Österreich

Sophie Karmasin im Porträt: Geschichten von Frau K.

Die frühere Familienministerin Sophie Karmasin hatte viel, wollte mehr und könnte jetzt alles verlieren. Nun steht sie wegen schweren Betrugs vor Gericht. Ihr Fall handelt von der frappierenden Dreistigkeit, mit der sich die ÖVP am Staat bediente, und vom menschlichen Laster dahinter: Gier.

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Es gibt diese Geschichte über Sophie Karmasins Besprechungstisch. Wie jedes Möbel in ihrem weiß durchgestylten Ministerbüro an der Unteren Donaustraße im 2. Wiener Gemeindebezirk war er ein exquisites Stück – und ein riesiges obendrein. Da Türen und Aufzüge im Bürogebäude zu eng waren, musste die Tischplatte von außen per Kran in den obersten Stock des Gebäudes gehoben werden. Auch sonst wurde nicht gespart. Insgesamt kostete die luxuriöse Neugestaltung des Büros knapp 100.000 Euro.

Noch mehr sagt eine andere Episode über Karmasins Verständnis von Amt und Würden aus. Kurz nach ihrer Angelobung als Ministerin im Dezember 2013 erklärte sie, ihr Unternehmen, die Karmasin Motivforschung, sei weiterhin „für öffentliche Aufträge zugänglich“, da sie ihre Anteile an ihren Ehemann abgeben würde. Erst nach lauter Kritik zeigte sie sich einsichtig und änderte ihre Meinung.

Geld und Status waren Sophie Karmasin also wichtig. Sie bediente sich ungeniert am Staat – und nicht zuletzt deshalb steht die 56-Jährige am 25. April vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien, als erste aus einer Reihe von ÖVP-Politikern, gegen die die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt. Die profil vorliegende Anklage lautet auf schweren Betrug und Wettbewerbsabsprachen. Karmasin drohen bis zu drei Jahre Haft.

Vor Gericht werden zwei Anklagekomplexe behandelt. Der erste betrifft die Monate nach Karmasins Abschied aus dem Ministeramt im Dezember 2017. Regierungsmitgliedern steht sechs Monate lang eine Gehaltsfortzahlung in Höhe von 75 Prozent des Ministerbezugs zu, solange sie kein eigenes Geld verdienen. Im Jahr 2018 machte dies 13.133,60 Euro pro Monat aus. Karmasin beantragte die Fortzahlung und bezog sie für den Zeitraum vom 19. Dezember 2017 bis zum 22. Mai 2018 – wissentlich zu Unrecht, wie ihr die WKStA vorwirft. Sie habe dadurch die Republik Österreich um insgesamt 78.589,95 Euro geschädigt.

Die Entgeltfortzahlung macht Sinn. Regierungsmitglieder unterliegen einem Berufsverbot, vor Amtsantritt kündigen sie ihre Jobs oder verkaufen ihre Anteile an Unternehmen. Ohne finanzielle Überbrückungshilfe nach dem Ausscheiden würden nur noch pragmatisierte Beamte mit Rückkehrrecht in ihre Funktionen Minister werden wollen. Die Regeln zur Bezügefortzahlung sind eindeutig. Und Karmasin kannte sie.

Am 4. Jänner 2018 hatte sie sich telefonisch im Kanzleramt über die Modalitäten erkundigt. Am 15. Jänner 2018 brachte sie den notwendigen Antrag ein. Am 31. Jänner erkundigte sie sich per Mail bei einem Beamten, ob sie während der Fortzahlung „etwas dazuverdienen“ dürfe.

Die Antwort war deutlich: Ein Zuverdienst, selbst ein geringfügiger, sei gesetzlich nicht erlaubt. Am 5. Februar 2018 fragte sie abermals nach, ob sie nicht zumindest Vorträge halten dürfe. Auch dies wurde klar verneint. Und so bestätigte Karmasin den Beamten, die ihren Antrag prüfen mussten, per Mail: „Okay, dann werde ich nichts verdienen.“

Laut Anklageschrift hatte Karmasin allerdings schon am 2. Februar 2018 einen Vortrag zu einem Honorar von 960 Euro gehalten und weitere Aufträge fixiert. Am 20. März hielt sie einen Vortrag anlässlich der Präsentation des „Jahrbuchs für Politik“ der Politischen Akademie der ÖVP. Am 6. April erhielt sie einen Auftrag des Red-Bull-Konzerns in Höhe von 14.450 Euro.

