SENTA BERGER IM PROFIL-GESPRÄCH: „Ich bin für den Schuldenschnitt.“

Sommergespräch mit Senta Berger: "Das würde mir sehr weh tun"

Die Schauspielerin Senta Berger über eine mögliche FPÖ-Mehrheit in Wien, ihre Bewunderung für Brandt und Kreisky und den Unterschied zwischen Ösis und Deutschen.

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INTERVIEW: HERBERT LACKNER

profil: Frau Berger, Sie haben bei den Sommerspielen Reichenau aus der Biografie von Alma Mahler-Werfel gelesen. Halten Sie Alma für eine faszinierende Frau? Senta Berger: Oh ja. Sie ist eine zwiespältige und widersprüchliche Person und natürlich ein Kind ihrer Zeit. Besser: eine Frau ihrer Zeit. Alma hat ihre Sinnlichkeit, ihre Sexualität offen ausgelebt und so der offiziellen Moral nicht entsprochen, die ja die schäbigste Doppelmoral war. Liebe und Treue wurden den Frauen damals erlaubt, aber Leidenschaft und Untreue wurden ihnen nicht zugestanden. Das war das Vorrecht der Männer.

profil: Und sie hat sich dabei konsequent Promi-Männer geangelt: den Wiener Operndirektor, einen Stararchitekten, einen Bestsellerautor. Berger: Wenn man in einem Kreis aufgewachsen ist, in dem sich am Abend die Sezessionisten treffen, um ein Wurstbrot zu essen und einen kulturellen Umsturz zu planen, ist es ganz normal, dass du dich in Klimt verliebst, weil der war ja wirklich interessanter als der Hauslehrer. Es mag schon sein, dass sich Frauen aus Versorgungsgründen jemanden „angeln“. Das war bei Alma sicher nicht der Grund. Sie war an Bedeutung interessiert. An Bedeutung, aber mit Hintergrund.

profil: Sind Menschen wie Alma Mahler-Werfel nicht vor allem wegen ihrer dramatischen Biografien interessant, die einfach durch die Zeitläufte bedingt sind? Berger: Das bestreite ich. Ödön von Horváth schreibt über die sogenannten kleinen Leute, es gibt kaum etwas Ergreifenderes als die „Agnes Pollinger“. Ich habe verschiedene Leseprogramme, und eines meiner liebsten sind Texte von Alfred Polgar. Er schreibt über die kleinen Dinge, über die augenscheinlich unbedeutenden: Ein Mann ist mit seiner Geliebten in einem Landgasthof und hat sich das Hemd zerrissen. Die Geliebte näht es in seiner Abwesenheit. Er kommt zurück, findet das genähte Hemd und sagt sinngemäß: Jeder Stich in mein Hemd ist ein Stich in mein Herz. Heute stichst du in mein Hemd und morgen in meine Unabhängigkeit.

profil: Sind Sie in einem politischen Elternhaus aufgewachsen? Berger: Alles ist politisch, vor allem ein Elternhaus, in dem es heißt: Wir sind nicht politisch. Mein Vater hat nie über Politik gesprochen, es sei denn, er hat über sie in sich hineingeflucht. Der Krieg hat meinen Vater zerbrochen. Meine Mutter war nach 1945 SPÖ-Mitglied. Sie hatte die Frauenzeitschrift „Die Unzufriedene“ abonniert. Wir hatten kein Zeichenpapier und sie hat von der Zeitung immer die Ränder abgeschnitten, und darauf konnte ich eine Art Comic zeichnen. Meine Mutter war ein sehr lebenskluger Mensch. Sie wurde fast 99.

Der feuchte Mörtelgeruch ist mir unvergesslich. Meine Mutter hat gesagt: Schau Senta, das wird dann dein Kabinett.

profil: Welchen familiären Hintergrund hatte sie? Berger: Sie kam aus einer Arbeiterfamilie mit sechs Kindern. Sie wurden immer wieder delogiert, weil sie die Miete nicht bezahlen konnten. Mit ihrer Mitgliedschaft in der SPÖ hat sie ganz praktische Vorstellungen verbunden: Sie wollte eine Wohnung für uns. Wir haben in der Lainzer Straße in Wien-Hietzing auf 22 Quadratmetern gewohnt, kein Fließwasser, keine Toilette. Meine Eltern und ich haben nebeneinander in Klappbetten geschlafen. Meine Mutter war ständig am Wohnungsamt und kam mit rotverweinten Augen nach Hause. Wir sind bei allen in Rohbau befindlichen Gemeindebauten in Lainz über die Bauleitern eingestiegen und haben uns die Wohnungen angeschaut, die wir gerne gehabt hätten. Der feuchte Mörtelgeruch ist mir unvergesslich. Meine Mutter hat gesagt: Schau Senta, das wird dann dein Kabinett.

