So wird der Wien-Attentäter in Dschihadisten-Chats glorifiziert
Die Dschihadisten sind gewarnt: Sie wissen, dass ihnen hunderte Geheimdienstmitarbeiter aus ganz Europa nachspüren, sie ahnen, dass jedes Mitglied ihrer Chatgruppen ein getarnter Spion der Behörden sein könnte. Die IS-Anhänger verlagern ihre Kommunikation daher in geschlossene Gruppen mit einer Handvoll Mitgliedern, sie wechseln regelmäßig die Plattformen und verwischen so ihre digitalen Spuren.
Wer in die Gruppen aufgenommen werden will, muss glaubhaft versichern, ein Gleichgesinnter zu sein. Das erfordert profunde Islamkenntnisse – und eine gute Tarnung. profil konnte nun Einblick in die geschlossenen Propaganda-Kanäle europäischer IS-Anhänger nehmen, in denen sie abwechselnd auf Arabisch und Englisch kommunizieren. Dort zeigt sich, wie die Islamisten den Wiener Anschlag feiern, wie sie versuchen, den feigen Attentäter zum Helden umzudeuten – und wie sie gegen einen muslimischen Helfer der Terrornacht hetzen, der es wagte, einem Verwundeten zur Hilfe zu eilen.
Experten sind sich einig: die digitalen Kanäle von IS-Sympathisanten reichen zwar nicht aus, um aus einem religiösen Jugendlichen einen fanatischen Attentäter zu formen. Doch die Chats können einen erheblichen Anteil zur Rekrutierung, Radikalisierung und Vernetzung von Extremisten leisten. Das Verbrechen des 2. November schlachtet man propagandistisch aus: In einem Sujet aus den IS-Chats, das profil vorliegt, wird K.F. als „Löwe des Kalifats“ bezeichnet, der den „Kontinent Europa terrorisiert“, als „Märtyrer, der furchtlos, rebellisch und siegreich das Versprechen von Allah verkündet“ und eine „ehrvollen Tod starb“. K.F. wird dabei gezeigt, wie er mit seinen Waffen posiert, in den Hintergrund wurden Szenen seines Anschlags retuschiert. Dann rufen die Islamisten direkt zu weiteren Attentaten auf: „Steh auf und statuiere ein Exempel an den Anbetern des Kreuzes, dann steige als Märtyrer auf.“ Und: „Stirb als Märtyrer und besiegle dieses Leben um Allahs willen. Möge Allah dich anlächeln.“
Neben all dem Aufwiegeln wird in den Chats aber auch ein Kommunikationsproblem der Islamisten sichtbar. Der Zufall wollte es, dass beim Wiener Attentat drei muslimische Burschen zu Helden wurden, weil sie am Schwedenplatz ihr Leben riskierten, um anderen zu helfen.
Drei Muslime, die sich dem islamistischen Terror entgegenstellen? Das passt so gar nicht in die Propaganda der Dschihadisten, die einen Keil zwischen Muslime und Nichtmuslime treiben wollen. In den Chatgruppen hetzen sie mit einem Sujet gegen einen der drei Helden – und zeigen sein Foto. Darunter ist auf Arabisch zu lesen: „Das ist ein Araber, der mit den Ungläubigen gemeinsam fehlgeleitet ist.“ Über das Bild des jungen Mannes wurde eine zerschlagene Fensterscheibe retuschiert – eine eindeutige Gewaltanspielung. Neben dem Helfer der Terrornacht ist der bewaffnete Attentäter K.F. zu sehen. Darunter die Zeile: „Das ist der Albaner, der die Ungläubigen bezwingt“. profil leitete das bedrohliche Propaganda-Sujet bereits vor Veröffentlichung dieses Artikels an den betroffenen Helfer weiter. Er steht dazu bereits mit der Polizei in Kontakt. Die Bildsprache der islamistischen Sujets, die auch Gewaltszenen der Terrornacht enthalten, veröffentlicht profil bewusst nicht.
Vor seinem Tod war der Attentäter K.F. laut bisherigem Ermittlungsstand selbst bei Telegram aktiv, um sich mit anderen Fanatikern zu vernetzen. Aber nicht nur dort dürfte seine Radikalisierung stattgefunden haben: im Netz fand er frei zugängliche Seiten, die ihm ideologisch zusagten, etwa das deutschsprachige Salafisten-Portal „Im Auftrag des Islam“. Laut K.F.s Betreuer vom Deradikalisierungsverein Derad bezog sich der spätere Attentäter immer wieder auf Inhalte des Portals.
Und die sind äußerst fragwürdig: In den Videos von „Im Auftrag des Islam“ werden Wahlen und Demokratie als „Kuffr“ (ungläubig, Anm.) verteufelt. Auch zu aktuellen Themen wie den Mohammed-Karikaturen beziehen die Online-Prediger Stellung und attackieren Frankreichs Präsident Emanuel Macron. Hinter der Website stehen laut dem deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Personen, die mit der 2001 verbotenen Organisation „Kalifatstaat“ in Verbindung stehen. „Solche Gruppierungen verpacken ihre Online-Auftritt oft unter unscheinbaren Namen“, meint der Islamwissenschafter Rami Ali. Dadurch sei man für eine größere Anzahl an Muslimen empfänglich. Die Organisation agiere laut Ali jedoch „sektenartig.“ Gegen einen Protagonisten der Seite, der sich als „Furkan bin Abdullah“ nennt, ermittelt seit kurzem die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt wegen Verhetzung.
„Die Betreiber präsentieren ihre ideologischen Inhalte ‚jugendaffin‘ aufbereitet und vermeintlich theologisch fundiert“, heißt es seitens des BfV gegenüber profil. Es sei deshalb „realistisch, dass die Internetplattform bei islamistischen Akteuren, wie zum Beispiel dem Attentäter von Wien, Zuspruch findet, wenngleich sie auch nicht zur alleinigen Radikalisierung im Hinblick auf die Durchführung eines islamistisch motivierten Anschlags ausreichend zu sein scheint.“