Nahezu grotesk mutet eine weitere Einnahmequelle an. Während sie im ersten Halbjahr 2018 monatlich 13.133,60 Euro vom Staat bezog, erhielt sie parallel dazu Provisionen von ihrer ehemaligen Mitarbeiterin Sabine Beinschab, der sie Studienaufträge vermittelt hatte. Laut WKStA hätte Karmasin dieses Geschäftsmodell mit Beinschab bereits während ihrer Ministertätigkeit betrieben und damit gegen das Berufsverbot für Regierungsmitglieder verstoßen.

Ab dem 22. Mai 2018 war die Ex-Ministerin wieder offiziell erwerbstätig. Die staatlichen Zahlungen wurden eingestellt. Karmasins Leben lief in normalen Bahnen. Bis zum 8. März 2022, als die „ZIB 2“ über die Gehaltsfortzahlung berichtete – und über Pläne im Kanzleramt, die ausbezahlten Beträge zurückzufordern. Dann ging es schnell. Bereits am nächsten Tag langten am Konto des Kanzleramts 62.193,70 Euro ein. Auftraggeber: Karmasins Anwalt. Verwendungszweck: „Refundierung Ministergehaltfortzahlung“. Am 22. April folgte die ausstehende Differenz. Der Schaden war formal wiedergutgemacht, und daher wird Karmasins Anwalt kommende Woche vor Gericht auf tätige Reue seiner Mandantin plädieren.

Doch die Staatsanwaltschaft will davon – und von einer Diversion – nichts wissen. Die Rückzahlung sei zu spät und nicht freiwillig erfolgt. Karmasins Ziel sei es gewesen, „sich zum Nachteil der Republik Österreich unrechtmäßig zu bereichern“. Aus Sicht der Ankläger beging die Ex-Ministerin einen Sozialleistungsbetrug auf höchster Ebene.

Preisabsprachen

Beim zweiten Anklagekomplex geht es um mutmaßliche illegale Preisabsprachen bei Vergabeverfahren. Zwischen 2019 und 2021 erhielt die Karmasin Research & Identity GmbH vom Sportministerium den Zuschlag für drei Studien. Die WKStA wirft Karmasin vor, mit zwei weiteren Anbieterinnen, darunter ihrer früheren Mitarbeiterin Sabine Beinschab, eine Absprache getroffen zu haben. Diese hätten überhöhte Scheinangebote gestellt, damit Karmasin die Aufträge erhalte. Gegenleistung seien kleinere Subaufträge gewesen. Heimlicher Mitwisser der Malversation soll ein Spitzenbeamter des Ministeriums gewesen sein, der nun mit Karmasin auf der Anklagebank sitzt. 

Die Aufträge des Sportministeriums waren lukrativ. Für die Studie „Motivanalyse – Bewegung und Sport“ stellte Karmasin im April 2020 63.600 Euro in Rechnung, für „Frauen im Vereinssport“ im Juli 2021 63.890 Euro. Für eine dritte Studie („Kinder und Jugendliche im Vereinssport“) legte Karmasin ein Anbot in Höhe von 68.980 Euro.

Allerdings kamen Mitarbeiter des Sportministeriums Zweifel an der Notwendigkeit der Studie. Am 7. Oktober 2021 zog Karmasin ihr Anbot zurück und begründete dies mit mangelnden Kapazitäten.

Der wahre Grund war ein anderer: Am Tag zuvor hatte es bei Karmasin eine Hausdurchsuchung gegeben – in Zusammenhang mit der ÖVP-Inseratenaffäre. Bekanntlich wirft die WKStA Ex-Kanzler Sebastian Kurz, dem früheren Generalsekretär im Finanzministerium Thomas Schmid und anderen vor, sich über Regierungsinserate wohlwollende Boulevard-Berichterstattung gekauft und frisierte Umfragen bestellt zu haben. Karmasin hätte dabei noch als Ministerin eine zentrale Rolle gespielt. In den Einvernahmeprotokollen leugnet sie ihre Beteiligung. Sie habe „an keinem gemeinsamen Tatplan mitgewirkt“ und lediglich den Kontakt zwischen Thomas Schmid und der Meinungsforscherin Sabine Beinschab vermittelt.