profil: Also ist sie der SPÖ beigetreten, und die Familie Berger hat eine Gemeindewohnung bekommen. Berger: Eben nicht! An einem Wahltag ist dann eine SPÖ-Funktionärin zu uns gekommen und hat gesagt: „Frau Berger, Sie waren ja noch nicht wählen.“ Hat meine Mutter gesagt: „Ich hab ja auch noch keine Wohnung kriagt!“ Sie war damals einfach verzweifelt. Später haben wir mit einer Pensionistin Wohnung getauscht und sind in den Gemeindebau auf der Lockerwiese eingezogen. Ich war 14 und glücklich in meinem Kabinett.

profil: Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie Sie Ihr Vater in Opern von Wagner und Richard Strauss mitgenommen hat. War das nicht etwas schwere Kost für ein Kind? Berger: Mein Vater war Jahrgang 1903, hat am Konservatorium Musik studiert, musste aber nach dem Weltkrieg aus wirtschaftlichen Gründen in das Geschäft meines Großvaters eintreten, einen Galvanisierbetrieb. Auf Musik konnte er aber nicht verzichten. Er war Chorleiter, Korrepetitor in der Staatsoper und hat sogar ein kleines Orchester gegründet, das sich mit Lebensmitteln bezahlen ließ. Meine Mutter hat von Musik gar nichts verstanden. Sie hat mir alle Kinder- und Wienerlieder falsch vorgesungen, und ich hab sie richtig nachgesungen. Mein Vater hat darauf gewartet, dass er eine Partnerin für die Musik bekommt. Als ich dann sieben war, hat er mich mitgenommen.

Ich wollte die Aufnahmeprüfung am Reinhardt Seminar machen. Als ich sie bestanden hatte, war auch mein Vater damit einverstanden. Bis ich dann rausgeworfen wurde.

profil: Was war Ihre erste Oper? Berger: „Salome“. Das war furchtbar. Der abgeschlagene Kopf! Als ich vom Theater an der Wien nach Hause kam, hatte ich hohes Fieber. Aber wir haben auch andere Sachen gesehen. Bei der „Moldau“ habe ich meinen Vater zum ersten Mal schluchzen gesehen. „Weil’s so schön ist“, hat er beruhigend geflüstert. Dann hat er mich in der Ballettschule der Dia Luca angemeldet, damals die Ballettmeisterin der Volksoper. So hat es für mich begonnen.

profil: Mit 16 haben Sie das Gymnasium verlassen. Ein Akt der Auflehnung? Berger: Ich war einfach in der Pubertät und habe alles ganz schrecklich gefunden. Ich habe auch ständig Schule geschwänzt, manche Lehrer kannten mich gar nicht. Ich wollte die Aufnahmeprüfung am Reinhardt Seminar machen. Als ich sie bestanden hatte, war auch mein Vater damit einverstanden. Bis ich dann rausgeworfen wurde.

profil: Warum wurden Sie rausgeworfen? Berger: Ende der 1950er-Jahre kamen viele Schauspieler und Regisseure zu uns zu Besuch, die Reinhardt selbst gekannt hatten. Einmal kamen Yul Brynner und der Regisseur Anatole Litvak und ich durfte vorsprechen: „Woyzeck“, die Szene, in der er am See Marie ersticht. Nachher ist Litvak zu mir gekommen und hat gefragt: Möchtest du bei mir eine kleine Rolle spielen, dann komm morgen in das Studio am Rosenhügel. Es war ein Film über den Aufstand in Ungarn, ich sollte ein ungarisches Mädchen spielen. Und dann hat mir das Reinhardt Seminar nicht die Erlaubnis für die zehn Drehtage gegeben. Ich hab es trotzdem gemacht, da bin ich rausgeflogen. Das hat meinen Vater schwer getroffen, weil er gesagt hat: Das Kind macht nie etwas zu Ende. Versöhnt hat ihn dann, dass mich Ernst Haeusserman zum Vorsprechen in die Josefstadt eingeladen hat und ich engagiert wurde.

profil: Sie waren mit 23 in Hollywood, mit 28 in Cinecittà in Rom. Warum sind Sie dann nach Deutschland gegangen? Berger: In den USA wollte man junge europäische Schauspielerinnen, die mit bereits etablierten amerikanischen Schauspielern arbeiten sollten. Das sollte helfen, die amerikanischen Filme in Europa zu verkaufen. So wurden wir zusammengespannt: Romy Schneider mit Jack Lemmon, Claudia Cardinale mit Tony Curtis und ich in meinem ersten Film mit Walter Matthau. In meinem zweiten spielte ich mit Charlton Heston. Im dritten mit Kirk Douglas.

profil: Da waren Ihre Eltern wohl stolz. Berger: Nein, die kannten diese Namen nicht. Gefreut haben sie sich, als ich in einer Fernsehsendung von Heinz Conrads auftrat und ein Lied meines Vaters sang. Da hielten sie sich vor dem Fernseher an den Händen und waren glücklich.

profil: Aber warum dann Deutschland? Berger: Weil ich 1966 mit meinem Mann, dem Regisseur Michael Verhoeven, die Sentana-Filmproduktion gegründet habe. Wir feiern bald unser 50-jähriges Bestehen und haben seither mehr als 50 Filme produziert. Das hat mich bereichert – nicht unbedingt im wirtschaftlichen Sinn. Aber nirgendwo habe ich über mein Metier mehr gelernt als da.

profil: Wie würden Sie den Mentalitätsunterschied zwischen Deutschen und Österreichern beschreiben? Berger: Ich geb Ihnen ein Beispiel: Es gibt diese Ruheabteile in der Bahn, in denen man nicht telefonieren darf. Im deutschen Ruheabteil telefoniert niemand. In Österreich wird telefoniert, und zwar so laut, dass es jeder hören kann: „Servas Mausi, i bin eh scho in Linz.“

profil: Deutschland scheint auch die NS-Zeit etwas früher aufgearbeitet zu haben. Berger: Da gibt es eine interessante Geschichte: In nur vier Ländern – Deutschland, Österreich, Italien, Spanien – wurden nach 1945 englischsprachige Filme synchronisiert, also in jenen, in denen der Faschismus geherrscht hat oder wie in Spanien immer noch herrschte. Die Lizenzen für die Synchronisierung wurden in Deutschland nur an unverdächtige Leute vergeben, bevorzugt an solche, die im Widerstand waren. Denen wurde von den Amerikanern gesagt: Das hier ist ein Re-Education-Programm, und es muss schnell gehen. Untertitel sind zu wenig, wir müssen synchronisieren. Es war eine Art kulturelle Kolonisierung.

Man kann nicht allen Leuten gefallen und ihnen immer nach dem Mund reden. Ich finde es uninteressant, wenn man keine Meinung hat.

profil: Das allein hat wohl nicht genügt. Berger: Nein. Es war meine Generation, die in den 1960er-Jahren zum ersten Mal Fragen gestellt hat. Es war die Zeit der Auschwitzprozesse.

profil: Sie haben 1971 in der Bekennerinnen-Aktion von Alice Schwarzer – „Ich habe abgetrieben“ – im „Stern“ mitgemacht. Sie haben Willy Brandt und Bruno Kreisky in Wahlkämpfen unterstützt. Sie haben sich immer politisch exponiert. Ist das in Ihrer Branche nicht gefährlich? Berger: Gefährlich? Man kann nicht allen Leuten gefallen und ihnen immer nach dem Mund reden. Ich bleibe ich, sonst könnte ich diesen Beruf nicht ausüben. Eine bessere Schauspielerin wird man nicht dadurch, dass man viel Theater sieht, sondern indem man durchlässig ist für das, was rund um einen passiert – und das auch infrage stellt. Ich finde es uninteressant, wenn man keine Meinung hat.

profil: Sie waren 2012 Delegierte der SPD bei der Bundespräsidentenwahl in der deutschen Bundesversammlung. Auch das hat man Ihnen nicht übel genommen? Berger: Das weiß ich nicht. Vielleicht gibt es Leute, die mich wie im Wahlkampf für Willy Brandt „a rote Hur’“ nennen. Ich hab mich schon damals entsprechend gewehrt.

