Christian Deutsch
Österreich

SPÖ: Das letzte Gefecht des Christian Deutsch

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch führt die personell ausgedünnte Parteizentrale wie eine Trutzburg für Parteichefin Pamela Rendi-Wagner. Bei früheren Machtkämpfen um die Parteispitze stand er stets auf der Seite der Sieger. Auch dieses Mal?

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Die Wände in Christian Deutschs Büro in der Wiener Löwelstraße hinter dem Burgtheater sind kahl. Nur zwei Bilder hängen in einer Ecke nebeneinander: Eines zeigt Parteichefin Pamela Rendi-Wagner, umringt von allen noch lebenden SPÖ-Altkanzlern. Das Foto entstand 2022 nach der Grundsatzrede Rendi-Wagners in Wien und sollte Einigkeit signalisieren. Daneben hängt ein Porträt von Victor Adler, dem Gründervater der Sozialdemokratie. Ihm gelang es 1889, verschiedene Strömungen der Arbeiterbewegung zu einen.

Christian Deutsch propagiert Einigkeit als höchstes Gut. Wer es infrage stellt, hat ihn zum Feind. Unter den Bildern lehnt ein Taferl. Es zeigt den Absturz der SPÖ in einer Umfrage seit dem Jahr 2021 von zwischenzeitlich 34 auf jetzt 20 Prozent. Daneben erklären gelbe Kästchen das Minus aus Deutschs Sicht. In einem steht etwa: „Doskozil-Interview in der Presse“ – „Schauen wir mal“. So hatte der burgenländische Landeshauptmann auf die Frage geantwortet, ob Rendi-Wagner Spitzenkandidatin bei der nächsten Nationalratswahl wird. „Man sieht, wie wir ohne die Querschüsse dagestanden wären“, kommentiert Deutsch das Taferl.

Ironie der SPÖ-Geschichte: Bei früheren Machtwechseln in der Partei war Deutsch Einigkeit weniger wichtig. Querschüsse waren seine Spezialität. Bei den Demontagen von Alfred Gusenbauer, Christian Kern und Michael Häupl wirkte Deutsch lustvoll mit. Nun will er die Ablöse von Rendi-Wagner verhindern. Und damit auch seine eigene.

Für die Herausforderer von Parteichefin Rendi-Wagner, Hans Peter Doskozil und Andreas Babler, verkörpert Deutsch wie kein anderer jene SPÖ, die sie leidenschaftlich bekämpfen: technokratisch, auf Wiener Machtzirkel fokussiert, inhaltlich unscharf. Gewinnen Babler oder Doskozil die Mitgliederbefragung, ist Deutsch seinen Job los, haben sich beide festgelegt. Gewinnen Rendi-Wagner und damit er selbst, muss er mithelfen, eine Partei zu einen, die in drei Lager zerfallen ist. Als Parteimanager für alle Genossen zwischen Eisenstadt und Bregenz ist das eigentlich auch sein Job. Vielen SPÖlern, vor allem außerhalb Wiens, ist er jedoch ein rotes Tuch. Wie soll ausgerechnet einem Politiker mit seiner Vita das Kunststück der roten Wiedervereinigung gelingen?

Taktiker aus Leidenschaft

Das Gespräch mit „profil“ findet am 9. Mai statt, der Tag vor Ende der Mitgliederbefragung, bei der knapp 150.000 SPÖ-Mitglieder über die künftige Parteispitze abstimmen konnten. Das Ergebnis soll am 22. Mai verlautbart werden. Deutsch wirkt gelöst. Als Chef der Parteizentrale war er Zeremonienmeister des Dreikampfs, beauftragte externe Firmen mit der Abwicklung, entwarf den Fragebogen mit der schrägen Antwortmöglichkeit „keiner der genannten Bewerber“.

Was er nicht vorhersah: den abrupten krankheitsbedingten Rückzug von Harry Kopietz (74) als Chef der Wahlkommission. Das rote Urgestein Kopietz war bis 2018 Präsident des Wiener Landtages. Als Wahl sieht Deutsch die Mitgliederbefragung nicht, er stellte von Beginn an klar, sie sei bloß ein „Stimmungsbild“. Die eigentliche Vorsitzwahl finde am Parteitag des 3. Juni statt. Für einen wie Deutsch haben „die Gremien“ immer das letzte Wort.

