Interview

Sobotka: „Ich würde unter einem Kanzler Herbert Kickl nicht zur Verfügung stehen“

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) ist gegen vorzeitige Neuwahlen und schließt die SPÖ unter dem „strammen Linken“ Babler als Koalitionspartner nicht aus. Warum er Zitieren aus Akten verbieten und das Informationsfreiheitsgesetz beschließen will.

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Sie haben im November die Sicherheitszone zwischen Süd- und Nordkorea besucht. Wie haben Sie die Gegend erlebt?
Sobotka
Ich kann mich noch gut an den Eisernen Vorhang erinnern. Daher war für mich die Korea-Grenze bedrohlich und unwirklich.
 Was erinnerte Sie dort an Andreas Babler?
Sobotka
Irgendwann war eine SPÖ-Delegation in Nordkorea, sonst sehe ich keinen Bezug.
 ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker sagt: Der Weg von Süd- nach Nordkorea wird von Babler beschritten. Sind solche überzogenen Vergleiche sinnvoll?
Sobotka
Ich will nicht Schiedsrichter spielen. Der Generalsekretär meint wahrscheinlich den Weg von der freien Marktwirtschaft zur marxistischen Wirtschaftsordnung, die noch nie Erfolg hatte. Es braucht in der Politik eine Wortwahl, die natürlich inhaltliche Schärfe haben kann, aber persönlich respektvoll und nicht despektierlich sein darf. An Stockers Aussage sehe ich nichts Despektierliches.
 Wie würden Sie Andreas Babler beschreiben?
Sobotka
Er bezeichnet sich selbst als Marxist. In Europa reichen Sozialdemokratien von eher rechts in Dänemark bis eher links in Portugal. Früher attestierte man bürgerlichen Parteien, dass ihr Spektrum weit ist und sie dadurch wenig Profil haben. Diese Suchphase durchläuft jetzt die Sozialdemokratie.
Sie waren bei Wahlen Beisitzer. Wurde je das Ergebnis vertauscht?
Sobotka
Als Beisitzer bei Gemeinderatswahlen hätte mir das nicht passieren können, weil die Stimmen in Stapeln nebeneinandergelegt werden und man sieht, wie hoch die Stapel sind. Dass Stimmzettel vertauscht werden, man neu auszählen muss, das habe ich schon erlebt, ein vertauschtes Ergebnis aber noch nie. So ein Vorgang erschüttert insgesamt das Vertrauen in die Demokratie.
Sie hatten als Innenminister auch Probleme mit Wahlen.
Sobotka
Das ist nicht vergleichbar. Ein Unternehmen, und damit auch wir, hatte das Problem, dass der Klebstoff bei den Kuverts bei der Bundespräsidentenwahl nicht funktionierte.
 Nach all den Pannen: Wäre E-Voting besser?
Sobotka
Zumindest bei Abstimmungen im Nationalrat schon. Es ist nicht manipulierbar, man kann sich nur mit einem Code einloggen. Ich bin sicher, dass E-Voting im Parlament irgendwann kommt.
Bei Nationalrats- oder Landtagswahlen auch?
Sobotka
Da bin ich skeptischer. Denn etwa zehn Prozent der Bevölkerung wären technologisch nicht dabei und damit faktisch ausgeschlossen. Außerdem gibt es schon bei der Briefwahl teilweise Bedenken, dass das Wahlgeheimnis nicht gewahrt ist, das wäre bei E-Voting noch gravierender. Drittens ist angesichts der Cyber-Crime-Situation E-Voting zu unsicher.
Reizt es die ÖVP, angesichts der Probleme der SPÖ vorzeitig in Neuwahlen zu gehen?
Sobotka
Als Nationalratspräsident habe ich das Anliegen, dass man die Legislaturperiode durchdient, weil das vertrauensbildend ist.
Seit 2013 hielt keine Regierung die ganze Legislaturperiode durch.
Sobotka
Es schaut aber so aus, dass die beiden Regierungsparteien den Willen haben, durchzuhalten. Wenn Sie mich als ÖVP-Politiker fragen, sehe ich keinen Grund für vorzeitige Neuwahlen. Das würden die Wähler als taktisches Manöver durchschauen. Und: Je länger man das Weltbild des Herrn Babler kennt, desto klarer wird die Entscheidung für die ÖVP. Er ist ein strammer Linker. Damit für Bürgerliche oder Liberale nicht wählbar.
Wäre die SPÖ für die ÖVP ein möglicher Koalitionspartner?
Sobotka
Wer schon vor der Wahl jemand als potenziellen Koalitionspartner ausschließt, nimmt den Wählerwillen nicht ernst. Ich halte nichts von Zuständen wie in der Slowakei, wo fünf oder sechs Parteien koalieren und die Regierungen ständig zerbrechen. Daher finde ich es völlig falsch, jetzt schon jemand auszuschließen. Das Zentrale in der Demokratie ist doch der Kompromiss.