Wann die Inseraten-Affäre zur Anklage kommt, ist nicht absehbar.

Und so ist es Sophie Karmasin, die vorangehen und als Erste vor Gericht erscheinen muss. Karmasin war auch die erste und bisher einzige Spitzenpolitikerin der Volkspartei, die am eigenen Leib erfuhr, welch schwerwiegende Folgen staatsanwaltliche Ermittlungen haben können. Im März 2022 war sie festgenommen worden und saß mehr als drei Wochen in Untersuchungshaft.

Die Quereinsteigerin und der Außenminister

Sebastian Kurz und Sophie Karmasin waren am selben Tag Minister geworden. Am 16. Dezember 2013 beförderte der damalige Vizekanzler und ÖVP-Obmann Michael Spindelegger Kurz vom Staatssekretär zum Außenminister und holte die 46-jährige Karmasin als Quereinsteigerin in sein Regierungsteam, wo sie die Jugend- und Familienagenden übernahm. Karmasin hatte nur einen Tag und eine Nacht Bedenkzeit. Während sie überlegte, raunte Spindeleggers umtriebiger Pressesprecher vor Journalisten bereits von einer personellen Überraschung. Sein Name: Thomas Schmid. Er sollte einer der wenigen Vertrauten der Ministerin werden. Man traf sich auch privat.

Das Motiv, Karmasin ein Spitzenamt anzubieten, muss nicht erforscht werden: Spindelegger war ein blasser Parteichef. Bei der Wahl im September 2013 hatte die ÖVP nur 24 Prozent erhalten, das schlechteste Ergebnis in der Zweiten Republik. Mit den NEOS erwuchs der verbrauchten Volkspartei plötzlich ein moderner, bürgerlicher Kontrahent.

Nach mehrwöchigen Verhandlungen einigte sich Spindelegger mit SPÖ-Chef und Kanzler Werner Faymann auf die Fortsetzung der Großen Koalition. Karmasin sollte Spindeleggers Team aufpeppen und als moderne Frau der Volkspartei ein neues Image verleihen. Der ÖVP trat sie nie formal bei. Schon damals meinten Karmasin-Kenner, sie wäre auch auf einem SPÖ-Ticket Ministerin geworden, hätte Werner Faymann sie gefragt.

Karmasin war zu dieser Zeit ein TV-Star. Gemeinsam mit dem Politologen Peter Filzmaier analysierte sie im ORF die Politik und verfügte so über reichlich Prominenz, den wichtigsten Treibstoff in Quereinsteiger-Karrieren. Zudem war sie eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die die Vereinbarkeit von Job und Familie vorlebte. Allerdings soll die Karmasin Motivforschung GmbH schon bei ihrem Wechsel in die Politik weniger profitabel gewesen sein als in der Vergangenheit. Im Jahr 2014 wurde das Unternehmen verkauft.

Bis zum Beginn ihrer Politkarriere hatte Karmasin üppige Geschäfte mit öffentlichen Institutionen gemacht. Michael Spindeleggers Außenministerium verrechnete sie 2011 und 2012 insgesamt 78.500 Euro für Kommunikationsberatung. Ebenfalls auf ihrer Kundenliste finden sich in diesen Jahren das Finanzministerium und das Justizministerium. Karmasins Fachgebiet ist die Motivforschung. Das notwendige Basiswissen holte sie sich beim Psychologiestudium an der Universität Salzburg und durch ein BWL-Doktoratsstudium in Wien. Danach arbeitete sie als Produktmanagerin bei Henkel in Wien, Belgien und den Niederlanden. Sie lernte, dass Verkauf alles ist, auch in der Politik. Die familiäre Prägung erfolgte durch ihre Mutter Helene und ihren Vater Fritz. Beide waren Pioniere der Markt- und Motivforschung in Österreich. Mitte der 1990er-Jahre stieg schließlich auch die Tochter ins Business ein.

Frau ohne Selbstzweifel

Eigentlich hatte Sophie Karmasin alles, was man sich wünschen kann. Aber sie wollte mehr – und traute es sich auch zu. Wer Selbstzweifel hat, wird nicht Minister, schon gar nicht ohne jede politische Erfahrung. Skepsis an ihren Fähigkeiten gab es auch in der ÖVP. Offen ausgesprochen wurden sie nur von Dorothea Schittenhelm, der damaligen Bundesleiterin der ÖVP-Frauen, die ihrem Parteichef Spindelegger ausrichtete, es hätte auch in den eigenen Reihen geeignete Kandidatinnen für den Ministerposten gegeben.

