Soll sich die SPÖ weiterhin der FPÖ verschließen?
War das alles nur ein politisches Schauspiel? War Blau-Türkis von Anfang an geplant und die Gespräche zwischen ÖVP, SPÖ und Neos lediglich taktisches Manöver? Erklärungen dieser Art machen schon seit Wochen innerhalb der Roten die Runde. Für die SPÖ ist das Ende einer möglichen Regierungsbeteiligung nun offiziell besiegelt, die Neos haben einen Tag zuvor ihren Rückzug erklärt. Schuldzuweisungen an Andreas Babler bleiben in der SPÖ bislang aus – zumindest sind sie nicht laut genug, um eine ernsthafte Rücktrittsforderung zu provozieren.
Denn an Andreas Babler wird nicht gerüttelt. Eine interne Revolte innerhalb der SPÖ bleibt zumindest vorerst aus, so scheint es. In der gestrigen Präsidiumssitzung soll die Obmannfrage nicht einmal Thema gewesen sein. Geschlossenheit oder bloß Fassade? Denn so mancher innerhalb der Partei stellt sich dennoch die Frage: Wer will sich statt ihm an die Spitze einer SPÖ stellen, die ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis eingefahren hat und für Jahre in der Opposition festsitzen könnte? Babler bleibt vorerst die einzige Antwort. Nicht einmal das Scheitern der Verhandlungen wird ihm angekreidet. Selbst in der Babler-kritischen SPÖ Burgenland übt man sich in Zurückhaltung – wohl auch, weil die Landtagswahlen näher rücken, sie finden am 19. Jänner statt. Dort ist man auch um Distanz zur FPÖ bemüht – dabei hatte Burgenlands SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil noch im Frühjahr für eine Öffnung der SPÖ in Richtung FPÖ plädiert; die Roten sollten die Blauen als Koalitionspartner zumindest nicht ausschließen. Vielen Genossinnen und Genossen kam Doskozils Appell einem Sakrileg gleich, stellte dieser doch eines der wichtigsten roten Dogmen infrage: das kategorische Nein der SPÖ zur FPÖ.
Seit der sogenannten Vranitzky-Doktrin im Jahr 1986 hält die SPÖ den Grundsatz hoch, nicht mit den Freiheitlichen zu koalieren. Zumindest auf Bundesebene blieb dieses Prinzip nahezu vier Jahrzehnte lang bestehen, auf Länderebene koalierte im Burgenland und Kärnten die SPÖ mit der FPÖ. Das rote Nein zu den Blauen auf Bundesebene hatte zur Folge, dass die SPÖ für Regierungsbildungen stets nur auf die ÖVP angewiesen und damit in gewisser Weise erpressbar war. Heute, nach dem Platzen der Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos, stellt sich die Frage: Ist die Vranitzky-Doktrin ein koalitionsstrategischer Nachteil für die Roten – oder in dieser speziellen Situation, in der die FPÖ so stark ist wie noch nie in ihrer Geschichte, gar ein Vorteil?
„Brandmauer“ gegen FPÖ
Der aktuelle SPÖ-Parteichef Andreas Babler wurde im Wahlkampf nicht müde, die Genossinnen und Genossen auf die „Brandmauer“ gegen die FPÖ einzuschwören. Doch immer wieder stellten diese auch andere maßgebliche SPÖ-Politiker mal mehr, mal weniger verklausuliert zur Disposition: Nicht nur Hans Peter Doskozil, ähnliches formulierte auch Wolfgang Zwander, roter Landesgeschäftsführer in Niederösterreich bei einer Pressekonferenz. Und auch Franz Vranitzky mahnt zwar zur Vorsicht bei der FPÖ, hält aber seine eigenen Grundsätze aus den 1980-er Jahren angesichts der veränderten politischen Mehrheitsverhältnisse ebenfalls für nicht mehr zeitgemäß. „Man war ja nicht so gezwungen, an Koalitionen zu basteln, um die 50 Prozent zusammenzubringen“, sagte er in einem Interview im „Kurier“.
Vranitzky-Doktrin: Rettung oder Risiko für die SPÖ?
In der aktuellen Situation könnte die Vranitzky-Doktrin – die trotz aller Einwände niemals gefallen ist – die SPÖ sogar stärken. Denn ihretwegen ist für die Sozialdemokratie ausgeschlossen, den Juniorpartner für die FPÖ zu machen, ob vor oder nach einer Wahl. Sie kommt somit gar nicht in die Versuchung, diese undankbare Rolle einnehmen zu müssen. Denn der Juniorpartner der FPÖ, egal welcher Partei, kann nur verlieren: Er wird derjenige sein, der vornehmlich die Schuld für ein Sparprogramm im Ausmaß von rund 18 Milliarden Euro innerhalb von vier Jahren umgehängt bekommt und dafür an den Wahlurnen büßt. Der Juniorpartner müsste zugleich auch in gesellschafts-, demokratie- und justizpolitischen Bereichen gegen eine starke blaue Kanzlerpartei bestehen. Kurzum, wer jetzt mit der FPÖ koaliert, wird verlieren – aber es wird, dank Vranitzky-Doktrin, nicht die SPÖ sein.
Dennoch spricht zugleich auch einiges dafür, dass die SPÖ – trotz aller Vorbehalte – ihre Meinung ändert und mit der FPÖ zusammenarbeitet. Die FPÖ fährt mitunter ein offen antidemokratisches Programm – die SPÖ könnte unter Umständen, geschwächt aber doch, versuchen, in einer Koalition ein Gegengewicht darzustellen. Diese Rolle könnte die SPÖ allemal glaubwürdiger einnehmen als die ÖVP. Will die SPÖ die Rechtswende also wenigstens geringfügig eindämmen, müsste sie – so widersprüchlich es scheinen mag – zumindest Verhandlungen mit der FPÖ aufnehmen. Dabei müsste sie sich trotz Partnerschaft von deren Positionen radikal abgrenzen. Es wäre womöglich ein Himmelfahrtskommando für die SPÖ, auch, weil zu viele innerhalb der Sozialdemokratie nach rechts blinken. In jedem Fall wäre es ein großes politisches Opfer – ein nobles, und zwar aus Staatsräson.
Pro oder contra Blau-Rot – für beide Positionen finden sich schlüssige Argumente, auch wenn das unvereinbar scheint. Fest steht, dass es zu einer solchen Koalition aktuell höchstwahrscheinlich nicht kommen wird. Machtpolitisch ist das, zumindest derzeit, für die SPÖ ein Vorteil.