Für die SPÖ sind Vermögens-/Erbschaftssteuern Koalitionsbedingung. Wie könnte da ein Kompromiss mit der ÖVP lauten?
Sobotka
Das wird man in Verhandlungen sehen. Dass für die ÖVP Vermögenssteuern kein Thema sind, ist bekannt. Der Sozialdemokrat Ferdinand Lacina hat die Vermögenssteuern abgeschafft, dafür wird es einen guten fiskalischen Grund gegeben haben. Nichts ist flüchtiger als Geld.
 Fast überall sind vermögensbezogene Steuern höher als in Österreich.
Sobotka
Bei uns wird Vermögen auch besteuert, nur in anderen Formen. Es stimmt nicht, dass in Österreich die Reichen reicher werden und die Armen immer ärmer. Österreich ist ein Hochsteuerland, aber 2,5 Millionen Steuerpflichtige zahlen keine Lohnsteuer. Man kann nicht die Vermögenssteuer isoliert betrachten: Man muss den Höchststeuersatz sehen, die Unternehmenssteuern, die Kapitalertragssteuer, Körperschaftssteuern.
Die ÖVP hält Leistung hoch. Ist Erben eine Leistung?
Sobotka
Per se für den Erben natürlich nicht, im Familienbegriff aber sehr wohl. Ein Erbe weiterzugeben, den Kindern einen leichteren Start zu ermöglichen, ist für viele ein zentrales Anliegen. Außerdem muss man das gesamte Steuersystem sehen. Wir könnten leichter über Erbschaftssteuern nachdenken, wenn der Spitzensteuersatz unter 40 Prozent liegen würde.
Die Nationalratswahl und Koalitionsverhandlungen kommen erst, eine Serie von Landtagswahlen ist abgeschlossen. Alle Landeshauptleute wurden abgestraft, die schwarz-grüne Bundesregierung ist in Umfragen untendurch. Woher kommt der Protest gegen Regierende?
Sobotka
Das betrifft alle Staaten, in Deutschland gibt es ein ähnliches Phänomen. Vielleicht hat die Politik die Corona-Unterstützungen und die Hilfen gegen Teuerung zu sehr betont und zu wenig erklärt, dass es kein Schlaraffenland geben kann. Es hat sich eine Art Vollkaskomentalität breitgemacht. Slogans wie „Koste es, was es wolle“ waren gut gemeint, haben aber Erwartungen geweckt, die niemand erfüllen kann. Und jetzt herrscht eine gewisse Enttäuschung. Wir müssen einen nüchternen Faktenbefund auf den Tisch legen und betonen, dass Österreich sehr gut dasteht in der EU.
 Die Inflation ist deutlich höher.
Sobotka
Doch gesamtheitlich, von der Gesundheitsversorgung bis zur Bildung, ist Österreich eines der lebenswerten Länder der EU. Aber in der Corona-Pandemie hat sich ein gesellschaftlicher Wandel vollzogen. Nach dem Motto: Ich muss mich nicht anstrengen, der Staat soll es für mich richten. Da muss man dagegenhalten, dann steigt das Vertrauen in die Politik.
Wie großen Anteil an der Politikverdrossenheit hat die Serie an Korruptionsermittlungen ?
Sobotka
Gute Frage. Manche Verfahren laufen seit Jahren, Ergebnisse gibt es aber keine.
Ex-Ministerin Karmasin wurde verurteilt.
Sobotka
Viele andere Vorwürfe sind niedergelegt worden.
 Viele Ermittlungen laufen noch.
Sobotka
Dass Politiker Verfehlungen begehen, das gab es immer, von Lucona bis AKH, von Ibiza bis jetzt zu Karmasin. Das ist zutiefst abzulehnen, betrifft aber nicht nur die ÖVP.
Sie fordern ein Verbot, aus Akten zu zitieren. Weil es so viele Korruptionsvorwürfe gegen die ÖVP gibt?
Sobotka
Unser Umgang mit Beschuldigtenrechten ist einer entwickelten Demokratie unwürdig. Viele Verfahren dauern zu lange. Und obwohl Fälle dann eingestellt werden, wird davor aus Akten zitiert, und Unschuldige stehen am Pranger.
 Sie fordern auch höhere Hürden bei Handy-Auswertungen. Das klingt wie der Versuch, Ermittlungen zu erschweren.
Sobotka
Die Gesellschaft hat über 100 Jahre um Freiheiten wie das Briefgeheimnis gekämpft. Und das Handy kann einfach
abgenommen werden? Das passt nicht zusammen. Und noch eines: Viele Juristen bezeichnen es als unzulässig, Zufallsfunde auszuwerten. Das ist ein Einbruch in die Privatsphäre.
 Bei den Chats etwa von Thomas Schmid geht es nicht um private Nachrichten, sondern Amtsträger tauschen sich über Staatsgeschäfte mit Steuergeld aus.
Sobotka
Aber mit gutem Grund steht in unserer Rechtsordnung, dass Ermittlungen vertraulich zu erfolgen haben. Sie sind aber nicht vertraulich, sondern stehen in den Medien. Über die Einstellung der Verfahren wird dann allerdings wesentlich kleiner berichtet. In Deutschland geht das eben nicht, da darf nicht aus Ermittlungsakten zitiert werden.
