SPÖ Wien

Freunderlschaft, Genossen: Fünf Merkmale einer Partei in der Krise

Die SPÖ Wien ist es gewohnt, eine Vormachtstellung in der Hauptstadt und in der Bundespartei zu haben. Doch Grundstücksdeals und Grabenkämpfe zeigen, wie schwer die Sozialdemokratie in der Stadt mit Widerspruch umgehen kann.

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1. Die Entfernung von den eigenen Werten

Bürgermeister Michael Ludwig lebt zwar in Floridsdorf, doch der Flötzersteig in Penzing rückte ihm diese Woche bedrohlich nahe. Schon wieder kam der Vorwurf auf, ein SPÖ-Freund habe an einem Grundstücksdeal mit der Stadt überbordend viel verdient. „WZ“ und „Ö1“ berichteten, dass Wien im Jahr 2011 ein Grundstück an Thomas Weninger verkauft hatte, der es wiederum Jahre später an einen Bauträger veräußerte – deutlich teurer und mit der Aussicht auf eine Umwidmung. Der Wohnbaustadtrat, der den Antrag zur Umwidmung im Gemeinderat eingebracht hatte, war damals Michael Ludwig. Noch heute arbeiten die beiden eng zusammen: Ludwig ist Präsident des Städtebundes, Weninger sein Generalsekretär.

Auch wenn die SPÖ Wien auf fehlende Interessenten für das Grundstück und korrekte Prüfungen vom Rechnungshof verweist: Es ist ein weiterer Fall, in dem zumindest der Anschein erweckt wird, dass das Grundbuch auf das Parteibuch verweist. Schon bei anderen Deals von Genossinnen und Genossen mit lukrativen Kleingärten, die in den vergangenen Wochen publik wurden, musste die Wiener SPÖ zumindest eine „schiefe Optik“ eingestehen.

Hohe SPÖ-Funktionäre, die durch gute Kontakte zu besseren Grundstücken kommen – allein der Vorwurf kratzt am Image der Sozialdemokratie. Zur Identität der Partei gehört, dass in der Gesellschaft alle dieselben Chancen haben sollten. Wenn ausgerechnet die SPÖ Bessergestellten einen Umwidmungsgewinn verschafft haben soll, steht das diametral zu ihren Werten. Die SPÖ Wien hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Ausgerechnet in einer Zeit, in der die Bevölkerung der Politik im Allgemeinen misstraut.

2. Die Selbstreflexion fehlt

Heinz Fischer verpackt seine harsche Kritik gut gepolstert in Diplomatie, wehtun kann sie trotzdem. Wenn der frühere Bundespräsident Richtung Wiener SPÖ sagt, dass „es Regeln gibt, die man einhalten muss und die nicht identisch mit der Rechtslage sind“, darf es die Partei ruhig als Rüge verstehen. Die Debatte rund um Kleingärten schmerze ihn, „weil es viele redliche Menschen gibt, die dann sagen: ‚Aha, da gibt es doch Gleiche und noch Gleichere.‘“

Bei SPÖ-Chef Andreas Babler muss man hingegen weniger zwischen den Zeilen lesen: „Ich sehe da schon eine Problematik, das habe ich ganz offen auch gesagt“, sagte er. „Moralisch finde ich das nicht in Ordnung, überhaupt nicht.“ Im Bund und in den anderen Ländern geht man davon aus, dass immer mehr Grundstücksdeals bekannt werden könnten. Das sei ein Problem – und auch der Grund, warum die Wiener Partei keine harschen Konsequenzen ziehe.

Wobei auch Teile der Wiener Partei mit Sorge auf die aktuellen Schlagzeilen blicken. Am lautesten ist aber die SPÖ-Spitze in Wien, die die Vorgänge verteidigt. Eine interne Kommission habe sämtliche Deals geprüft und für rechtlich in Ordnung befunden. In der Vergangenheit gab es also kein Problem, und für die Zukunft gebe man sich neue Compliance-Regeln. SPÖ-Parteisekretärin Barbara Novak sprach sogar davon, dass „Menschen durch Medien verfolgt werden“.

Das Bild, das die Öffentlichkeit von den Vorgängen hat, entfernt sich immer weiter von der Wahrnehmung der Wiener SPÖ. Von außen ist das moralische Fehlverhalten eindeutig sichtbar, im Rathaus fehlt offenbar das Problembewusstsein. Man rückt eng zusammen und lässt keinen Raum für Selbstreflexion.

