Wenn es jemand aus militärischer Sicht beantworten kann, dann ist das Bruno Hofbauer. Er ist für alle Großinvestitionen im Verteidigungsressort zuständig, und seit einigen Tagen ist die Einkaufsliste länger geworden: ÖVP und Grüne kündigten zuletzt im Ministerrat an, Langstreckenraketen kaufen zu wollen. Dabei hatte die Öffentlichkeit weder sicherheitspolitisch noch finanziell mit so einer Entscheidung gerechnet.
Die militärische Ebene
Derzeit ist Hofbauer aber ohnehin mit anderen Vorhaben beschäftigt. Um zu wissen, was Österreich braucht, muss man zuerst das Prinzip von Sky Shield verstehen: Es ist nicht ein großer Schirm, der über alle Teilnehmer aufgespannt wird. Die Länder sollen ihre eigenen kleineren und größeren Schirme haben. Gemeinsam ergeben sie eine Schutzschicht. Kooperiert wird beim Einkauf, Austausch von Daten und bei der Ausbildung. Seit Jahrzehnten wird der Luftraum nicht mehr nur durch Kampfflieger bedroht, die Bomben abwerfen. Die Gefahr droht auf mehreren Höhen und mit verschiedenen Waffen.
Daher gibt es die Schirme, erklärt Hofbauer, auch in unterschiedlichen Spannweiten: Fünf Kilometer und 15 Kilometer sind die kleinsten. Mit diesen Kanonen oder Raketen will man schnell auf tiefer fliegende Bedrohungen reagieren. Das Heer schließt bald die ersten Planungsschritte für die Schirme mittlerer Reichweite bis zu 50 Kilometer ab. Frühestens in drei Jahren wird es sie in Österreich geben. Und dann sollen eben irgendwann auch die größten Schutzschirme mit einer Reichweite von mehr als 50 Kilometer aufgespannt werden. Damit wäre das Land zum Beispiel in der Lage, mit Lenkwaffen gegen ballistische Raketen vorzugehen, also letale Waffen, deren Flugbahn eine Wurfparabel beschreibt.
Österreich bereitet also riesige Rüstungsgeschäfte vor: Langstreckenraketen haben ihren Preis, und die Regierung ist gerade erst dabei, ihn zu definieren. Tanner kündigte im Parlament an, ein Vorbelastungsgesetz vorzulegen. Mit einem solchen Beschluss erlaubt der Nationalrat langfristige Investitionen, die über den aktuellen Finanzrahmen hinausgehen. Dass SPÖ, FPÖ und NEOS von den Plänen aus den Medien erfahren haben, erhöht nicht gerade die Akzeptanz. Alle drei Parteien fordern eine stärkere Einbindung in den Prozess. Nicht nur beim Einkauf der Langstreckenraketen, sondern bei „Sky Shield“ allgemein.
Die innenpolitische Ebene
Selbst der Koalitionspartner, die Grünen, würde sich eine stärkere Einbindung des Parlaments wünschen. „Sie findet zu wenig bis überhaupt nicht statt“, sagt der grüne Wehrsprecher David Stögmüller. Daher habe er – wie die anderen Wehrsprecher – eine Einladung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka für eine öffentliche Diskussion abgelehnt. „Wir empfinden, dass es zuerst eines ausführlichen Gesprächs mit der Ministerin und der Opposition über die aktuellen Pläne bedarf sowie eines klaren innerkoalitionären Fahrplans“, teilte er Sobotka via E-Mail mit.
Im Büro von Verteidigungsministerin Tanner beteuert man, alle Informationen mit den Abgeordneten zu teilen. Viele Details zum Schutzschirm seien aber noch offen. Die offizielle Zusammenarbeit bei Sky Shield beginnt für Österreich gerade. Im Sommer hat Tanner einen „Letter of Intent“ unterschrieben, also eine Absichtserklärung zur Teilnahme. Hofbauer betont, unabhängig von der innenpolitischen Debatte: Dieses Dokument „hat uns überhaupt erst die Türen geöffnet, dass wir als Partner ernst genommen und in den Klub der Interessierten aufgenommen werden“.
Die europäische Ebene
Man darf den Wunsch nach Transparenz auch nicht mit einer Ablehnung von Sky Shield verwechseln. Die Grünen sprechen sich klar dafür aus, genauso wie die NEOS. SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer hätte sich gewünscht, im Vorfeld mehrere Optionen zu prüfen. Dezidiert dagegen ist nur die FPÖ, für sie ist es ein reines NATO-Bündnis, das gegen die Neutralität verstößt. Immerhin habe Deutschland die Initiative gestartet und weitere NATO-Mitgliedstaaten unter seinem Schirm versammelt.
Tatsächlich wird Deutschlands Initiative in manchen anderen EU-Ländern mit Skepsis beäugt. Vor allem, wenn sie eigene Rüstungsinteressen verfolgen. Frankreich beteiligt sich an Sky Shield beispielsweise nicht und baut seinen eigenen Schutzschirm aus. Ein gemeinsames EU-Projekt, völlig losgelöst von der NATO, war schon bisher unwahrscheinlich, wird durch die Sky Shield aber de facto unmöglich.
Wenn sich europäische NATO-Staaten gemeinsam mit neutralen Ländern zusammenschließen, ergibt das aber noch lange kein NATO-Bündnis. Walter Obwexer, Völkerrechtsexperte an der Uni Innsbruck, hat im Vorjahr mit seinem Juristen-Kollegen Stefan Griller ein Gutachten zur Luftraumüberwachung erstellt. „Solange es bei Sky Shield um die gemeinsame Beschaffung, Wartung, Schulung und Ausbildung von Abwehrsystemen geht, ist es neutralitätskonform“, sagt er zu profil. „Österreich dürfte nur keine Vereinbarung unterschreiben, dass sich Sky-Shield-Staaten gegenseitig schützen. Daran wird aber nicht gedacht.“ Der Oberbefehl müsste also bei Österreich bleiben. Und Klaudia Tanner weiterhin ständig erreichbar sein.