SOS Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak

SOS Mitmensch-Sprecher Pollak: "Kickl ist die Verfassung lästig"

SOS Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak über die geplante Kürzung der Mindestsicherung, den Zustand der Zivilgesellschaft in Österreich und das Verhältnis des Innenministers zur Verfassung.

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INTERVIEW: CLEMENS ENGERT

profil: Vor etwas mehr als einem Jahr haben wir über die ersten Maßnahmen der Regierung gesprochen. Was hat sich seitdem verändert? Alexander Pollak: Es ist leider viel von dem eingetreten, was wir befürchtet hatten. Die zaghafte Integrationspolitik ist einer handfesten Desintegrationspolitik gewichen. Es gibt zudem einen Angriff auf den Sozialstaat. Es sind bei jenen Menschen Kürzungen geplant, die ohnehin am wenigsten haben. Wir erleben außerdem, dass Frauenrechtsorganisationen unter Druck geraten, dass Rechtsextreme und Rassisten in hohe politische Positionen gelangen und, dass rechtsextreme Medien so stark gefördert werden wie nie zuvor. Erstmals in der Zweiten Republik müssen wir auch beobachten, wie sich Mitglieder der Regierung an rassistischen Kampagnen beteiligen – insbesondere an Kampagnen, die sich gegen Musliminnen und Muslime richten.

profil: Worauf beziehen Sie sich konkret? Alexander Pollak: Wir haben einen Bericht erstellt, in dem wir 20 anti-muslimische und rassistische Kampagnen in der österreichischen Spitzenpolitik im Jahr 2018 dokumentiert haben. An einigen der Kampagnen war etwa Vizekanzler Strache beteiligt. Und an dem berüchtigten rassistischen Video, das die FPÖ zum Thema „E-Card“ veröffentlicht hat, hat Sozialministerin Beate Hartinger-Klein mitgewirkt.

Ich denke, man muss den Herrn Innenminister und das, was er sagt, ernst nehmen.

profil: Innenminister Kickl will eine „Sicherungshaft“ ohne konkreten Tatverdacht einführen. Dafür müsste er die Verfassung ändern. Wie sehen Sie den Vorschlag? Alexander Pollak: Wir sind zunächst einmal froh, dass sich SPÖ und NEOS bisher gegen diese Verfassungsänderung ausgesprochen haben. Der Vorschlag ist extrem problematisch. Man merkt nicht zum ersten Mal, dass Innenminister Kickl die Verfassung lästig zu sein scheint. Aber genau das ist auch die Aufgabe der Verfassung - Grundrechte zu schützen und dort ein Hindernis zu sein, wo Politiker versuchen, diese auszuhebeln.

profil: Ist Innenminister Kickl tatsächlich eine Gefahr für den Rechtsstaat und die Verfassung oder sind seine Aussagen hauptsächlich politisches Kalkül? Alexander Pollak: Ich denke, man muss den Herrn Innenminister und das, was er sagt, ernst nehmen. Wir hatten davor gewarnt, zu glauben, dass die FPÖ mit ihrem Naheverhältnis zum organisierten Rechtsextremismus in der Regierung plötzlich zu einer ganz anderen Partei werden würde. Diese Wandlung ist nicht passiert. Österreich ist zum Glück eine gefestigte Demokratie, wir haben eine starke Verfassung und einen starken Verfassungsgerichtshof – es braucht jedoch Wachsamkeit.

Alexander Pollak protestiert gegen Innenminister Kickl (im Hintergrund)

profil: Hätten Sie vor einem Jahr gedacht, dass Kickl so polarisierend agieren würde oder sind Sie selbst darüber überrascht? Alexander Pollak: Über den Innenminister selbst bin ich nicht überrascht. Ich bin eher überrascht, wie schnell die Art von Politik, die Kickl und Strache schon länger betreiben, auf große Teile der Bundesregierung abgefärbt hat. Derzeit haben wir unter anderem den Fall, dass das Integrationsministerium einem Verein sämtliche Fördermittel gestrichen hat, weil dieser Verein Nachhilfe gibt und dabei Kinder von Asylsuchenden nicht von vornherein ausschließt. Das sind Entwicklungen, die selbst mich überraschen – wenn das dafür zuständige Ministerium sämtliche Werte, die mit „Integration“ zu tun haben, über Bord wirft.

profil: Das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen wurde kürzlich zum „Ausreisezentrum“. Sie haben für Aufsehen gesorgt, als sie das neue Schild des Innenministeriums überklebt haben. Können Sie kurz erklären, was der Zweck dieser Aktion war? Alexander Pollak: Wir haben bemerkt, dass der Innenminister ein Schild anbringen ließ, das schlicht und einfach falsch ist und seine Anti-Asyl-Propaganda nach außen tragen sollte (Anm.: auf einem Schild des Bundesasylamts in Traiskirchen war die Behörde als „Ausreisezentrum“ gekennzeichnet). Es war für uns klar, dass wir da eine Aktion machen müssen. Wir sind dann kurzentschlossen nach Traiskirchen gefahren, haben das Schild überklebt und ein Video dazu gemacht.

profil: Im Laufe dieses Jahres tritt die geplante Kürzung der Mindestsicherung (Anm.: es gibt noch kein endgültiges Gesetz) in Kraft. Wie wird sich diese Maßnahme konkret auswirken? Alexander Pollak: Was wir erleben, ist, dass Gutverdienende einen Bonus obendrauf bekommen und bei Menschen, die ohnehin nichts haben, gekürzt wird. Wir befürchten, dass insbesondere Familien mit Kindern betroffen sein werden. Die Regierung hat angekündigt bei Kindern um bis zu 80% zu kürzen. Darüber hinaus soll es auch bei kinderlosen Paaren Einschnitte geben und ganz massiv werden Personen betroffen sein, die entweder keinen Pflichtschulabschluss haben oder nicht gut Deutsch können. Subsidiär Schutzberechtigte (Anm.: Flüchtlinge, denen ein ernsthafter Schaden drohen würde, wenn sie in ihr Herkunftsland abgeschoben werden würden) sollen überhaupt von der Mindestsicherung - die eigentlich keine Mindestsicherung mehr ist - ausgeschlossen werden.