Dafür gibt es in Deutschland ein Informationsfreiheitsgesetz.
Sobotka
Das sollten wir unbedingt in Österreich einführen.
 Das Informationsfreiheitsgesetz kommt noch in dieser Legislaturperiode?
Sobotka
Ich würde es mir wünschen. Und zwar im Idealfall mit einer Regelung, dass nicht aus Akten zitiert werden darf. Das ist ein unzumutbarer Zustand. Da geht es nicht um die ÖVP und schon gar nicht um mich.
 Auch gegen Sie wird ermittelt.
Sobotka
Gegen mich wurde schon öfterermittelt. Es ist aber noch nie etwas dabei herausgekommen. Was mich irritiert, ist, dass man das Gefühl hat, da besteht Absicht. Immer dann, wenn eine Partei gerade ein Problem hat, kommt wieder eine Anzeige.
 Wer soll denn das Ihrer Meinung nach steuern?
Sobotka
Ich frage nur, warum die Ermittlungen nicht zügiger abgearbeitet werden. Der Ruf der Politik wird durch lange Ermittlungen ruiniert.
 Sie luden Anfang Mai zur Gedenkveranstaltung im Parlament. Dort sagte der CDU-Politiker Michel Friedman, die FPÖ sei eine Partei des Hasses. Hat er recht?
Sobotka
Mit solchen Pauschalisierungen kann ich nichts anfangen, da stimme ich
sicher nicht zu.
 Er sagte weiter, die ÖVP habe die FPÖ durch Koalitionen gekoschert.
Sobotka
Das ist ausgemachter Unsinn. Die erste Vereinbarung mit der FPÖ gab es von Bruno Kreisky mit dem SS-Mann Friedrich Peter, die erste Koalition schloss die SPÖ mit der FPÖ 1983. Wenn, dann hat die SPÖ die FPÖ gekoschert.
 Jetzt regiert aber die ÖVP in drei Bundesländern mit der FPÖ.
Sobotka
Die FPÖ war immer dieselbe Partei.
 Manche ÖVP-Kollegen wie Außenminister Schallenberg, Europaministerin Edtstadler sagen, sie würden nicht unter dem Kanzler Kickl dienen. Würden Sie das machen?
Sobotka
Ein ganz klares Nein. Ich würde nicht unter einem Kanzler Kickl zur Verfügung stehen.
Das gilt auch nach der Wahl?
Sobotka
Selbstverständlich.
 Ist für die ÖVP eine Koalition mit der FPÖ unter Herbert Kickl möglich?
Sobotka
Über Koalitionen spreche ich nicht. Alle Parteien im Verfassungsbogen sind potenzielle Koalitionspartner.
 Ist die FPÖ innerhalb des Verfassungsbogens?
Sobotka
Natürlich, sonst könnte sie nicht im Parlament sitzen.
Ihr Nein zu Kickl gilt also für Sie, nicht für die ÖVP?
Sobotka
Das gilt für mich persönlich. Ich kann nicht für die ÖVP sprechen, weil ich nicht Parteiobmann bin. Aber für mich schließe ich aus, unter einem Kanzler Kickl zur Verfügung zu stehen – auch wegen meiner Enttäuschung. Ich habe ihm ein gut aufgestelltes Ministerium übergeben, und er hat dort herumgewütet.
War Kickl ein guter Innenminister?
Sobotka
Nein. Er hat viel Lärm gemacht, aber bei Asylthemen nichts weitergebracht, auch nicht in der EU. Kein Wunder, die FPÖ wird in der EU nicht akzeptiert.
 Kickl ist der einzige Minister der Zweiten Republik, der entlassen wurde. Kann so jemand wieder einer Regierung angehören?
Sobotka
Natürlich kann er einer Regierung angehören. Machen wir uns nichts vor. Es liegt am Wähler, wie stark er die FPÖ ausstattet. Die nächste Wahl ist alles andere als entschieden: Zwischen Kickl am äußersten rechten Rand und dem Marxisten Babler kann Kanzler Nehammer sicher punkten.
Abschlussfrage: Der umstrittene Bösendorfer-Flügel im Parlament, der 36.000 Euro Miete kostete, wird durch ein schlichtes Klavier ersetzt. Haben Sie einen Fehler gemacht?
Sobotka
Ich habe unterschätzt, dass man die Kunstfertigkeit des Klavierbauers auf die goldenen Verzierungen im Wert von rund 1600 Euro reduziert. Es ging nur mehr darum, dass ich auf einem goldenen Klavier spielen will. So ein Unfug! Übrigens hat das Klavier in Summe rund 18.000 Euro gekostet und wurde mittlerweile durch ein anderes ersetzt.
 Haben Sie gespielt drauf?
Sobotka
Ja, zwei Mal ganz kurz. Der Flügel wurde als Kunstobjekt gemietet. Leider wurde extrem dagegen polemisiert. Es war nicht mehr zu vermitteln, dass der Flügel für die Kulturnation wichtig gewesen wäre. Also musste ich einen Schritt zur Seite machen. Es war ein Fehler, ich habe die Aufregung unterschätzt.

 

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin