Sommergespräch mit Dirk Stermann: "Das lächelnde Gesicht des Neoliberalismus"

Der Autor und Kabarettist Dirk Stermann über André Heller und Sebastian Kurz, den Vormarsch des Rechtspopulismus und die deutsch-österreichische Sprachbarriere.

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Interview: Herbert Lackner

profil: Sie haben den größeren Teil Ihres Lebens in Wien verbracht - sprachlich hat das nicht abgefärbt. Ist Wienerisch so schwierig oder haben Sie eine Sperre? Stermann: Als ich nach Wien kam, habe ich Deutsche getroffen, die so getan haben, als könnten Sie Wienerisch sprechen. Furchtbar! Ich rede lieber wie ein Deutscher, wobei die Deutschen finden, dass ich weicher spreche. Heute sage ich sogar "Grüß Gott". Als ich noch in Deutschland lebte, hätte ich nie gedacht, dass ich es sagen würde. Das sagte man bei uns im Ruhrpott nicht.

profil: Deutsches Deutsch klingt auch klüger. Ich erinnere mich an SPÖ-Parteitage, auf denen Willy Brandt sagte: "Schön, wieder einmal in Wien zu sein." Es klang wie eine hochintellektuelle Politikanalyse. Stermann: Das ist der protestantische Einfluss: präzise, unbarock. In den katholischen Gebieten im Süden des deutschsprachigen Raums ist das anders: ein bissl trinken, ein bissl vögeln, ein bissl beichten - geht schon. Anders als die Österreicher sprechen die Deutschen nach der Schrift. Sie klingen wie ein Buch. Die Menschen in Österreich haben das Gefühl, wir reden, wie Thomas Mann schrieb.

profil: Stellen Sie sich vor, ein Wiener Vorstadt-Bewohner liest Habermas vor. Stermann: Würde Habermas guttun!

profil: Sie haben einmal geschrieben: "Die Deutschen glauben, alle Österreicher sprechen wie André Heller." Würde man sich das wünschen? Stermann: Finde ich schon. Heller ist originell, und er nutzt Sprache gigantisch gut. Er kann toll Anekdoten erzählen und Sprachbilder erzeugen. Man hört ihm gern zu.

profil: 2016 erschien Ihr Buch "Der Junge bekommt das Gute zuletzt". Darin geht es um einen 13-Jährigen, der von seiner grässlichen Familie verlassen wird, mit einem an Multipler Sklerose erkrankten Taxifahrer durch Wien fährt und alte Hinrichtungsstätten aufsucht. Geht es noch düsterer? Stermann: Kaum. Ich merke mir düstere Geschichten auch besser als andere. Und Humoristen tut es sehr gut, einmal nicht auf Pointen hinzuschreiben, sondern eine Geschichte zu erzählen.

profil: Die Leute kaufen sich ein Stermann-Buch und glauben, jetzt wird es gleich lustig. Aber es wird nicht lustig. Stermann: Das ist auch bei Lesungen ganz interessant.

Diese deutsche Comedy-Szene, in der immer alle lustig sind, finde ich furchtbar. Ich weiß nicht, wie die das als Menschen aushalten.

profil: Sind die Besucher dann enttäuscht? Stermann: Nur die dummen. Denn es weiß jeder, dass ein Ernster auch einmal lustig sein kann und ein Zahnarzt manchmal nicht bohrt. Auch Fleischhauer hacken nicht durchgehend auf alles ein, was sich bewegt. Diese deutsche Comedy-Szene, in der immer alle lustig sind, finde ich furchtbar. Ich weiß nicht, wie die das als Menschen aushalten.

profil: Als Sie 1987 nach Wien kamen, war das noch eine eher düstere, graue Stadt. Warum verschlug es Sie ausgerechnet hierher zum Studieren? Stermann: Ich kannte eine Frau, die hier studierte und in die ich damals verliebt war, obwohl ich in ihrem Liebesleben keine Rolle mehr spielte. Wien fand ich sofort ganz großartig. Es gab Wegweiser mit der Aufschrift "Brno, Praha, Budapest". Das hatte großen Reiz. Man war ganz nahe dem Ostblock oder sogar in ihm - das war nicht ganz klar. Wien lag auf keiner Strecke irgendwohin. Auch keiner meiner Freunde kam je hierher. Wien war eine kleine Welt, die sich selbst genügte. Es gab FS1 und FS2, das war's. Diese Abgeschlossenheit war auch eine Chance, weil es den Vergleich nicht gab. Wenn du in Wien ein Bild gemalt hast, warst du ein Maler. In Deutschland musstest du damit zuerst nach Hannover, Hamburg, Berlin und München.

profil: Sie haben einmal geschrieben, Deutschland sei die uncoolste Nation. War es so schlimm? Stermann: Das war noch zur Kohl-Zeit. Westdeutschland funktionierte, aber es war ein Provinzland mit der Provinzhauptstadt Bonn. Und das Piefke-Bild hatte im Ausland natürlich etwas Miefiges.

profil: Piefke galten als präpotent. Stermann: Genau. Ich kannte das Wort gar nicht, als ich nach Österreich kam. Meine Ruhrpott-Verwandten sind hart arbeitende Leute mit viel Herzensgüte und sicher nicht präpotent. Mein erster Job in Wien war es, Adress-Etiketten auf Kuverts zu kleben. Das hätte auch ein Goldhamster geschafft. Aber mein Chef sagte: "Immer wenn ich zu dir ins Zimmer komme, habe ich das Gefühl, du kannst es besser als ich." Ich glaube, es ist die Sprache, die diesen Eindruck vermittelt.

profil: Das Bild der Österreicher von den Deutschen hat sich in den vergangenen 20 Jahren stark verbessert. Ist das Bewunderung für die bemerkenswert reibungslose Wiedervereinigung? Stermann: Das Wichtigste war meiner Meinung nach das Kabelfernsehen. Es wurde normaler, das deutsche Idiom zu hören. In jeder 30. Sendung gab es jemanden, den man auch okay finden konnte; alle Serien waren bundesdeutsch synchronisiert. Darum reden heute alle Kinder, die innerhalb des Wiener Gürtels leben, wie Deutsche. Eine Folge der Wiedervereinigung war, dass nun nicht nur die reichen Westdeutschen mit ihrem großen Audi kamen, sondern Leute aus Leipzig im Kleinwagen, die fragten: "Dürfen wir bei Ihnen die Zimmer machen?" In Tirol redet ein Taxifahrer heute mit großer Wahrscheinlichkeit Sächsisch.

profil: Würden Sie zustimmen, dass auch Angela Merkel zum besseren Deutschland-Bild beigetragen hat? Stermann: Absolut. Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde: Merkel ist inzwischen weltweit die einzige Politikerin, die Verlässlichkeit ausstrahlt. Ich mag Merkels spröde, naturwissenschaftliche, protestantische, langsame Art - sie ist ungemein beruhigend. Sie hat die CDU entideologisiert, was aber vielleicht den Raum rechts von ihr etwas vergrößert hat.

profil: Ohne einen Zusammenhang herstellen zu wollen: Als Sie 1987 nach Österreich kamen, begann gerade die sogenannte Ära Haider. In Deutschland gab es da noch lange keine Rechtspopulisten. Warum? Stermann: Es gab in Deutschland eine kritische Öffentlichkeit - ich betone: gab -, die auch ernst genommen wurde. Es gab Medien, die das nicht zugelassen hätten. Es gab dort keine Schlamperei im Denken. Es gab präzise Grundsätze. Es gab Sachen, die man einfach nicht machen durfte. Das gab es in Österreich nicht. Es gab hier auch eine schlampigere Rücktrittskultur.

profil: Aber in Deutschland gab es gewalttätige Rechtsradikale. Stermann: Es gab die NDP, und es gab Wehrsportgruppen. Da hatten die Wähler aber die Ansicht, das sei eine Aufgabe für den Verfassungsschutz und habe mit Wahlen nichts zu tun.

Heute wissen wir, dass Haider mehr Populist war als Ideologe. Ich hatte damals den umgekehrten Eindruck.

profil: Der deutsche Rechtspopulismus hatte, anders als der österreichische, keine starke Führerfigur wie Jörg Haider. Ist das die Ursache für das "Nachhinken"? Stermann: Heute wissen wir, dass Haider mehr Populist war als Ideologe. Ich hatte damals den umgekehrten Eindruck. Haider hat die Burschenschafter beiseite geschoben, unter Heinz-Christian Strache sind sie zurückgekommen und haben das Feld übernommen.

profil: In Deutschland passiert mit dem Aufstieg der AfD jetzt das, was in Österreich vor 25 Jahren vor sich ging. Haben Sie manchmal das Gefühl, in einer Zeitmaschine zu sitzen? Stermann: Nach Deutschland ist das weltweite Phänomen Rechtspopulismus eben jetzt auch geschwappt. Dazu gibt es - und damit mache ich mir in Deutschland keine Freunde - eine "Verostung des Westens". Im Osten hat man hermetisch abgeschlossen gelebt und ist nicht international aufgewachsen. Es gab keine Gastarbeiter, höchstens ein paar Studenten aus Vietnam oder Kuba. Die Nazi-Geschichte wurde in der DDR sehr merkwürdig aufgearbeitet, so als seien die Deutschen in Wahrheit gar nicht schuld daran.

Eine provinzielle Weltsicht, eine Mischung aus Humorlosigkeit und Intellektlosigkeit hat sich über das Land gelegt.

profil: In der "Süddeutschen Zeitung" meinten Sie kürzlich: "Eine provinzielle Weltsicht, eine Mischung aus Humorlosigkeit und Intellektlosigkeit hat sich über das Land gelegt." Ein harter Befund. Stermann: Dazu stehe ich. Mit Osten meine ich ja auch nicht Ostberlin, sondern Gegenden wie Sachsen oder Sachsen-Anhalt, wo Fremdenfeindlichkeit einfach üblich ist. Es ist deprimierend.

profil: Rechtspopulismus wurde plötzlich ein weltweites Phänomen - siehe Trump, siehe Brexit. Was ist da passiert? Stermann: Es herrscht ein wenig die Stimmung wie vor dem Ersten Weltkrieg, nämlich das Gefühl, dass etwas beendet werden soll, dass irgendetwas passieren soll.

profil: Wie es Christopher Clark in "Die Schlafwandler" beschrieben hat? Stermann: Genau, wir sind wieder Schlafwandler. Viele wollen etwas zerstören, ohne zu wissen, was sie stattdessen wollen. Bestes Beispiel ist der Brexit.

profil: Sie haben im österreichischen Wahlkampf mit Christian Kern im Kreisky-Forum diskutiert. Was hat Kern falsch gemacht? Stermann: Er konnte sich nicht vorstellen, dass es so eng wird. Er war überzeugt: Was ich will, ist richtig und mehrheitsfähig. Und er war beratungsresistent. Aber es gab auch etwas, was ich so in Österreich noch nicht erlebt habe: ein Wahlergebnis, das vom Boulevard einfach herbeigeschrieben wurde.

profil: Haben Sie den neuen Kanzler schon persönlich kennengelernt? Stermann: Nein, nicht persönlich.

Ich glaube, Sebastian Kurz ist eine Art Nachlassverwalter.

profil: Würden Sie Sebastian Kurz als Rechtspopulisten bezeichnen? Stermann: Ich glaube, er ist eine Art Nachlassverwalter. Er macht das, was Wolfgang Schüssel nicht durchgebracht hat. Er ist das lächelnde Gesicht des Neoliberalismus, der an die Macht möchte. Er stellt sich in den Dienst bestimmter Interessen, und das sind nicht die Interessen der Mehrheit der Österreicher.

profil: In den Umfragen schadet ihm das bisher nicht. Stermann: Weil den Österreichern von bestimmten Boulevardmedien ständig suggeriert wird: Sebastian Kurz ist großartig, er wird immer beliebter, und die anderen sind nur beleidigte Wadlbeißer. Und man hat einen bestimmten Mechanismus entwickelt: Die Sozialministerin sagt etwas, was für Aufregung sorgt, worauf sie behauptet: Das hab ich gar nicht gesagt. Strache sagt, das hat sie nicht so gemeint. Aus.

profil: Haben Sie Strache schon persönlich kennengelernt? Stermann: Nein. Aber ich glaube nicht, dass es meinem Leben etwas brächte, würden wir einander näher kennen.

profil: Die FPÖ mag Ihre und Christoph Grissemanns Sendung "Willkommen Österreich" nicht besonders. Die FPÖ-nahe Website unzensuriert.at schreibt, dort gebe es "Perversitäten am laufenden Band, Ficken, Hoden lutschen, Fotzenfresse". Habe ich diese Sendung versäumt? Stermann: Ich habe sie auch verpasst, aber ich würde sie mir gern ansehen.

profil: Werden Sie und Christoph Grissemann im Netz oft beschimpft? Stermann: Klar. Aber ohne die Leute, die das schreiben, zu sehr ärgern zu wollen: Ich lese das praktisch nie. Christoph liest die Postings vor dem Schlafengehen. Er hat einem in der Sendung geantwortet: "Ja, ich bin durchaus auch der Meinung, dass ich vergast werden müsste."

profil: Man nennt Sie wohl oft einen "Gutmenschen". Sind Sie einer? Stermann: Da müssen wir jetzt endlich einmal die Begrifflichkeit klären. Gutmensch ist per Definition kein schlechter Mensch. Gut werden Menschen nicht, wenn man, wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder es will, überall Kreuze hinhängt. Das größte Arschloch bleibt eines, auch wenn 40 Kreuze rund um ihn hängen. Oder Horst Seehofers widerwärtige Pressekonferenz: Zu meinem 69. Geburtstag werden 69 Afghanen abgeschoben, hahaha. Einer der Abgeschobenen war da schon tot. Tolle Christen.

profil: Rechtspopulisten sitzen in vielen Staaten Europas in den Regierungen und sind bei Wahlen auf dem Vormarsch. Ist diese Entwicklung von Dauer? Stermann: Vor zehn Jahren hätte ich gesagt, das ist etwas ganz Kurzes. Heute würde ich sagen, das ist nicht absehbar. Wer hätte gedacht, dass wieder Handelskriege ausbrechen, dass sich bereits offene Grenzen wieder schließen, dass es einen Brexit geben und nach dem Brexit der alte Irlandkonflikt wieder hochkochen könnte? Wir bewegen uns in einer Art Irrsinnsspirale, und weil es Irrsinn ist, können wir es gar nicht einschätzen.

Parteien sind nicht mehr das Entscheidende, gesellschaftliche Grundstimmungen sind es.

profil: Die traditionellen Parteien verlieren auch in Österreich und Deutschland an Bedeutung. Sind Bewegungen wie die von der Klubchefin der deutschen Linken, Sahra Wagenknecht, gegründete Plattform "Aufstehen" die Zukunft? Stermann: Ich bin zwar in einer sozialdemokratischen Familie aufgewachsen, aber es ist nicht mein größtes Problem, wenn sich die herkömmliche Sozialdemokratie verändert oder gar auflöst und an ihrer Stelle eine entsprechende Plattform entsteht. Parteien sind nicht mehr das Entscheidende, gesellschaftliche Grundstimmungen sind es. Das Unheimliche ist: Es löst sich alles auf, und man weiß nicht, was passieren wird.

profil: Sie dürfen in Österreich nicht wählen, weil sie nach 31 Jahren im Land immer noch nicht Staatsbürger sind. Warum wollen Sie nicht Österreicher werden? Stermann: Warum sollte ich? Ich bin nicht Deutscher oder Österreicher, sondern Europäer. Aber zur Not werde ich auch Österreicher. Wenn schon nicht wir "Ausländer" wählen dürfen, hätte ich einen Vorschlag: Es sollten einmal fünf Jahre lang urbane, gebildete Frauen die Politik bestimmen. Das wäre interessant.

DIRK STERMANN, 52, kam 1987 aus Duisburg zum Studium nach Wien. Schon ab 1988 arbeitete er beim Radio. Daneben legte Stermann mehrere Gedicht-, Satire-und Erzählbände vor. Seit 2007 moderiert er mit Christoph Grissemann die Talkshow "Willkommen Österreich".

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