SPÖ-Vorsitzwahl: Tage des Leids
Am Montag wurde bekannt, dass beim Auszählen der Stimmen am Parteitag die Namen vertauscht wurden. Nicht Hans Peter Doskozil hat die Wahl gewonnen, sondern Andreas Babler. Zur Nachvollziehbarkeit der Ereignisse bleiben die Artikel in der ursprünglichen Version auf profil.at.
Jubelnd springen die Funktionäre nach der Dankesrede des neuen Vorsitzenden im Linzer Design Center von den Stühlen. Der zieht indes begleitet von flotter Musik und den sich dem Zug anschließenden Parteitagsdelegierten auf den Vorplatz der Halle, wo sich bei einem Volksfest mit Würstel, Bier und zünftigem Begleitprogramm Bombenstimmung breit macht. Alle spüren: Hier bahnt sich Großes an.
Die Rede ist von der Wahl von Sebastian Kurz zum ÖVP-Obmann, vor fast auf den Tag genau vier Jahren, ebenfalls im Design Center Linz. Bei der Obmann-Wahl hatte er 98 Prozent eingefahren, in der ÖVP ein Rekordergebnis.
Am Samstag nach der Kür von Hans Peter Doskozil zum elften SPÖ-Vorsitzenden seit 1945 drängten sich die Delegierten nicht bei einem Volksfest, sondern beim Parkschein-Automaten. Viele hatten es plötzlich eilig, vor allem jene 47 Prozent, die für Andres Babler gestimmt hatten. Und ob sich da Großes anbahnt, wird die gar nicht allzu ferne Zukunft zeigen.
Zeiten des Vorsitzwechsels sind bei den Sozialdemokraten meist Zeiten des Leids. Nur selten gelang der Übergang manierlich.
1957 wurde der erste Parteichef nach 1945, Adolf Schärf, von seiner Partei ins Präsidentenamt weggelobt. In seinem Tagebuch klagte er bald über die lähmende Fadesse und Einsamkeit in der Hofburg.
Dramatisch verlief die nächste Ablöse: Schärfs Nachfolger Bruno Pittermann war nach der Wahlniederlage von 1966 ablösereif, die ÖVP regierte mit absoluten Mehrheit allein. Der bisherige Außenminister Bruno Kreisky zeigte zum Entsetzen der Wiener SPÖ und der roten Gewerkschaftsfraktion auf: Er wollte dem darüber ebenfalls fassungslosen Pittermann nachfolgen. Zuvor hatte er clandestine Vorgespräche in den Bundesländern geführt. So sehr die Frontstellungen jenen von 2023 glichen, so unterschiedlich waren die Rituale und die Kanddaten. Kreisky, der 16 Jahre zuvor aus der schwedischen Emigration zurückgekommen war, unterschied sich in Weltgewandtheit und Bildung von den meisten anderen Funktionären. Am Parteitag 1967, abgehalten in der Wiener Stadthalle unter Ausschluss der Öffentlichkeit, warf man ihm bezeichnender Weise ein Interview in der „Frankfurter Allgemeinen“ vor. Gespräche mit der bürgerlichen „Feindpresse“ galten damals noch als Verrat.
Kreiskys Gegner stellten den jungen Innenminister Hans Czettel als Gegenkandidaten auf, der aber im Parteivorstand in der Minderheit blieb und sich nicht mehr der Abstimmung im Plenum stellte.
Den Hauptangriff gegen Kreisky ritt mit einiger Brutalität ÖGB-Präsident Anton Benya. Obmann der ebenfalls Kreisky-feindlichen Wiener SPÖ war Bürgermeister Felix Slavik. Slavik war 1936 neben Kreisky beim großen „Sozialistenprozess“ auf der Anklagebank der Austrofaschisten gesessen und wie dieser zu einem Jahr Kerker verurteilt worden. Am Parteitag gab er seinen Delegierten die Abstimmung frei, das brachte Kreisky die erforderliche Mehrheit. Der suchte sofort nach der Wahl den Kontakt zu Anton Benya, seinen Vorgänger Pittermann machte er zum Klubobmann.
16 Jahre später, 1983, war der Übergang mehrfach schmerzhaft: Kreisky hatte die Absolute Mehrheit verloren, mit seinem Kronprinzen Hannes Androsch war er unversöhnlich verfeindet und überdies schwer nierenkrank. Am Parteitag übergab er sein Amt tränenreich an den widerstrebenden Fred Sinowatz, der weder Kanzler noch Parteichef werden wollte. 1986 überlies Sinowatz seiner Ämter also nur allzu gern Franz Vranitzky, der elf Jahre später ebenso geschmeidig an den recht unpolitischen Viktor Klima übergab. Es sollte die letzte friedliche Übergabe werden – übrigens vollzogen im Linzer Design Center.
Klimas Rückzug nach der Wahlniederlage von 1999 war wieder turbulenter: Um sein Amt ritterten der Parteilinke Caspar Einem und der Parteirechte Karl Schlögl. Die Parteigranden reagierten salomonisch und kürten den Zentristen Alfred Gusenbauer zum Vorsitzenden. Gusenbauer schien sich als guter Griff zu erweisen. Gleich seine erste Auslandsreise führte den polyglotten Roten zu Frankreichs Premierminister Lionel Jospin. Er gewann der SPÖ das Kanzleramt zurück, nutzte sich aber rasch ab.
2008 stürzte ihn Werner Faymann mit Hilfe von „Kronen Zeitungs“-Herausgeber Hans Dichand („Onkel Hans“) und kurioser Weise auch mit Hilfe von Gusenbauers Bundesgeschäftsführer Josef Kalina. Der Parteitag wählte Faymann mit 98 Prozent – im Linzer Design Center.
Faymann bekam dafür acht Jahre später die Höchststrafe: Er wurde am 1. Mai am Wieder Ratshausplatz weggepfiffen und trat wenige Tage später deprimiert zurück.
Sein Nachfolger Christian Kern blühte nur kurz, verlor eine Wahl, verabschiedete sich grußlos und fädelte die Wahl seiner Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner ein, über die ausnahmsweise in Wels und nicht in Linz abgestimmt wurde.
Kalina und Kern sind inzwischen Team Doskozil und haben tatkräftig an der Demontage der Parteivorsitzenden. So schließt sich der Reigen wie eine republikanisch abgemilderte Version von Shakepeares Königs-Dramen.
Der Rest ist Schweigen.