Vom Elend eines Chefs

Vom Elend eines Chefs: Bei Kanzler Faymann liegen die Nerven blank

SPÖ. Bei Kanzler Werner Faymann liegen die Nerven blank. Das wird ihm zusehends gefährlich

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Die Kreise des Kanzlers sind klein geworden dieser Tage. Werner Faymann igelt sich ein: In seiner Umgebung tummeln sich alte Kumpel aus seinem Heimatbezirk Wien-Liesing, von Doris Bures über Christian Deutsch, den Faymann aus Jungsozialisten-Tagen kennt und der neuerdings als „strategischer Planer“ im Kanzleramt werkt. Auch örtlich erweist sich Faymann als veritabler Stubenhocker: Mochten über 60 Regierungschefs in Paris aufmarschieren und „Charlie“ sein, Faymann blieb lieber am Wiener Ballhausplatz. Selbst seinen lang vereinbarten Auftritt in der „ZiB 2“ im Rahmen der Interviewserie mit allen Parteichefs absolvierte Faymann vergangenen Montag lieber in vertrauter Umgebung: Er scheute das Auge-in-Auge-Gespräch mit Armin Wolf und ließ sich aus dem Kanzleramt zuschalten.

All diese Details lassen sich zu einem Gesamtbefund verdichten: Faymanns Nerven liegen blank – und das birgt Gefahrenpotenzial. „Wenn man so viel Angst hat, Fehler zu machen, hat man schon verloren“, analysiert der erdige Post-Gewerkschafter Robert Wurm unbarmherzig – jener Wurm wohlgemerkt, der noch am SPÖ-Parteitag flammend zur Geschlossenheit hinter dem SPÖ-Vorsitzenden aufgerufen hatte.

Für die anschwellende Nervosität Faymanns gibt es gute Gründe. Im aktuellen APA-OGM-Vertrauensindex, bei dem nur SPÖ-Politiker abgefragt wurden, reiht sich der SPÖ-Chef ganz hinten ein. Auch von ÖVP-Regierungsmitgliedern wird Faymann abgehängt und weist deutlichen Kanzlermalus auf. In den Umfragen von Unique-Research grundelt die SPÖ konstant bei 25 Prozent herum und läuft Gefahr, hinter ÖVP und FPÖ auf Platz 3 zurückzufallen. „Das Problem der SPÖ liegt an den erstarkten Mitbewerbern. Ihr fehlt Gestaltungswillen und ein stringentes Konzept für die Zukunft Österreichs“, liest Peter Hajek aus den Daten heraus.

Auch unter den eigenen Parteifreunden traut kaum einer dem obersten Genossen noch zu, das Ruder herumzureißen. Ähnlich trist für den Chef war die Gemengelage zuletzt unter Alfred Gusenbauer kurz bevor ihn die Partei aus dem Amt jagte. Warum Faymann sein politisches Kapital derart nachhaltig verbraucht hat, wird aus den drei Stadien seiner Kanzlerschaft offensichtlich.

1. Hunde würden Faymann wählen!
Mit heißen Herzen begegneten die Genossen Faymann nie, kaum jemand hielt den zurückhaltenden Pragmatiker für eine Idealbesetzung. Aber nach dem gnadenlosen Besserwisser Gusenbauer erschien ein Charmebolzen ohne eigene Meinung anfangs als wohltuender Kontrapunkt: Endlich wieder ein Wellnessfaktor in der SPÖ! Faymann umgarnte die Partei – und diese schnurrte zufrieden: „Werners gewinnendes Wesen erleichtert vieles“, süßelte etwa der damalige SPÖ-Chef Oberösterreichs, Erich Haider.

Schon in dieser Phase des Sekundentriumphs wurde die Trennlinie zwischen Freundlichkeit und Anschleimen nach Meinung vieler zu oft überschritten, insbesondere im Umgang mit Boulevardmedien. Das Resultat: überbordende Lobhudelei. Die Titel der „Kronen Zeitung“ aus dem Wahlkampf 2008 („Tiere würden Faymann wählen“) ist Feinsinnigen in der SPÖ bis heute peinlich.

Der nette, unprätentiöse Kerl von nebenan ist Faymann auch nach sechs Jahren im Kanzleramt geblieben; eines seiner größten Atouts ist bis heute, komplexe Inhalte auf Kleine-Maxi-Sätze herunterbrechen zu können. Etwa: „Systemrelevante Banken, das heißt, ohne ihnen geht es nicht.“ Große Reden hingegen gibt es bis dato keine zu vermelden. Und die Charmeoffensive hatte sich schon nach einem Jahr Faymann abgenutzt: „Er soll nicht beim Begräbnis durch die Gegend lächeln“, knurrte der Steirer Kurt Flecker bereits Ende 2009, nach der ersten Serie von fünf desaströsen Landtagswahlniederlagen. Mit „genug gestritten“ war Faymann einst faserschmeichelnd angetreten, mittlerweile gilt er als zu harmoniesüchtig. Inhaltsleere lässt sich eine Weile kaschieren, aber nicht ewig. Es hat sich ausgeschnurrt in der Partei. Oberösterreichs SPÖ-Chef Reinhold Entholzer gibt zu Protokoll: „Es gibt derzeit nicht die Diskussion, Faymann abzulösen.“ Das ist durchaus als Drohung zu verstehen.

