen Danneberg den mannschaftlich überragenden Österreichern den Gesamtsieg weggeschnappt. Nun gab es für die DDR an der kleinen Schanze in Seefeld Gold und Silber und nur Bronze für den Österreicher Karl Schnabl. Heftige patriotische Aufwallungen beim zweiten Bewerb auf der Bergisel-Schanze waren die Folge. Die „Tiroler Tageszeitung“ schrieb gar von einer „letzten Schlacht am Bergisel“. Das Publikum pfiff jeden einzelnen DDR-Springer gnadenlos aus. Die Goldmedaille gewann Karl Schnabl, Silber holte Toni Innauer, für die DDR gab es nur Bronze. Olympiasieger Hans-Georg Aschenbach, der auf dem Bergisel leer ausging, schrieb in seinen Memoiren von einem „Psychokrieg“ in Innsbruck. „Wenn wir auf der Großschanze wieder gewonnen hätten, dann wäre das Ganze möglicherweise politisch eskaliert. Ich bin mir nicht sicher, ob wir nach einem Doppelsieg damals heil aus der Anlage herausgekommen wären.“
Für zusätzliche Aufregung sorgten die beiden Sprungrichter aus Österreich und der DDR, die konsequent nur für die Athleten aus der eigenen Heimat votiert hatten. „Die Eingriffe des imperialistischen Klassengegners richteten sich insbesondere gegen die DDR“, klagten ostdeutsche Politfunktionäre.
Als dann noch der Nordische Kombinierer Claus Tuchscherer nach den Olympischen Spielen nicht mehr zurück in die DDR reisen wollte, witterten die SED-Politiker erst recht Verrat. Tuchscherer fuhr nach massivem Druck der Stasi schließlich doch nach Hause. Etwas später durfte er aber zur Hochzeit mit einer Österreicherin ausreisen. Offenbar war damals auch der diplomatische Druck aus Wien erfolgreich gewesen. Der Vorwurf, er habe Sportspionage betrieben, sollte den Athleten aber noch viele Jahre lang verfolgen.
Tuchscherer bekam die österreichische Staatsbürgerschaft, wechselte zum Skispringen und nahm 1980 an den Olympischen Spielen in Lake Placid für Österreich teil. Dort sorgte er für Toni Innauers Sieg auf der Kleinschanze – zumindest indirekt. Innauer verwendete eher zufällig Tuchscherers Schuhe und flog mit ihnen zur Goldmedaille. Innauer: „Erst mit diesen Schuhen, die weder ausgereift noch im Ski-Pool waren, bekam ich jenes sensible Gefühl für die Luftfahrt, das ich brauchte, um meine Goldmedaille gewinnen zu können.“