Christian Kern: "Entschuldigen Sie, aber der Mann kann kein Wort Deutsch."

SPÖ-Wahlkampf-Dokumente: "Wir brauchen einen Feind"

Bisher unbekannte Wahlkampf-Dokumente beweisen fragwürdige Dirty-Campaigning-Aktivitäten der SPÖ. Ex-Berater Tal Silberstein spielte eine deutlich wichtigere Rolle als von Kanzler Christian Kern zugegeben.

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Wer hierzulande in einer Starbucks-Filiale arbeitet, sollte auf der Hut sein. Es könnte nämlich Folgendes passieren: Ein unauffälliger junger Mann bestellt einen Becher Kaffee - um unvermittelt loszulegen: "Zahlt eure Steuern in Österreich!“ Der Starbucks-Mitarbeiter sollte höflich bleiben - denn: "Das filmen wir heimlich mit. Und stellen es online. Und laden ein, es nachzumachen, um Starbucks dazu zu bringen, Österreich zu zahlen, was Österreich zusteht.“ So steht es im Konzept "Guerilla Maßnahme: Starbucks muss zahlen“ der Wiener Werbeagentur GGK MullenLowe, die den Wahlkampf der SPÖ facettenreich gestaltet. Die Ausgangssituation laut dem Skript der kreativen Werber: "Wir schicken einen jungen SPÖ-Anhänger zu Starbucks Kaffee bestellen.“ Dass die US-Kette in Österreich keine Steuern zahlen würde - "im Gegensatz zu jedem Würstelstand“ -, ist bekanntlich einer der Standard-Gags in den Wahlkampfreden von SPÖ-Chef Christian Kern. Ein witziger Clip könnte die Kanzler-Botschaft bei der Netz-affinen Zielgruppe verstärken. So zumindest die Idee, ein Video tauchte zumindest bisher nirgends auf.

Die "Guerilla“-Kaffeeaktion zählt zu den harmloseren Vorschlägen im holprigen SPÖ-Wahlkampf. Bedenklich muten jene "Dirty-Campaigning“-Pläne an, die profil vergangene Woche aufdeckte: Im Auftrag der SPÖ entwickelte GGK MullenLowe Videos, in denen Sebastian Kurz verunglimpft wird. profil vorliegende Unterlagen beweisen, dass die Aktionen gegen den ÖVP-Bundesparteiobmann Teil einer umfassenden Strategie im roten Wahlkampf waren. Mastermind dahinter: Tal Silberstein. Die zentrale Rolle des iraelischen Politik-Consulters, der die SPÖ seit Herbst 2016 berät, wurde von Christian Kern in der Öffentlichkeit kleingeredet. Eine bewusste Irreführung?

Größter Aufreger der vorwöchigen profil-Enthüllung war ein Anti-Kurz-Video, das sich immer noch auf der hetzerischen, teils antisemitischen Facebook-Site "Die Wahrheit über Sebastian Kurz“ findet. In dem Clip wird Kurz unterstellt, bei Pensionen, Gesundheit und Bildung kürzen zu wollen. Der Wiener Kampagnen-Berater und Mitarbeiter in Hillary Clintons Online-Team, Yussi Pick, stufte den Spot in der "ZIB 2“ als schweres Foul ein: "Wo man dem politischen Gegner Dinge in den Mund legt, die er so nicht gesagt hat oder verkürzt zusammenstellt und anders darstellt, dort wird das Negative Campaigning definitiv zu Dirty Campaigning, und das ist in diesem SPÖ-Video passiert.“ In einem weiteren, nicht umgesetzten Videokonzept wurden die Mitarbeiter von Kurz mit der "Buberlpartie“ von Jörg Haider gleichgesetzt. (siehe profil 37/17)

Skript für Anti-Kurz-Video - Alle wesentlichen Dokumente der SPÖ-Wahlkampagne wurden für Silberstein ins Englische übersetzt.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler argumentierte nach dem profil-Bericht, die Videos seien nur für den "internen Gebrauch“ gewesen und von der SPÖ "nicht direkt beauftragt“ worden. Und er schob die Verantwortung auf einen Mann, der sich derzeit nicht verteidigen kann: Tal Silberstein. Der 1969 geborene und von der SPÖ schon in der Vergangenheit gebuchte Politikberater war im August in Israel festgenommen worden - woraufhin ihn die SPÖ rauswarf. Christian Kern bezeichnete die Zusammenarbeit offen als "politischen Fehler“. Gegenüber der Zeitung "Österreich“ sagte Kern, Silberstein habe "ganz sicher nur eine Nebenrolle im Wahlkampf-Team gespielt“. Für eine Schlüsselrolle sei der Berater zu wenig in Österreich gewesen. Auch der umstrittene SPÖ-Slogan "Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“ sei nicht von Silberstein. Kern im wiederholten Originalzitat: "Entschuldigen Sie, aber der Mann kann kein Wort Deutsch.“

Die profil vorliegenden Unterlagen widerlegen Kerns Aussagen. Tatsächlich ging im roten Wahlkampf ohne Silberstein - bis zu dessen Verhaftung - wenig. Die räumliche Trennung zwischen Israel und Wien wurde wie im 21. Jahrhundert üblich per E-Mail überwunden, und auch Silbersteins mangelnde Deutschkenntnisse waren ohne Belang. Alle wesentlichen Dokumente - wie etwa das Skript zum Anti-Kurz-Video - wurden ins Englische übersetzt (siehe Faksimile), auch die Mail-Korrespondenz mit Silberstein erfolgte auf Englisch.