2. Allein gegen die Kernölsozialisten
Als linker Feuerkopf war Faymann nicht einmal in der wilden Sozialistischen Jugend aufgefallen, wie er selbst einmal sagte: „Ich war für SJ-Verhältnisse schon damals rechts.“ Es ist nachgerade eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet jener brave Faymann zumindest verbal weit „linkere“ Positionen vertritt als alle seine Vorgänger im Amt seit Jahrzehnten.
Ein Herzensanliegen war dem SPÖ-Chef dieser Linksschwenk allerdings nicht, im Gegenteil: Monatelang hatten Faymann und seine Getreuen „wacker die Stellung gehalten“ (O-Ton „Kronen Zeitung“) und den „Kernölsozialisten“ Franz Voves und seine Reichen-Steuer-Ideen abgeblockt. Erst als Mitte 2009 in der SPÖ alle außer dem Chef für Vermögenssteuern waren, änderte Faymann unwillig den Kurs.

Bis heute tönen seine Forderungen nach „Millionärssteuern“ allerdings teils ungelenk, und das hat seine Gründe: Bei Verteilungsdebatten ist die SPÖ reichlich außer Übung, die Vermögenssteuer wurde unter Kanzler Franz Vranitzky abgeschafft, Erbschafts- und Schenkungssteuer unter Alfred Gusenbauer. Über Jahrzehnte galt der „dritte Weg“, die Symbiose zwischen Kapitalismus und Sozialismus, als wichtiger als Umverteilung – und der „Genosse der Bosse“ (Gerhard Schröder) und seine Schmalspurkopie (Viktor Klima) als Role-Models. Selbst größere Kapazunder als Faymann hätten sich mit einem Kurswechsel schwergetan, er führte die Verteilungsdebatte holzschnittartig vereinfacht unter dem Titel „Millionärssteuer“. Vor allem die Gewerkschaft nimmt ihm bis heute seine lange Gegenwehr gegen Reichensteuern und Umverteilungsdiskussionen übel. Als Konsequenz liegt die Hürde hoch: In den Steuerreformverhandlungen muss sich Faymann durchsetzen und Vermögenssteuern liefern. Sonst ist Schluss mit „Freundschaft“.

3. Endstation Mitleid
Unter Werner Faymann brach die SPÖ alle Rekorde: Der Verlust von 15,6 Prozentpunkten bei der Salzburger Landtagswahl übertraf sogar das für uneinholbar gehaltene 13,4-Prozent-Minus der Roten in Oberösterreich. Mit Ausnahme des Sonderfalls Kärnten gewann die SPÖ seit der Amtsübernahme Faymanns bei keiner Wahl dazu. Das sorgt im Landtags-Wahljahr 2015 für beträchtliche Unruhe. Geglänzt hat Faymann nie, um Michael Spindel-egger zu überstrahlen, reichte es aber allemal. Schon Josef Pröll war ihm in Umfragen gefährlich nahe gerückt – „und jetzt exerziert Reinhold Mitterlehner vor, wie viel Schwung ein neuer Chef bringen kann“, analysiert SPÖ-Kenner Josef Kalina. Nicht umsonst kursieren Alternativen zu Faymann – von Christian Kern über Gerhard Zeiler bis zu Brigitte Ederer.

Seit dem missglückten Parteitag, bei dem Faymann um Stimmen bettelte, ist er in einem gefährlichen Stadium angekommen: jenem des Mitleids. Bis dahin hatten ihm selbst seine größten Kritiker attestiert, er sei ein gewiefter Techniker der Macht. Nun ist diese vermeintliche Kernkompetenz als Mythos entlarvt. Quer durch die SPÖ wird Faymann angelastetet, nach dem Parteitag nicht auf den Tisch gehaut zu haben: „Diejenigen, die für die Inszenierung des Bundesparteitags verantwortlich sind, gehören mit dem nassen Fetzen davongejagt“, formuliert es Post-Gewerkschafter Robert Wurm gewohnt deftig. Am anderen Ende des SPÖ-Spektrums, in der links-intellektuellen Vordenkertruppe „Sektion 8“, kommt man zum identen Befund: „Die Bundesgeschäftsstelle funktioniert nicht. Das ist ein akutes Problem, das man lösen muss“, sagt Sektionsvorsitzende Eva Maltschnig. Zusatz: „Mir ist jede Inhaltsdebatte wichtiger als eine Personaldiskussion.“

Die Frage ist, wie lange Faymann die Personaldebatte unterdrücken kann. Denn über Kanzler Wolfgang Schüssel konnte man geteilter Meinung sein, man konnte seine Politik ablehnen oder gar bekämpfen. Aber Mitleid – das hatte wohl niemand mit ihm.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin