SPÖ: Pamela Rendi-Wagner und die roten Rentner
Sonntagvormittag hat Pamela Rendi-Wagner „Gänsehaut pur“. Denn erstmals treffen fünf ehemalige SPÖ-Kanzler zusammen. Anlass ist eine Grundsatzrede (Motto: „Ein Land. Eine gemeinsame Zukunft.“) der Leider-noch-nicht-ersten-SPÖ-Kanzlerin in der Aula der Wissenschaften in der Wiener Innenstadt. Geladen ist auch der ukrainische Botschafter. Reden darf er nicht – warum auch? Zumindest wird er freundlich begrüßt.
„Mit viel Freude“ begrüßt die Moderatorin auch die fünf Ex-Kanzler und stellt sie als „Architekten“ der Zweiten Republik vor. Bei Franz Vranitzky kann man da zustimmen. Immerhin hat er Österreich in die EU geführt. Er musste zuvor auch ziemlich viel Widerstand in der SPÖ überwinden. Bei Viktor Klima wird die Zuschreibung „Architekt“ schon schwieriger. Sein Meisterstück war laut Moderatorin die „Kindergartenmilliarde“. Alfred Gusenbauers Verdienst? Führte die SPÖ „zurück in die Regierungsverantwortung“. Werner Faymann brachte Österreich sicher „durch die Finanzkrise“. Und Christian Kern? „Investitionsprojekte in unsere Gesellschaft“. Wenn Vranitzky Architekt war, sind seine Nachfolger maximal Fliesenleger.
Rendi-Wagner will offenbar einmal im Jahr auffallen – was für die SPÖ meist unangenehm endet. 2020 inszenierte die Parteichefin eine Mitgliederbefragung, aus der hervorging, dass gerade einmal 71 Prozent sie für die geeignete SPÖ-Architektin halten. 2021 folgte ein Parteitag, auf dem sie mit 75 Prozent zur Vorsitzenden wiedergewählt wurde. Rendi-Wagner interpretierte dies als Verbesserung.
Banalitäten
Bei ihrer soliden Rede in der Aula der Wissenschaften kommt sie auf 100 Prozent Zustimmung im Auditorium. Zu Beginn sagt Rendi-Wagner, es nütze nichts, „immer auf die Erfolge der Vergangenheit zu verweisen“, um in der Folge die Hälfte ihrer Redezeit dazu zu benutzen, auf die sozialdemokratischen Erfolge der Vergangenheit zu verweisen – unter besonderer Berücksichtigung der türkis-blau-grünen Misserfolge der vergangenen fünf Jahre. Nur kleine Dinge gehen schief. Etwa als sie die Neutralität lobt und ein früheres Zitat von Heinz Fischer („Der Wert der Neutralität ist nicht von deren Alter abhängig“) „banal“ nennt, obwohl sie eigentlich „eindeutig“ meint. Überhaupt die Neutralität: Zu dieser hat die SPÖ ein Verhältnis wie die Kirche zum Zölibat. Man weiß, dass die eigene Überzeugung nicht mehr ganz in die Zeit passt, hält sie aber dennoch für unverzichtbar. Heinz Fischer revanchiert sich übrigens später, indem er im ORF-Beitrag zur Grundsatzrede über Rendi-Wagner sagt, sie sei eine, „die schnell lernt“. So äußert man sich auch über eine nicht genehme Schwiegertochter.
Rendi-Wagner spult ihr Programm routiniert ab. Nach der Neutralität folgt das Thema „soziale Gerechtigkeit“. Die SPÖ-Vorsitzende erinnert an „meinen eigenen Lebensweg, den manche von euch ja kennen“. Mit Sicherheit wissen über Rendis Lebensweg alle im Saal Bescheid, mit Ausnahme des ukrainischen Botschafters vielleicht. Es ist die Aufstiegsstory von der Tochter einer alleinerziehenden Mutter zur Ärztin, der die SPÖ (nicht ganz) vertraut.
Sie lesen Folge 7/Staffel II einer Serie von Gernot Bauer über die heimische Innenpolitik. Alle bisher erschienen Teile von “Bauer sucht Politik” können Sie hier nachlesen.
Abgeknöpfte Kanzlerschaften
An einer Stelle zeigt Rendi historische Schwächen. Sie kritisiert, die ÖVP stelle nach Alexander Schallenberg mit Karl Nehammer nun schon einen zweiten Kanzler, „der sich keiner Wahl gestellt hat“. Was sie übersieht: Auch zwei Genossen aus Rendis Rentner-Quintett wurden nicht ins Kanzleramt gewählt: Viktor Klima und Christian Kern. Diese zwei waren es auch, die sich das Amt von ausgefuchsten ÖVP-Obmännern wie Wolfgang Schüssel und Sebastian Kurz abknöpfen ließen. Alfred Gusenbauer und Werner Faymann wurde das Kanzleramt bekanntlich von den eigenen Leuten abgenommen.
Wolfgang Schüssel war es, der als erster eine Grundsatzrede vor seiner Partei hielt. 1995 kündigte er an, Bundeskanzler werden zu wollen. Das schwarze Publikum lächelte erfolgsentwöhnt. Und dann meinte Schüssel noch, er wolle „ein Zeitpfeil der Hoffnung sein“. Das Publikum lächelte verständnislos.
Pamela Rendi-Wagner wird es nicht gern hören, aber sie hat mehr mit Schüssel gemein als etwa mit Christian Kern. Zum Beispiel ihre Zähheit. Und sie sagt in ihrer Grundsatzrede: „Es ist Zeit für die nächste SPÖ-Kanzlerin.“ Es gab zwar noch keine, aber man versteht, was sie meint. Und was sie will: ein Zeitpfeil der roten Hoffnung sein.
Gernot Bauer
Der profil-Redakteur ergründet seit 20 Jahren Wesen und Unwesen der österreichischen Innenpolitik.
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