Grühüß Gott!

Werner Faymann gibt im Wahlkampf den Kanzler zum Angreifen

Reportage. Werner Faymann gibt im Wahlkampf bevorzugt den Kanzler zum Angreifen

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"Lass Dich umarmen, mein Schatz, heute sind wir allein zu Haus, das nutzen wir aus“, dudelt die Brachial-Volksmusikgruppe "Edlseer“ von der Bühne, die Seniorengruppen im prallgefüllten dampfigen Bierzelt in Freistadt schwenken die Arme und singen: "Ein Prosit der Gemütlichkeit.“ Bei so viel Gaudi schon um 14 Uhr auf der Landwirtschaftsmesse im oberösterreichischen Mühlviertel geht selbst der spröde Lokalmatador, Gesundheitsminister Alois Stöger, für seine Verhältnisse arg aus sich heraus und wippt in den Knien.

Kampf mit der Rhetorik
In dieser Volksfeststimmung könnte Bundeskanzler Werner Faymann sogar das Telefonbuch vorlesen und würde tosenden Applaus bekommen. Niemand hier nimmt ihm seinen Kampf mit der Rhetorik krumm, der seltsame Formulierungen entwachsen wie: "Wir haben die Ärmel aufgestrickt, um gegen die Krise zu kämpfen.“ Hauptsache, Faymann zeigt sich kämpferisch. Und das tut er, als er eilig Sakko und Krawatte abgelegt hat: "Wir werden nicht zulassen, dass Frauen erst später in Pension gehen dürfen“, schreit er, als die "Edlseer“ die Bühne für ihn freigeben, und: "Wir lassen uns die Arbeit der Gewerkschaften nicht zerstören.“ Das hören die roten Gewerkschafter und Pensionisten gerne, die busweise ins Zelt gekommen sind. Ein Prosit für Faymann.

„Ich und der Kanzler”
Der eigentliche Höhepunkt im Bierzelt ist aber der Kanzler zum Angreifen. Zwei Stunden lang steht Faymann geduldig und ganz ohne die bei Spitzenpolitikern übliche Entourage mitten im Zelt, legt einem Mann im Ruderleiberl für ein Foto den Arm um die Schultern, plaudert mit der Verkäuferin über ihren Stress, posiert unermüdlich für Polaroids und Handybilder - "ich und der Kanzler“. Die Rolle, ganz unprätentiös den netten Kerl von nebenan zu geben, ist Charmebolzen Faymann wie auf den Leib geschrieben. Nur ein Mal wird ihm die Tuchfühlung fast zu viel: Als eine Frau im selbstgebastelten "I love Faymann“-T-Shirt eine Unterschrift auf ihr Fan-Outfit will. "Ich schreib normal nie was auf ein Leiberl“, zögert Faymann - und signiert dann doch.

Faymann lächelt
Wenn nicht die wohlorganisierten SPÖ-Pensionistengruppen für Publikum sorgen, ist das G’riss um den Kanzler erheblich geringer. 47 Zuhörer verlieren sich an einem Samstagvormittag im Riesensaal der Aula der Wissenschaften in der Wiener Innenstadt. Die Tageszeitung "Die Presse“, das Bollwerk des Bürgertums, hat zur Diskussion mit Faymann geladen und der "Presse“-Chefredakteur entschuldigt sich mehrmals für den überaus dürftig besetzten Raum. Faymann lächelt eilfertig.

Standardprogramm
Ein anderer Parteichef würde den unerwartet intimen Rahmen von überaus wohlinformierten, aber SPÖ-skeptischen Menschen wohl nutzen, um Eloquenz und Format zur Schau zu stellen. Faymann verfügt über diese gewisse Leichtfüßigkeit nicht, er spult auch hier routiniert sein Standardprogramm ab: niedrige Arbeitslosigkeit, Finanzkrise, Frauenpensionsalter - sicher durch die Krise geführt. Alle Argumente kommen flüssig, aber sein größtes Atout verpufft hier: Faymann kann hochkomplexe Inhalte auf simple Formulierungen herunterbrechen. Systemrelevante Banken etwa erklärt er so: "Systemrelevant ist ein komisches Wort, das heißt, ohne ihnen geht’s nicht.“ Derartige Kleine-Maxi-Sätze elektrisieren dieses Bildungsbürgertum-Publikum nicht.

„Initiative für Faymann”

Intellektuelle fremdeln mit dem SPÖ-Chef ohnehin. Um diese Kluft zu überwinden, gibt es die "Initiative für Faymann“, wo kluge Menschen im geladenen Kreis parlieren. Etwa der Experimentalphysiker Werner Gruber, der bei einem Abendessen im Wiener Museum für angewandte Kunst 13 Gästen an Kürbiscremesuppe und Schulterscherzl pointiert erzählt, wie er als Jungwissenschafter obdachlos wurde und seither Sozialstaats-Fan ist. Vor allem aber doziert er über limbische Lappen, Phobien und seine Forschung. Der Vorteil derartiger Veranstaltungen: Legionäre wie Gruber verleihen der SPÖ einen Hauch intellektueller Aura. Der Nachteil: Gaststars wie Gruber reden am liebsten über sich. Dann über lange nichts. Dann vielleicht über die SPÖ. "Cool, den Gruber kennenzulernen“, sagt ein Psychologiestudent beim Hinausgehen.

Rotes Schatzkästchen
Wer wie die SPÖ einen Kernschichtenwahlkampf führt, wer sich auf das Repertoire aus dem roten Schatzkästchen (Arbeit, Pensionen) verlässt, läuft Gefahr, sich bei Nicht-Genossen schwerzutun. Den eigenen Funktionären gefällt’s umso mehr, zumal dann, wenn Faymann wie beim offiziellen Wahlkampfauftakt im MuseumsQuartier Klassenkampfparolen wie die Millionärssteuer bemüht. Er kann, das ist eine Überraschung in diesem Wahlkampf, erstaunlich angriffig sein. Noch immer wippt er manchmal auf und ab wie ein aufgeregter Schulbub, der ein Gedicht aufsagen muss, aber der Mann, der vor fünf Jahren mit "genug gestritten“ faserschmeichelnd durch den Wahlkampf zog, hat den lauten Ton gelernt. "Verlasst euch nicht darauf, dass die nicht Schwarz-Blau machen, das müssen wir den Leuten sagen“, donnert er den Genossen entgegen.

Inszenierungsfehler
Wie alle Großveranstaltungen ist auch diese straff organisiert. "19:15 Uhr: Im Anschluss an die Rede HBK + nach Standing Ovations nimmt HBK wieder Platz“, steht auf der Regieanweisung der Moderatorin Konstanze Breitebner, und genau so geschieht es. Bloß die Zeitvorgabe hält der Herr Bundeskanzler nicht ganz ein. Dennoch passieren Inszenierungsfehler: Vor der Halle ist ein Buffet aufgebaut, die hungrige Basis wird aber zu Fleischlaberl und Co. in einem Nebenraum geleitet. "Ah, das heraußen ist das Buffet nur für die Oberen“, knurrt ein Mann im knallroten T-Shirt. Zu essen gibt’s in beiden Räumen das Gleiche. Immerhin.

Dabei ist Faymann in diesem Wahlkampf so bemüht, sich als wohlwollender Arbeiterführer zu zeigen. Etwa im Motorenwerk ATB in Spielberg. Die 5000-Einwohner-Stadt inmitten der Industrieregion im steirischen Murtal ist eine rote Hochburg, 40 Prozent wählten 2008 die SPÖ, die ÖVP war mit 16 Prozent nur Dritte hinter der FPÖ, und das nur hauchdünn vor dem BZÖ. Die ATB mit ihren 500 Mitarbeitern ist das rote Herz der Stadt: Bei der Betriebsratswahl gewannen die SP-Gewerkschafter sieben von acht Mandaten - oder eigentlich alle, denn das achte ging an eine Links-Abspaltung.

Entsprechend wird Faymann hier empfangen. "Ah“, freut sich ein älterer Arbeiter im Blaumann, als der SPÖ-Chef, flankiert vom Betriebsratschef, auf ihn zusteuert, zieht den Arbeitshandschuh aus und sprudelt: "Ich kann mich noch an den Kreisky erinnern und, na, wie hat der andere geheißen, der Vranitzky. Alles Gute!“ Bei anderen muss sich Faymann mehr bemühen, ein Gespräch zustande zu bringen. Seine freundlichen Einstiegsfragen variieren nur leicht: "Wie geht’s?“, "Wie lange arbeiten Sie schon hier?“, "Was machen Sie da?“, "Sind Sie aus Spielberg?“ Sie funktionieren, zumindest dann, wenn man - wie Faymann offensichtlich - gar nicht den Anspruch hat, Politik oder gar die SPÖ zu erwähnen. Manchmal wird der Betriebsrat gelobt, manchmal schlicht über Fußball geplaudert: "Seit gestern und dem Alaba geht’s mir gut“, strahlt ein Mann. Faymann klopft ihm auf die Schulter: "Ich habe mich auch so gefreut.“ Der Mann: "Ich habe Sie eh im Stadion gesehen.“ Oft kommt dann der heisere Faymann-Vierklang "Grühüßgott, Dankeschöön, Hehe, Allesgute“, wie bei der Sprechpuppe, als die ihn die Komikertruppe "maschek“ darstellt.

Bei Arbeitern, die von den Fernsehkameras rund um den Kanzler zu verschreckt zum Reden sind, wird nachgearbeitet: Faymanns politischer Lebensmensch, Staatssekretär Josef Ostermayer, und Verteidigungsminister Gerald Klug, ein Steirer, halten mit ihnen einen Schwatz ab, wenn der Medientross um Faymann zur nächsten Maschine weitergezogen ist. Nach einer Stunde ist der Betriebsbesuch vorbei. Ostermayer weiß jetzt allerlei über Statoren und Rotoren. Faymann hat 69 Arbeiterhände geschüttelt und seine Fähigkeiten als Smalltalk-König unter Beweis gestellt. Der Betriebsrat legt noch SPÖ-Broschüren auf.

Auf weniger vertrautem Terrain versteckt Faymann noch mehr, dass er nicht nur Kanzler, sondern auch Vorsitzender der Sozialdemokratie ist. Mitten in Erwin-Pröll-Land, im Sankt Pöltener Pressehaus, sitzen neun Leser und eine Leserin der "Niederösterreichischen Nachrichten“ in einem tristen 1970er-Jahre-Büro und warten auf den Kanzler. Drei haben Schnurrbärte, vier ein kariertes Hemd an, einer erzählt Wildschweinwitze. Schaut nicht gerade nach Heimspiel für Faymann aus.

„Niemand muss sich vor der SPÖ fürchten”
In dieser Runde schmeichelt er, sagt "Sie sind ein aufmerksamer politischer Beobachter“, wenn jemand nach den Staatschulden fragt. Ein moderierender Kanzler, der niemanden verschrecken will. Auf die besorgte Frage nach der Abschaffung des Gymnasiums holt Faymann weit aus - "Bei der Arbeitslosigkeit sind wir die Besten, bei Bildung nicht. Da sind die Ganztagsschulen die Besten“ -, erzählt dann von den Schulen am Land, von der ÖVP im Westen, die für Gesamtschulen eintritt, und von seiner Tochter, die glücklich in der Ganztagsschule ist. Und: "Wir brauchen sehr lange, bis wir die Gebäude für die Ganztagsschulen haben. Der nächste Schritt könnte die Gesamtschule sein.“ Und für diejenigen, bei denen die Botschaft "niemand muss sich vor der SPÖ fürchten“ immer noch nicht angekommen ist, flicht Faymann immer wieder ein "ich bin ganz Ihrer Meinung“ ein. Die Zuhörer danken mit freundlichem Applaus.

Fast scheint es, als würde Faymann manchmal Angst vor der eigenen Courage befallen: Der "Mann ohne Eigenschaften“, als der er bei Amtsantritt oft beschrieben wurde, mutierte zum Reichen-Jäger. Es ist nicht die einzige steile Lernkurve des Werner F.: Vor fünf Jahren, nach dem populistischen Kotau vor der "Kronen Zeitung“, hätte niemand einen Cent darauf gewettet, dass sich Faymann als besonnener Staatsmann entpuppt. Heute kann er, wie beim Besuch des italienischen Amtskollegen Enrico Letta, im Kanzleramt stehen und souverän über die Bankenunion fachsimpeln. Das nötigt Letta Respekt ab: "Auf Faymann kann man als eine Säule in der EU zählen.“

Selbst am Wirtshaustisch erliegt Faymann nicht der Versuchung, den Leuten in Europafragen nach dem Mund zu reden. Eigentlich ist der Besuch der Freistädter Messe schon vorbei, der leicht erschöpfte Faymann zischt beim Hinausgehen einen Stehkaffee, als ihn ein wohlgenährter Mann anagitiert: "Mit unserem Geld machen die in Griechenland Party, das ist nicht richtig.“ Fay-mann bleibt standhaft: "Die haben Pensionen gekürzt und Spitäler zugesperrt. Wenn wir den Griechen kein Geld geben, bricht das Land zusammen.“

Mit ruhiger Hand
Am meisten Empathie entwickelt Faymann, wenn er über sein Leib-und-Magen-Thema reden kann: Arbeitsplätze. Gloggnitz, ein verschlafener Ort am Fuße des Semmerings. In einer ehemaligen Tischlerei wird wieder gehobelt und Stahl gebohrt. Das Arbeitsmarktservice betreibt hier eine staatliche Lehrwerkstätte und bildet 100 Jugendliche, die keine Lehrstelle fanden, zu Spenglern und Tischlern aus. Faymann lässt sich von den jungen Tattoo- und Piercing-Trägern interessiert erklären, was sie gerade machen und wünscht "alles Gute für die Ausbildung“. Besonders gerne hört er vom Chef dieses Bildungsbetriebs, dass bisher jeder Jugendliche danach einen "normalen“ Arbeitsplatz in einem richtigen Unternehmen gefunden hat. "Unsere Jugendgarantie bringt also etwas“, sieht Faymann seine Politik bestätigt.

Das ist seine Lieblingsrolle - der erfolgreiche Krisen-Kanzler, der "mit ruhiger Hand“ steuert. "Hier kommen wir her, wenn der Barroso wieder unser Erfolgsmodell Lehre besichtigen will“, verabschiedet sich Faymanns ständiger Begleiter Ostermayer aus Gloggnitz.

Es klingt nicht so, als würde er im Geringsten am Wahlsieg zweifeln.