Es gab den Vorschlag, Videos für den internen Gebrauch zu produzieren.

Noch am 6. August, eine Woche vor Silbersteins Festnahme, schickte ein GGK-Mitarbeiter einen Entwurf für das "Buberlpartie“-Video an Silberstein: "Tal, here’s a first version oft the Buberlpartie script.“ Auch jenes Dirty-Campaigning-Video, das auf der Facebook-Site "Die Wahrheit über Sebastian Kurz“ landete, wurde von Silberstein abgenommen.

Dass Silberstein auch an der Konzeption des Slogans "Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“ beteiligt war, beweisen die Folien zu einer internen Präsentation des SPÖ-Wahlkampfkonzepts. Der Titel: "Was Ihnen zusteht. Die SPÖ-Wahlkampagne 2017. By Tal Silberstein, Sefi Shaked, Moshe Klughaft & GGK MullenLowe“. Ausgangspunkt des Konzepts ist eine Analyse des Istzustands von SPÖ, Christian Kern und dessen Hauptkonkurrenten. Originalzitate: "Die Leute lieben Sie. Aber sie wählen Kurz“; "Kurz stiehlt die Herzen der Menschen mit Migration“; "Was wir jetzt brauchen, ist eine Geschichte, die den Diskurs entsprechend dreht“; "Von Migration zu Wirtschaft“; "Das Duell ist: Kern vs. Kurz“; "Dazu müssen wir ein starkes Gefühl wecken: Empörung bzw. Entrüstung!“; "Wir brauchen einen Feind. Kurz hat die Migranten. Wir haben jene, die mehr bekommen als ihnen zusteht“.

Als Hauptprobleme der SPÖ und ihres Spitzenkandidaten identifizierten Silberstein und die Werbeagentur unter anderem: "Distanz zu Wählern“; "Schaffen zu wenig Emotion“; "Keine klaren Themen“; "Kein Feindbild“. Zur Abhilfe entwarf die Agentur Negativ-Videos gegen Besserverdiener und Positiv-Spots mit Christian Kern. In einem profil vorliegenden Skript finden sich dazu englische Anweisungen für Kern: "Confident look into camera, HBK (gebräuchliches Kürzel für, Herr Bundeskanzler‘, Anm.) always making eye contact with viewer. HBK in dress shirt and tie, no jacket (mostly).“ Die erwünschte Wirkung der Videos: "Empörung über alle, die mehr bekommen, als ihnen zusteht“.

Kanzler Kerns Behauptung, Silberstein spiele "eine Nebenrolle“ und entwickle keine Slogans, wird auch durch ein Gesprächsprotokoll der GGK MullenLowe vom 28. Juni widerlegt. Darin heißt es unter dem Punkt "Weiterentwicklung der Kampagne“: "Verbot von Tal, an irgendwelchen Slogans und/oder Botschaften zu arbeiten, bevor die letzten Fokusgruppen ausgewertet sind … Die Agentur schließt sich mit Paul Pöchhacker bezüglich der Transkripte und Videos zu den Fokusgruppen kurz.“

Paul Pöchhacker? Fokusgruppen? Bei Pöchhacker handelt es sich um einen Mitarbeiter im SPÖ-Kampagnenteam, der nach Silbersteins Festnahme dessen Aufgaben übernahm. In den erwähnten, von Silberstein organisierten Fokusgruppen wurden auch die Anti-Kurz-Videos gezeigt. Wusste die SPÖ also von den Clips, die sie nur indirekt beauftragt haben will? Georg Niedermühlbichler übermittelte profil dazu folgende Stellungnahme: "Es gab den Vorschlag, Videos für den internen Gebrauch zu produzieren, um diese in Fokusgruppen abzutesten. Die Kosten dafür wurden von mir nicht freigegeben, da sie für den internen Gebrauch zu kostspielig waren. Deshalb wurde auch nur ein Video über Auftrag von Tal Silberstein produziert und es wurden weitere Ideen von mir gestoppt.“

Sitzungsplan - Ende November 2016 hielt die angebliche Randfigur Silberstein Referate bei einem Strategie-Wochenende mit "Chancellor“ Kern.