profil: Was hat Sie an Brandt und Kreisky fasziniert? Berger: Vor allem ihr aufrechter Gang hat mich beeindruckt. Diese beiden Männer waren durch ihr Leben geprägte Persönlichkeiten. Sie haben die Schmerzen der Emigration auf sich genommen. Es hat mich beeindruckt, dass sie gegangen sind, und es hat mich beeindruckt, dass sie wieder gekommen sind. Es gibt SPÖ-Politiker, die ich sicher nicht unterstützen würde.

profil: Deutschland ist für die großartige Leistung der Wiedervereinigung bewundert worden. In der Griechenland-Frage hat sich das stark geändert ... Berger: … aber das ist ungerecht. Die deutsche Position wurde von allen west-, nord- und mitteleuropäischen Mitgliedsstaaten mitgetragen, die sich nun hinter dem breiten Rücken der Frau Merkel nicht mehr erklären müssen. Die Südeuropäer und die Franzosen, die besonders stark auf ihren Export achten müssen, haben den Griechen halt signalisiert: Wir verstehen euch ja so gut! Es geht um Innenpolitik. Das ist ja auch der Konflikt, in dem sich Tsipras befindet. Aber ich bin für den Schuldenschnitt, das können wir uns leisten. Die Syriza-Regierung ist mit der richtigen Behauptung angetreten: Wir haben mit dem Schlamassel nichts zu tun, das waren unsere Vorgänger. Aber sie haben es in den letzten fünf Monaten nicht geschafft, zu vermitteln, dass jeder Steuern bezahlen oder dass es ein Grundbuch geben muss. Die Milliardäre fahren mit ihren Yachten unter uruguayischer Flagge. Die Schweiz stellt die Konten der reichsten unter den griechischen Reichen zur Einsicht. Aber die Syriza-Partei hat keine Mittel und keine Erfahrung, um darauf zurückzugreifen.

profil: Verfolgen Sie auch die österreichische Politik? Berger: Oh ja, immer wieder. Und mit Staunen.

profil: Was erstaunt Sie? Berger: Zum Beispiel diese Sache im Burgenland. Die Aussagen der SPÖ und der FPÖ sind dort gleichlautend. Da gibt es nur ganz wenige Unterschiede. Werden da Ängste einfach gezüchtet? Diesem Land geht es doch gut, niemand muss um seine Existenz fürchten. Man sollte sich daran erinnern, wie man 1989 die Grenzen geöffnet hat. Das war großartig.

Die Repräsentanten der FPÖ missfallen mir in ihrer Sprache und in ihrem Auftreten. Ich vertraue ihnen nicht.

profil: Es gibt Umfragen, wonach die FPÖ die SPÖ bei den Wahlen in Wien im Oktober überholen könnte. Berger: Das würde mir sehr weh tun und dem Land schwer schaden. Die Repräsentanten der FPÖ missfallen mir in ihrer Sprache und in ihrem Auftreten. Ich vertraue ihnen nicht. Man könnte ja auch sagen: Okay, das ist eine Rechtspartei, aber der Chef ist ein kluger Kopf und könnte etwas bewegen. Den Eindruck habe ich nicht.

profil: Ab einem bestimmten Zeitpunkt wird man immer auf das Alter angesprochen. Geht Ihnen das auf die Nerven? Berger: Nein, ich bin halt so alt, wie ich bin. Eine Zeit lang ist man für Rollen zu jung, bis vor wenigen Jahren gab es dann dieses „ideale Alter“, und dann ist man 70 und staunt, weil die anderen so ein Aufheben darum machen. Dann bin ich sehr krank geworden und hab gemerkt: Ich bin wirklich 74.

profil: Sie hatten eine Lungenentzündung. Das widerfährt auch Jüngeren. Berger: Eine sehr schwere. Da liegst du dann lange und denkst viel nach. Aber irgendwann gehen diese Nachtmahren, die im Krankenhaus auf deiner Brust gesessen sind, und das leichtere Leben beginnt wieder.

profil: Das Alter hat auch Vorteile: In Österreich gibt es seit zwei Jahren eine Senta-Berger-Briefmarke. Berger: Da bin ich erschrocken, als ich die bekommen habe. Ab und zu kleb ich sie jetzt sogar auf Kuverts. Aber man erkennt mich auf der Marke eh nicht.

Senta Berger, 74, aufgewachsen in bescheidenen Verhältnissen in Wien-Lainz wurde Senta Berger in den 1960er- Jahren von Hollywood entdeckt und startete eine internationale Filmkarriere. Heute ist sie vor allem in Fernsehfilmen und Serien zu sehen. Senta Berger lebt in München und Berlin.