Es ist zu befürchten, dass die Regierung ihren Kurs der Spaltung und Desintegration fortsetzt. Umso wichtiger ist es, dass es auch Gegenkräfte dazu gibt.

profil: Arme Menschen werden zunehmend als „leistungsunwillig“ und Reiche als „fleißig“ dargestellt, warum? Alexander Pollak: Wir haben eine Regierung, die sich darauf spezialisiert hat, zu spalten und Menschen gegeneinander auszuspielen. Derzeit liegt der Fokus leider darauf, bei den Einkommensschwächsten und den Gruppen mit der wenigsten politischsten Macht zu kürzen. Gleichzeitig werden Geschenke an Menschen verteilt, die nicht unbedingt Not leiden.

profil: Besteht die Gefahr, dass die Regierung die oft zitierten Errungenschaften des österreichischen Sozialstaates gänzlich rückgängig machen könnte? Alexander Pollak: Was wir sicher erleben werden, ist eine Verschärfung der Armut in Österreich. Wenn die Sozialkürzungen kommen, die die Regierung plant, wird die Schere zwischen reich und arm weiter auseinandergehen – mit all den sozialen Folgeerscheinungen, die Armut mit sich bringt. Ich glaube zwar nicht, dass der Sozialstaat zur Gänze zerstört werden wird, aber das soziale Netz wird an einigen wichtigen Stellen eingerissen.

profil: Wie wird Österreich im Jahr 2020 aussehen? Wird es ungemütlicher? Alexander Pollak: Es ist zu befürchten, dass die Regierung ihren Kurs der Spaltung und Desintegration fortsetzt. Umso wichtiger ist es, dass es auch Gegenkräfte dazu gibt. Auch innerhalb der Regierung gibt es zum Glück ab und zu Widerspenstigkeit. Justizminister Moser hat etwa nicht zugelassen, dass die Rechtsberatung schon in Bälde in staatliche Hand kommt, sondern hat diesen Prozess zumindest ein bisschen verzögert.

Es gibt in Österreich zum Glück eine sehr mutige und starke Zivilgesellschaft.

profil: Wie kann man der zunehmenden Spaltung unserer Gesellschaft als Einzelperson entgegenwirken? Alexander Pollak: Man kann sich zum Beispiel auf persönlicher Ebene im Alltag solidarisch verhalten, man kann Petitionen unterstützen, man kann spenden, man kann Nachhilfe geben. Es gibt wirklich sehr viele Möglichkeiten, sich zu engagieren. Wir als „SOS Mitmensch“ versuchen, mutige Menschen zu unterstützen und ihnen Rückhalt zu geben. Deswegen verleihen wir auch heuer wieder unseren „Ute Bock Preis für Zivilcourage“ im Rathaus an Menschen, die außerordentliche Zivilcourage bewiesen haben.

profil: Beobachten Sie derzeit eine Stärkung oder Schwächung der Zivilgesellschaft? Alexander Pollak: Es gibt in Österreich zum Glück eine sehr mutige und starke Zivilgesellschaft. Auf lokaler Ebene gibt es zum Beispiel in vielen Gemeinden Gruppen, die sich für Asylsuchende einsetzen. Auch in der Landespolitik gibt es immer wieder Stimmen, die sich gegen Abschiebungen aussprechen.

profil: Zuletzt haben sich auch immer mehr Personen des öffentlichen Lebens zu Wort gemeldet – Elfriede Jelinek hat sogar einen Text für SOS Mitmensch geschrieben. Alexander Pollak: Wir konnten eine Reihe von bekannten Persönlichkeiten für unsere Kampagne gegen die Kürzung der Mindestsicherung gewinnen. Elfriede Jelinek hat sofort zugesagt und uns einen eindrucksvollen Text geschickt, der das Bild von der „sozialen Hängematte“ sehr kritisch beleuchtet.

Zur Person

Alexander Pollak, geboren 1973, ist seit Ende 2010 Sprecher der österreichischen Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch. Davor leitete er fünf Jahre lang Antidiskriminierungsprojekte bei der EU-Grundrechteagentur (FRA) in Wien. Er hat an der politikwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien gelehrt und zahlreiche Bücher und Artikel zu wissenschaftlichen Themen und zum politischen Zeitgeschehen verfasst. Zuletzt erschienen sind 2013 "Gut gegen Mölzer. Exkursion ins rechte Eck" (Verlag edition a), 2015 "Hassprediger. Der aufhaltsame Aufstieg des Johann G." (Verlag epubli) und 2017 „Zwanzig Erfolgsfaktoren der extremen Rechten. Zwanzig Gegenstrategien“ (Verlag Books on demand).