3. Die Vormachtstellung wackelt

Dieser Passus wird nie in die Statuten geschrieben werden, er hat aber trotzdem seine Gültigkeit: Die SPÖ Wien ist die mächtigste aller Landesparteien, die Grundlage bilden ihre Mitglieder, ihre Wahlerfolge und ihre personellen Überschneidungen mit der Bundesparteizentrale. Während des internen Wahlkampfs für die SPÖ-Spitze haben sich Ludwig und seine Vertrauten unbeliebt gemacht, und der Frust scheint sich tief in den Rissen der Partei festgesetzt zu haben. Nach wie vor sind viele in den anderen Bundesländern überzeugt: Ludwig kandidiert am SPÖ-Parteitag deshalb nicht mehr für einen Sitz in den Parteigremien, weil er Angst vor einem schlechten Wahlergebnis hat. Wohlgesonnene gestehen ihm zu, dass der Kampf um die Parteispitze menschlich und persönlich erschöpfend war. So oder so wirkt es, als würde sich Ludwig einen Schritt von der Bundespartei distanzieren. Und damit rückt er automatisch etwas von seiner Machtposition ab.

In Wien selbst bleibt man bei der offiziellen Erklärung: Ludwig wolle sich auf die Arbeit in der Hauptstadt konzentrieren, gerade vor der Wahl. Zur Erinnerung: Sie findet erst 2025 statt.

4. Die Mitbewerber werden wieder stärker

In Teilen der SPÖ, die den Wienern nicht sehr freundlich gestimmt sind, erzählt man sich eine Anekdote: Als Babler öffentlich machte, dass er bei der Bundespräsidentschaftswahl Dominik Wlazny gewählt hatte, nahm man ihm das im Rathaus übel. Nicht, dass Babler für einen SPÖ-Kandidaten hätte stimmen können, aber mit seiner Entscheidung sprach er dem Chef der Bierpartei zumindest eine gewisse Wählbarkeit zu. 2020 war Wlazny in Wien noch ein Spaß für viele Politikverdrossene, 2025 könnte daraus im Gemeinderat Ernst werden. In einer Umfrage von Unique Reserach für „Heute“ mit 813 Befragten liegt die Bierpartei auf Platz drei. Die Stimmen kämen „quer durch die Bank“ aus allen Parteien, sagt Meinungsforscher Peter Hajek zu profil – mit Ausnahme der FPÖ.

Die Freiheitlichen werden hingegen ordentlich Stimmen gewinnen. Dafür bräuchte es nicht einmal eine Umfrage, sondern ein Blick auf das Ergebnis von 2020. Damals war die FPÖ nach Ibiza und der Spesenaffäre noch im freien Fall und stürzte um fast 24 Prozentpunkte auf rund sieben Prozent ab. Bis 2025 wird sich die Wiener FPÖ wieder aufgerichtet haben.

Damit hat die SPÖ einen großen und kleinen Konkurrenten mehr als bei der vergangenen Landtagswahl, auch wenn man in Wien beschwichtigt. Erstens würden sowohl die Bierpartei als auch die FPÖ in parteiinternen Umfragen schwächer liegen als in der öffentlichen Umfrage. Und zweitens würden Regierungsparteien nach all den Krisen überall an Vertrauen verlieren. Die Kleingarten-Krise ist damit aber nicht gemeint.

5. Das Alleinstellungsmerkmal fehlt

Während Corona feierten viele das Rathaus als Zentrum der Vernunft. Und auch vorher wusste man, wofür die Stadt und ihre Regierung stehen. Dann kamen die Aufregung um die staatliche Rettung der Wien Energie, die höheren Wohnkosten und die Debatten rund um die Stadtstraße. Heute legt die SPÖ Wien ihren Fokus auf soziale Unterstützung. Einmalzahlungen sollen die Auswirkungen der Teuerung auf die Bevölkerung abmildern. Aber richtig abheben kann sich die Partei damit nicht. Auch die schwarz-grüne Bundesregierung schüttet mittlerweile seit Jahren Beihilfen aus. Am Freitag präsentierte die SPÖ Wien ihr Doppelbudget. Große Leuchtturmprojekte fehlen aber. Politisch macht sie sich für Erleichterungen beim Erwerb der Staatsbürgerschaft stark. Aber auch das ist ein Thema, das die Bundes-SPÖ noch diskutieren muss.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.