Das Drama um die Lipizzaner
An kaum einem Ort sind Klassen- und Rassenunterschiede so offensichtlich wie am Wiener Michaelerplatz. An der einen Ecke stehen Fiakerpferde mit gesenkten Köpfen auf hartem Beton, während ihre Besitzer um die Aufmerksamkeit von Touristen buhlen. Nur wenige Meter entfernt können sich ihre adeligen Verwandten so ein Dasein im Leben nicht vorstellen. Die Lipizzaner der Spanischen Hofreitschule können sich vor Besuchern kaum retten. Hunderttausende pilgern jedes Jahr hierher, um die weißen Hengste zu bewundern. Diese stehen in luxuriösen, mit Gold verzierten Stallungen, jede Box ist kniehoch mit Stroh eingestreut und trägt in geschwungenen Lettern den Namen des Bewohners. Rund 200 Personen sind den ganzen Tag damit beschäftigt, für die optimale Entwicklung und das Wohl der Tiere zu sorgen. Genau das soll nun aber angeblich in Gefahr sein, behauptet ein mittlerweile dienstfrei gestellter Oberbereiter, wie aus E-Mails und Chatverkehr hervorgeht, die profil anonym auf einem blauen USB-Stick zugespielt wurden.
Was dort zu lesen ist, klingt alarmierend. Die Hofreitschule befinde sich seit „der Ausgliederung in einer nie dagewesenen Abwärtsspirale, sowohl was Tierwohl als auch die Qualität der Vorstellungen anbelangt“, schreibt der langjährige Oberbereiter Andreas Hausberger in einem Mail an die Geschäftsführung. Die Spanische Hofreitschule wurde im Jahr 2001 aus der öffentlichen Verwaltung ausgegliedert. Mittlerweile „wird man als Oberbereiter von den Zuschauern angepöbelt, ob man sich ob des Dargebotenen nicht schäme“, behauptet er. Ausbildungsstufen könnten nicht mehr eingehalten werden, das Training müsse in die Vorstellung verlegt werden. „Durch die vielen geplanten Vorstellungen 2023 können überforderte Hengste nur durch vermehrten Einsatz von Sporen und Gerte durch das Programm gebracht werden“, wird da behauptet. Es seien sogar Pferde für Vorstellungen eingesetzt worden, die nicht fit gewesen seien. „Die SHS ist momentan wie die Titanic: das Schiff hat deutliche Schräglage, alle Rettungsboote sind über Bord geworfen, die Band spielt im Ballsaal … und man hofft, dass nicht noch mehr Wasser eindringt und sie untergeht“, zeichnet Hausberger ein fatales Bild. „Ich als dienstältester Oberbereiter mit über 40jähriger Erfahrung, habe die Pflicht auf Missstände und falschen Tendenzen aufmerksam zu machen. Da schüchtern mich Deine angedrohten dienstrechtlichen Konsequenzen nicht ein“, schreibt er an den neuen Geschäftsführer Alfred Hudler. Der zog tatsächlich Konsequenzen und ließ Hausberger – den letzten Beamten – gemeinsam mit dem für ihn zuständigen Landwirtschaftsministerium dienstfrei stellen. Diesem Akt waren – schon vor Hudlers Zeit – etliche Anwaltsbriefe und Streitereien vorausgegangen. Die Pferdeszene ist in heller Aufregung, wo die Vorwürfe die Runde machen. Einschlägige Pferdefachzeitschriften wie die „Pferderevue“ oder „Pro Pferd“ orten einen Skandal. Skandal? Ein Fall für einen profil-Lokalaugenschein.
Edle Stallungen
Die Pferde werden rund um die Uhr versorgt. Alle 30 Minuten werden die Rossäpfel ausgemistet.
Goldene Ställe
Es ist ein gewöhnlicher Dienstagvormittag. In den Stallungen in der Wiener Hofburg duftet es nach frischem Heu und Stroh. Eine Katze schlendert gemütlich die Gänge entlang, um sich schließlich in einer offenen Box in eine Ecke zu legen. Es ist hier erstaunlich ruhig, ein Radio spielt leise klassische Musik, während ein Pferd im Gang frisiert wird. An kälteren Tagen passiert das unter einer riesigen Infrarotlampe – die Warmblüter sollen nicht frieren. Der Stallmeister bereitet gerade Dienstpläne und das Futter vor. Jedes Pferd hat seinen eigenen Speiseplan, der auf die Bedürfnisse abgestimmt ist. Zum Frühstück wird etwa für jedes Tier ein eigenes Müsli zusammengestellt. Für die jungen Hengste darf es eher mehr zum Knabbern sein – die älteren Tiere bekommen wegen schlechter werdenden Zahnmaterials weichere Kost, angereichert mit Vitaminen und Ölen. Was so ein Pferd futtert, kommt irgendwann auch wieder heraus. Alle 30 Minuten werden die Boxen auf Rossäpfel kontrolliert und bei Bedarf gereinigt – bei allen 72 Pferden, die hier untergebracht sind. Insgesamt hat die Hofreitschule im Gestüt Piber und im Lipizzaner-Sommerfrische-Ort Heldenberg 420 Pferde stehen. Dort genießen die privilegierten Hengste ihre Freizeit auf großzügigen grünen Koppeln.