Allerdings repräsentierte Karmasin das Gegenteil der konservativen Schittenhelm. Im ÖVP-Programm fand sich im Jahr 2013 noch der Satz: „Die Familie mit zwei Elternteilen und Kindern ist unser Leitbild.“ Karmasin aber sagte: „Familie ist dort, wo sich Menschen wohlfühlen.“ Sie sprach sich für die rechtliche Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften aus und scheute sich auch nicht, über ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare und die künstliche Befruchtung für alleinstehende Frauen nachzudenken. Ihre harmonischen Auftritte mit ihrer SPÖ-Kollegin, Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek, sorgten für Befremden in der Volkspartei. Für Irritation sorgte es auch, dass sie bei der Präsidentschaftswahl 2016 nicht den ÖVP-Kandidaten Andreas Khol präferierte, sondern die unabhängige Irmgard Griss.

Karmasin verstand es, sich selbst zu vermarkten. Fast wöchentlich veranstaltete sie Pressekonferenzen, von denen die Parteizentrale oft nichts wusste. Die Message Control von Sebastian Kurz existierte damals noch nicht. Manchmal ging die Selbstinszenierung schief. Im September 2014 veröffentlichte sie auf einem Videokanal eine Homestory, in der sie genüsslich in eine Schwedenbombe beißt. Der sinnige Text dazu: „Es gibt ja auch nicht einen Familientypus in Österreich, sondern viele – wie bei den Schwedenbomben.“ Nach dem medialen Hinweis, dass ihr Mann Geschäftsführer des Schwedenbomben-Produzenten sei, wurde das Video vom Netz genommen.

Repräsentanz schlug bei Karmasin oft Inhalt. Für Kleidung gab sie viel Geld aus. Regelmäßig lieferten Nobelboutiquen Pakete direkt ins Ministerium. Vor dem Opernball probierte sie mehrere Kleider. In Politik und Wirtschaft galt aus ihrer Sicht: „Kommunikation funktioniert zu 95 Prozent über Auftritt, Rhetorik und Erscheinungsbild.“

Daran gemessen war Karmasin eine fähige Ministerin. Aber auch inhaltlich verzeichnete sie Erfolge wie das 18-Jahre-Alterslimit beim Rauchen, den Ausbau der Kinderbetreuung und das flexible Kinderbetreuungsgeld. Sonderlich komplex war das Familienministerium nicht, es verfügte nur über eine Sektion. Dennoch hielt Karmasin ihr Haus für „ein entscheidendes Ressort“. Weil: „Es geht auch darum, die Geburtenrate nachhaltig zu steigern. Wenn wir das nicht tun, kommt uns die Zukunft abhanden.“

Der erste Rückschlag in Karmasins Karriere kam im September 2014. Michael Spindelegger gab entnervt auf und trat als Vizekanzler und ÖVP-Obmann zurück. Sein Nachfolger Reinhold Mitterlehner hielt wenig von Karmasin – und ließ sie das auch spüren. Schreiduelle sind überliefert. Karmasin vereinsamte. Sie hatte es verabsäumt, sich innerhalb der ÖVP ein Netzwerk zu schaffen. Wollte sie auch nicht: Abendtermine bei schwarzen Landes-, Teil- oder Vorfeldorganisationen waren ihr zu mühsam. Auch in der Beamtenschaft des Familienministeriums wunderte man sich über die Ressortchefin, wenn sie wieder einmal schon um 18 Uhr Feierabend machte.

Als Innenministerin Johanna Mikl-Leitner im Jahr 2016 in die niederösterreichische Landesregierung wechselte und vom heutigen Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka ersetzt wurde, war Karmasin plötzlich die einzige Frau im ÖVP-Regierungsteam. Ihr Leben wurde noch schwieriger. Im Mai 2017 war auch Mitterlehners Zeit abgelaufen. Sein designierter Nachfolger als ÖVP-Chef, Sebastian Kurz, rief Neuwahlen für den Herbst aus.