Die Welt der Parteihinterzimmer bevorzugt Deutsch. Umso bemerkenswerter ist die schrille Social-Media-Kommunikation, die Deutsch der Partei verpasste. Im Herbst 2022 holte er Thomas Walach, davor Chef beim Onlinemedium „ZackZack“, als Chef der digitalen Kommunikation. Immer wieder distanzieren sich seither Parteifunktionäre – bis hin zum Tiroler Parteichef Georg Dornauer – von Partei-beiträgen in den sozialen Medien. Am Donnerstag twitterte die Partei ein Meuchelfoto von Werner Kogler. Daneben stand die Suggestivfrage: „Würdest DU diesem Mann ein Anti-Teuerungspaket abkaufen?“ Sogar der SPÖ-Nationalratsabgeordnete Mario Lindner twitterte, das sei der Partei „unwürdig“. Die Löwelstraße stärkt Walach. „Das ist ein super Posting“, hieß es auf Anfrage. Und zur Kritik von Lindner: „Solche Dingen müssen wir, wenn, dann intern diskutieren.“

Wie der ungeliebte Genosse mit Apparatschik-Image, Christian Deutsch, so mächtig werden konnte in der Partei, erklärt seine Vita. Die Übernahme der SPÖ-Zentrale 2019 markiert den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere. Diese begann untypisch. Deutsch wuchs im proletarischen Süden von Linz auf, maturierte 1980 in der katholischen Eliteschule Aloisianum – als eines von zwei Arbeiterkindern in der Klasse, wie er sagt. Nach der Matura zog es Deutsch nach Wien und zur Sozialistischen Jugend. Dort lernte er Freunde fürs Leben kennen: Mit dem späteren Bundeskanzler Werner Faymann, der zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures und dem Medienmanager Wolfgang Jansky („Heute“) bildete er die Stammbesetzung der berüchtigten „Liesinger Partie“. 1990 zog Bures in den Nationalrat ein, 1994 wurde Faymann Stadtrat. Deutsch musste länger warten. Er wurde 2001 Wiener Gemeinderat. Er entwickelte ein untrügliches Gespür für die Machttektonik und beteiligte sich selbst aktiv an so manchem Machtwechsel an der Parteispitze – Querschüsse inklusive.

Als Faymann, inzwischen Infrastrukturminister und Boulevard-Liebling, dann 2008 Alfred Gusenbauer als SPÖ-Chef und Bundeskanzler abmontierte, war Deutsch gerade Wiener Landesgeschäftsführer geworden und unterstützte seinen politischen Lebensmenschen hinter den Kulissen. Offensiv ging es Deutsch 2016 an, als er Wiens Bürgermeister Michael Häupl in die Pension drängen – und Michael Ludwig als Nachfolger installieren wollte. Deutsch teilte in Interviews gegen Häupl aus, etwa mit: „Er regiert wie ein Monarch.“ Oder mit: 22 Jahre an der Macht seien genug. „Brutus“, kommentierte Häupl diese Machenschaften.

Im August 2018 dann läutete Deutsch das Ende von Christian Kern ein. Er erinnerte auf Twitter an Faymann: „Es ist Zeit, die SPÖ wieder derart erfolgreich an die Spitze zu führen.“ Sechs Wochen nach dem Tweet erklärte Kern seinen Rücktritt. „Das Echo hat mich überrascht“, sagt Deutsch. „Es muss ja immer unser Ziel sein, dass die SPÖ an der Spitze steht.“

Sparmeister Deutsch

Langjährige Wegbegleiter wissen an Deutsch zu schätzen, dass er Aufgaben sehr pflichtbewusst erledigt. „Er ist ein ausgezeichneter Parteimanager, der die Bundespartei in einer sehr schwierigen Lage übernommen und konsolidiert hat“, sagt Landtagsabgeordneter Gerhard Schmid, der von 2015 bis 2016 Bundesgeschäftsführer war.