In Wien wird trainiert und gearbeitet: 20 bis 30 Minuten wird jedes Pferd am Tag trainiert, dazu gibt es tägliche Spaziergänge. Die Trainings-Morgenarbeit ist für Besucher unter der Woche offen. Wenn man Glück hat, sieht man dort, wie spektakuläre Sprünge geübt werden – manchmal mutet das Training für Laien-Augen aber auch beinahe langweilig an: Das Üben von arrhythmischen Schrittfolgen schaut zwar nach wenig aus, ist aber alles andere als banal. In der Hauptsaison gibt es an drei Tagen pro Woche eine einstündige Show. In Wien gibt es mehr Hengste, als für die Vorführungen benötigt werden. Die Zahl der Vorstellungen hat sich über die Jahre übrigens eher reduziert als dass sie gestiegen wäre. Dezember, Jänner und Februar haben die Hengste Winterpause – im Sommer wird ebenfalls pausiert. Da werden die Pferde aus der Stadt gebracht – die Hitze sei nicht zumutbar, befindet man in der Geschäftsführung. Überhaupt werden die Pferde umhegt und umsorgt: Es gibt fix angestellte Tierärzte, die jeden Tag da sind und durch die Ställe patrouillieren. Chiropraktiker kommen und arbeiten mit den Pferden. Kurzum: In manchem Pensionistenwohnheim würde man ob der Rundumbetreuung und des Personalschlüssels wohl vor Neid erblassen. Den Tieren der Spanischen Hofreitschule geht es sichtlich gut. Sie sind top gepflegt, entspannt, neugierig und zutraulich. Die Vorwürfe sind demnach wenig nachvollziehbar – woher und wieso kommen sie dann?
Der neue Geschäftsführer
Alfred Hudler war zuvor bei Ottakringer Vorstand, jetzt führt er seit rund hundert Tagen die Hofreitschule.
Intrigen-Stall
Das können sich die Bereiter und der Stallmeister, mit denen profil gesprochen hat, auch nicht wirklich erklären. Rational sehe man dafür keinen Grund – und man ärgere sich auch darüber, dass die Spanische nun schlecht dastehe, nur weil sich Einzelne „wieder einmal beschweren“. Wieder einmal. Intrigen und Verwerfungen haben in der Hofreitschule nämlich ebenso Tradition wie die hohe Reitkunst. In regelmäßigen Abständen schafft es die Institution
damit in die Schlagzeilen: Zuletzt gab es eine große Aufregung über den einstigen Aufsichtsratsvorsitzenden Johann Marihart. Der hatte für seine Tochter einen Lipizzanerhengst gekauft und soll diesen dann jahrelang in der Hofreitschule ausbilden haben lassen – auf Kosten der Hofreitschule. Das rief sogar die Staatsanwaltschaft auf den Plan. Die Ermittlungen wurden mittlerweile eingestellt, der Hengst wurde von der Hofreitschule zurückgekauft. Marihart legte seine Funktion am 6. Jänner 2022 zurück. Der Fall kam auf, weil ein Mitarbeiter die Vorwürfe anonym an Medien gespielt hatte.
Andreas Hausberger ist auch nicht der erste Oberbereiter, der nach unüberbrückbaren Verwerfungen und Machtkämpfen mit der Geschäftsführung ging – oder gegangen wurde: Es gab seit 2001 mehrere Dienstfreistellungen, frühzeitige Karenzierungen und Kündigungen, die alles andere als geräuschlos über die Bühne gingen.
Derzeit sind 15 Bereiter am Wiener Standort tätig, davon zwei Oberbereiter. Letztere haben viel Macht. Sie sind für die Ausbildung von Reitern und Tieren federführend zuständig – und ähnlich wie beim Zaubertrank des Druiden Miraculix wird das geheime Wissen darüber nur mündlich weitergegeben. Die Oberbereiter sind also Hüter eines unschätzbaren Know-hows, das über Jahrzehnte gesammelt und perfektioniert wurde. Dass Hausberger als Ausbildner nun wegfällt, sieht man in der Hofreitschule dennoch gelassen. Er sei die vergangenen Monate schon oft ausgefallen. Man habe sich die Obsorge über die Pferde aufgeteilt, alles laufe gut weiter. Die geschassten Oberbereiter – einst laut Angaben anderer Bereiter Hausbergers Feinde – sehen das anders und stellen sich heute auch öffentlich auf seine Seite. Hausberger will sich auf profil-Anfrage zu all dem nicht äußern.
Nicht nur bei den Oberbereitern gab es zuletzt einige Zu- und Abgänge. Auch der Verschleiß der Geschäftsführer ist beachtlich – und sorgte immer wieder für Schlagzeilen. Seit der Ausgliederung im Jahr 2001 waren Werner Pohl, Armin Aigner, Elisabeth Gürtler, Erwin Klissenbauer und Sonja Klima an der Spitze. Seit etwa 100 Tagen heißt der neue Geschäftsführer Alfred Hudler, der zuvor im Vorstand der Ottakringer Holding war und nicht nur finanziell ein schweres Erbe antrat. Bei einem Umsatz von zwölf Millionen Euro liegt der Verlustvortrag bei 28 Millionen Euro. Der Wiener Standort ist zwar profitabel, aber die Zucht im steirischen Piber ausgesprochen teuer. Dazu hat die Spanische auch viele unter Denkmalschutz stehende Gebäude zu erhalten, das kostet. Die Hofreitschule bekommt – obwohl sie als immaterielles Kulturerbe gilt – keine Kulturförderung. Denn sie ressortiert beim Landwirtschaftsministerium, das die Nachzucht mit rund einer Million Euro fördert. Hudler muss die Spanische also finanziell, aber auch atmosphärisch sanieren. Letzteres ist eine Aufgabe, an der schon viele vor ihm gescheitert sind. In Pferdesprech wäre das etwa eine Kapriole, auf die eine Courbette folgt und mit einer Pirouette endet.