Nicht mit der FPÖ

In ihrer gemeinsamen Regierungszeit bemühte sich Kurz nie um Karmasin. In seinen unmittelbaren Machtplänen kam sie nicht vor. Und Karmasin konnte ihrerseits wenig mit dem ehrgeizigen Außenminister anfangen. Im Duett fielen sie nur einmal auf: 2016 schlugen Kurz und Karmasin vor, die Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder zu reduzieren. Applaus vom rechten Rand war garantiert. Allerdings heißt es heute, Karmasin habe den Plan abgelehnt, sich aber Kurz beugen müssen.

In dessen Kanzlerteam hätte Karmasin nicht gepasst. Eine Zusammenarbeit mit der FPÖ schloss sie dezidiert – und glaubhaft – aus. Zum einen empfand sie Abneigung gegenüber der rechtspopulistischen bis rechtsextremen blauen Politik. Zum anderen wohl auch aus gesellschaftlichen Gründen: Karmasin wurde im gehobenen Wiener Bürgertum sozialisiert. Die Milieus der Wiener FPÖ waren ihr fremd.

Kurz vor der Wahl, im August 2017, gab Karmasin „mit etwas Wehmut“ bekannt, aus der Politik auszuscheiden und wieder in die Meinungs- und Motivforschung zurückzukehren. Ihr Resümee: „Ich würde es wieder tun und auch anderen raten, es zu machen.“ Mit dem neuen ÖVP-Chef habe die Entscheidung nichts zu tun: „Ich unterstütze Sebastian Kurz und seine Bewegung voll und ganz.“

Nach dem Ende der Politkarriere arbeitete sie in ihrem alten Metier in der Karmasin Research & Identity GmbH, um wieder „das Gemeinte hinter dem Gesagten zu ergründen“. Karmasin war gut gebucht, auch das Geschäft mit öffentlichen Stellen lief wieder an, nicht nur mit dem Sportministerium. Für das Wirtschaftsressort unter ÖVP-Ministerin Margarete Schramböck erstellte sie in den Jahren 2019 und 2020 ein neues Leitbild und kassierte dafür 125.920 Euro. Für das Land Niederösterreich führte sie eine Umfrage zum Wirtschaftsstandort durch, für die Salzburger-Land-Tourismus erhob sie die Einstellung der Österreicher zum Thema „Der Wald: Sehnsuchtsort und ein Stück Heimat“. Für private Kunden erforschte sie die Meinungslage zum Abschuss von Wölfen, zum Lebenstraum „Eigenheim“ und trat dazu regelmäßig als Vortragende und in TV-Talks auf.

Es war ihr gelungen, sich nach dem Ende ihrer Ministerkarriere neu zu etablieren. Nicht jedem Spitzenpolitiker glückt das. Doch nun ist alles verloren – wie auch immer ihr Prozess am Straflandesgericht enden wird. Ist Sophie Karmasin irgendwann aus Versehen falsch abgebogen oder musste es zwangsläufig so kommen?

Die Staatsanwaltschaft liefert in ihrer Anklageschrift eine harsche Analyse. Karmasins mutmaßliche Taten hätten „auf einer gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnenden und gleichgültigen Einstellung“ beruht. Das Handeln der „überdies wirtschaftlich äußerst gut situierten Angeklagten“ sei „auf maximale persönliche Bereicherung zu Lasten der Allgemeinheit in beträchtlichem Ausmaß“ gerichtet gewesen.

Was die Anklage auf mehreren Zeilen beschreibt, gilt im Allgemeinen als eine der Hauptsünde des Menschen: Gier. Frühere Wegbegleiter bestätigen, dass Karmasin meist darauf bedacht war, den eigenen Nutzen zu optimieren. Als Ministerin war es ihr wichtig, regelmäßig Generaldirektoren und Unternehmer zu treffen, und sie propagierte dazu Familienfreundlichkeit als Wettbewerbsfaktor. Solche Kontakte aus politischer Arbeit können später für private Zwecke verwertet werden.

Im August 2015 hatte der „Standard“ ein Sommergespräch zwischen Karmasin und dem Regisseur Harald Sicheritz („Vorstadtweiber“) organisiert. In dessen Verlauf meinte Sicheritz, das „Klischee“, Politiker seien korrupt, käme nicht von ungefähr. Darauf Karmasin: „Diesen Politikertypus gibt es heute nicht mehr.“ Nachfrage Sicheritz: „Ist das so?“ Antwort Karmasin: „Zumindest gibt es diesen Politikertypus nicht mehr in der Regierung.“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.