Die schwierige Lage, die Schmid meint, war die Fast-Pleite der Partei zu Deutschs Amtsantritt 2019. Der Schuldenrucksack war durch die Schlappe bei der Nationalratswahl – die SPÖ stürzte von 27 auf 21 Prozent ab und verlor an Parteiförderung – auf 14 Millionen Euro angewachsen. „Wir haben uns einen Sparkurs verordnet. Wenn wir daran festhalten, sind wir bis 2025 schuldenfrei“, sagt Deutsch. Zum Sparkurs gehörte sein Verzicht auf ein Dienstauto, das Ende von teuren Beraterhonoraren sowie 27 Kündigungen. Deutsch sprach sie – brutal – kurz vor Weihnachten 2019 aus. Die Betroffenen waren in einer formlosen Mail informiert worden. „Ich habe hier mit allen persönliche Gespräche geführt“, sagt er und zeigt auf den Besprechungstisch in seinem Büro. „Der Schritt war schmerzhaft, aber alternativlos.“

Hochrangige Genossen wie der frühere SPÖ-Niederösterreich-Chef Franz Schnabl sahen den Schritt als Kriegserklärung und wollten den Abgang von Deutsch. Sie machten ihn und Rendi-Wagner für die Misere der Partei verantwortlich und wollten eine stärkere Einbindung der Länder. „Die Art und Weise der Kündigung war komplett jenseitig“, erinnert sich einer der 27, der sich heute für Doskozil verdingt. Auch ehemalige Mitstreiter von Max Lercher mussten damals gehen. Der Steirer Lercher war Bundesgeschäftsführer unter SPÖ-Chef Kern und versuchte schon damals, die Partei von der „Liesinger Partie“ zu emanzipieren und zu reformieren.

Heute leitet Lercher die Kampagne Doskozils um die Parteiführung. Gewinnt der Burgenländer, würde er Lercher in die Löwelstraße entsenden. Auch manch glühender Babler-Anhänger ist wegen negativer Erfahrungen mit Deutsch besonders motiviert, für den Wechsel zu kämpfen. Mit seiner technokratischen Art hat Deutsch, der Einigkeit beschwört, die Fliehkräfte in der Partei verstärkt.

Im Dreikampf um die Parteispitze kampagnisiert die Parteizentrale für Rendi-Wagner. Deutsch teilt gegen Doskozil und Babler in TV-Auftritten aus. Nach den Verlusten bei den Salzburger Landtagswahlen im April dieses Jahres gefragt, gab er den beiden die Schuld: „Wenn es Querschüsse aus dem Burgenland gibt und wenn behauptet wird, Diskussionen in einem Gremium sind ein Kasperltheater“, dann kenne sich die Bevölkerung nicht mehr aus. Mit dem ersten Teil war Doskozil gemeint, mit dem zweiten Babler. Solche Worte seien nicht mit einer neutralen Rolle eines SPÖ-Bundesgeschäftsführers vereinbar, protestierten Babler- und Doskozil-Leute. Deutsch hält dagegen: „Es ist notwendig, zu sagen, was ist.“

Zukunft im Burgenland?

Sollten Babler oder Doskozil das Rennen machen, wird Deutsch sich einen neuen Job suchen müssen. Oder noch mehr Zeit im Zweitwohnsitz am Neusiedler See verbringen. Auf Social Media teilt Deutsch regelmäßig Seebilder mit Hund Bobo.

Wenn Rendi-Wagner die Mitgliederbefragung gewinnt, soll Deutsch die innerparteilichen Gräben zuzuschütten. „Es wird einfacher, als man es sich vielleicht vorstellt. Die Partei war sich in der Geschichte immer bewusst, dass es die gemeinsame Kraft braucht, um Wahlen gewinnen zu können.“ Wieder beschwört er die Einigkeit – um gleich im nächsten Satz Rendi-Wagners Kontrahenten zu mahnen: „Es kommt nicht nur auf die Parteivorsitzende an, sie ist schon bisher auf alle zugegangen. Es hängt vom einen oder anderen ab, ob er das Ergebnis anerkennt.“

Der große Verbinder wird nicht mehr aus ihm. Das dürfte auch Rendi-Wagner so sehen. Sie will Deutsch im Fall ihres Sieges eine zweite Person in der Bundesgeschäftsführung zur Seite zu stellen.

Foto: Michael Rausch-Schott

Moritz Ablinger

Moritz Ablinger

war bis April 2024 Redakteur im Österreich-Ressort. Schreibt gerne über Abgründe, spielt gerne Schach und schaut gerne Fußball. Davor beim ballesterer.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.