Für eine angebliche Randfigur waren Tal Silbersteins Kontakte zu Christian Kern teils sehr intensiv. Ende November 2016 fand ein zweitägiges Strategie-Wochenende mit dem Bundeskanzler und etwa 20 Mitarbeitern statt, bei dem Silberstein mehrere Referate hielt, unter anderem über die von ihm durchgeführten Umfragen. Titel: "Presentation and discussion of research results and strategy“ (siehe Faksimile).

Trotz der sprachlichen Barriere brachte sich Silberstein auch intensiv in die Erstellung der Reden von Christian Kern ein, etwa auch bei jener Ansprache, die der Kanzler am Landesparteitag der Wiener SPÖ am 29. April kurz vor dem 1. Mai-Aufmarsch hielt. In einem Rede-Entwurf hielt jemand, offenbar Silberstein, als ersten Punkt fest: "Need a personal story of him (Kern, Anm.) and May 1. Maybe as a kid taking part in the event looking at the stage seeing the speech of … “

Kerns parteiintern als Meisterstück gefeierte Rede in Wels vom 11. Jänner, in der er seinen "Plan A“ für Österreich präsentierte, wurde ebenfalls unter Silbersteins Mitwirkung entworfen. In einem Mail vom 4. Jänner an Mitarbeiter in Kanzleramt und Partei umreißt Kern die wichtigsten Themen seiner Rede und bittet explizit, dies an Silberstein und eine Übersetzerin weiterzuleiten. Am 10. Jänner verschickte einer der Hauptautoren der Rede, der Wiener PR-Berater Rudolf Fußi, die Endfassung per Mail an Kerns wichtigste Mitarbeiter - und Tal Silberstein.

Über dessen Bedeutung mussten auch die SPÖ-Spitzen informiert sein. Am 30. Juli übermittelte eine Kern-Mitarbeiterin - über ihren Bundeskanzleramt-Account - "nach Rücksprache mit Tal und Agentur“ ein Rundmail der Sujets zur "Hol dir, was dir zusteht“-Kampagne. Empfänger waren auch Minister Thomas Drozda und SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder. Aus Schieders einzeiliger Antwort lässt sich eine gewisse Skepsis zum "Hol dir, was dir zusteht“-Slogan herauslesen: "Ist das eine weitere Auswahlmöglichkeit oder das Endergebnis?“

Schieder wurde auch höchstpersönlich von Tal Silberstein kontaktiert. In einem mit 1. Jänner 2017 datierten, auf Englisch verfassten Vertragsentwurf bietet Silbersteins Consultingunternehmen GCS dem SPÖ-Parlamentsklub ein umfangreiches Beratungspaket an. Das zehnseitige Offert beinhaltet Dienstleistungen wie Meinungsforschung, Strategie- und Medienberatung, Personalschulung und Gegnerbeobachtung. Das Angebot blieb unbeantwortet. Schieder gegenüber profil: "Derartige Beratungsleistungen sind für die politische Arbeit des Klubs irrelevant und nicht zielführend. Seitens des Klubs gab es keine Reaktionen darauf.“ Auch sonst habe es keinerlei geschäftliche Beziehungen mit Silberstein gegeben. Warum der Berater auf die Idee kam, dem SPÖ-Klub seine Dienste anzutragen, erklärt Schieder so: "Das Schreiben ist ein Standardentwurf, in dem die GCS ihr Leistungsportfolio vorstellen wollte. Der Klub hat die Darstellung des Leistungsportfolios lediglich als Information der GCS betrachtet, die wir weder bestellt noch weiter verfolgt haben.“

SPÖ-Vertreter starteten in der vergangenen Woche eine Gegenoffensive. Den willkommenen Anlass lieferte die "Kronen Zeitung“, die angebliche Geheimpapiere vom Sommer 2016 veröffentlichte, in denen eine Strategie für Sebastian Kurz’ ÖVP-Übernahme detailliert beschrieben wird. Darunter finden sich auch die Punkte "Psychogramm vom Bundeskanzler zeichnen“ und abwertende Bezeichnungen für FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ("Zündler“). SPÖ-Klubchef Schieder tönte prompt: "Kurz hat die Destabilisierung der Regierung und Demontage Reinhold Mitterlehners über Monate generalstabsmäßig geplant.“ Sebastian Kurz’ Team ließ dazu knapp ausrichten, das Papier stamme nicht aus seinem Büro.

Georg Niedermühlbichler lieferte vergangene Woche auf profil-Anfrage eine abschließende Job-Description von Silberstein. Dieser sei "für Umfragen und deren Interpretation sowie für die Vorbereitung von Fokusgruppen und deren Auswertung sowie daraus abgeleitete strategische Empfehlungen zuständig“ gewesen. Dies sei "durchaus eine wichtige Tätigkeit, aber in der Gesamtbetrachtung sicher keine Hauptrolle“ gewesen. Eine Irreführung durch den Bundeskanzler liege "nicht einmal im Ansatz“ vor. Niedermühlbichler: "Die Hauptrollen tragen der Spitzenkandidat, der Bundesgeschäftsführer als Wahlkampfleiter und dessen Team.“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.