SPÖ Wien-Parteimanagerin Novak wünscht sich weniger Frauen mit Kopftuch
Religion ist das Opium des Volkes. Barbara Novak würde diesen Satz wohl unterschreiben. Erstens stammt der Spruch von Karl Marx, mit dessen Namen die 41-Jährige väterliche Gefühle verbinden. "Ich habe ihn heiß geliebt", sagt sie über den Gemeindebau in Wien-Döbling, der nach dem Urvater des Sozialismus benannt ist. Sie verbrachte dort den Großteil ihrer Kindheit mit ihrer alleinerziehenden Mutter.
Zweitens ist Novak ohne religiöses Bekenntnis. "Ich bin protestantisch getauft, christlich erzogen und habe mich im Laufe der Jugend abgemeldet." Seit mehr als 20 Jahren in SPÖ und Gewerkschaft aktiv, seit 2015 als Döblinger Parteichefin - das reichte ihr als Hingabe.
Drittens sind Religionen Männerbastionen und stehen schon deshalb im Widerstreit mit dem Weltbild der Feministin. "Wir sollten generell die Trennung von Kirche und Staat stärker diskutieren", erinnert Novak an die säkularen Wurzeln der Sozialdemokratie.
"Mädchen stärken!"
Parteisteuer statt Kirchensteuer, Feminismus statt Vaterunser: Das verbindet sie mit vielen Genossinnen und Genossen. Wenn es jedoch um den Islam geht, gibt sich die SPÖ nicht mehr ganz so distanziert - nach dem Motto: Opferschutz für die Feinde der Rechtspopulisten, wir machen nicht das Geschäft der FPÖ. In den vergangenen Jahren fuhren selbst die Grünen einen deutlich kritischeren Kurs gegenüber Vereinen, die der zunehmend nationalistisch-islamistischen Türkei treu ergeben sind. Der Ex-Grüne Peter Pilz kokettierte sogar mit einem Verbot. Anders SPÖ-Chef Christian Kern, der den Vereinen im Nationalratswahlkampf seine Aufwartung machte, mit Islam-Verbinder Omar Al-Rawi an seiner Seite. Dem Wiener Parteichef Michael Ludwig würde Novak solche Last-Minute-Auftritte wohl nicht raten. "Ich stehe diesen Vereinen sehr kritisch gegenüber", sagt Novak mit derselben Überzeugung, mit der sie ein Kopftuchverbot in Kindergärten und Volkschulen fordert. Auf dem Landesparteitag 2017 hatten die SPÖ-Frauen noch beschlossen: "Für ein Selbstbestimmungsrecht von Frauen - gegen ein gesetzliches Kopftuchverbot." Novaks Antrag der Döblinger Frauen - "Mädchen stärken! Wir wollen nicht, dass Mädchen in Kindergarten und Volksschule Kopftuch tragen" - wurde hingegen abgeschmettert.
Ressentiments gegen Migranten, Fremde, Flüchtlinge klingen bei Novak nicht durch, weil sie streng feministisch argumentiert. "Vollen Respekt vor Frauen, die Kopftuch tragen. Mir geht es um patriarchale Strukturen, die Frauen die Möglichkeit auf ein selbstbestimmtes Leben verwehren. Das werde ich nie akzeptieren", sagt Novak mit Nachdruck. Beobachter beschreiben sie treffend als "resolut".
Eine Erklärung für Novaks Hang zu Frauen-Power ist ihre Biografie. Sie wuchs allein mit ihrer Mutter auf, die sie nur "die Mama" nennt. Die Alleinerzieherin kam im Karl-Marx-Hof als Hausbesorgerin samt Dienstwohnung unter, als Barbara Novak sechs war. Für die Mutter stand fest: Die Tochter musste um jeden Preis ins Gymnasium. "Dort war ich, umgeben von reichen Döblinger Kindern, das einzige Arbeiterkind." Als Novak 20 war, schaffte die Mutter den Aufstieg in die EDV-Branche. Sie mussten raus aus der Dienstwohnung, Novak zog ebenfalls weg, blieb aber im Bezirk engagiert. In den Gemeindebauten des Nobel-Bezirks stieg der Anteil an Ausländern und Muslimen ähnlich rasch wie im Rest der Stadt.
Wöchentliche Sozialsprechstunde
Seit 2015 ist Novak SPÖ-Bezirkschefin und bittet einmal pro Woche zur Sozialsprechstunde. "Viele Menschen, die zu mir kommen, haben Migrationshintergrund, und nicht wenige davon tragen Kopftuch. Ich weiß, wovon ich rede", ärgert sie sich über Genossen und Islam-Vertreter, die ihr unterstellten, sie habe als Döblingerin keine Ahnung von der Materie. "Was stimmt: Ich habe wenig Kontakt zu den meist männlichen Vertretern der Community, aber dafür umso mehr mit einfachen Muslimen."
Novak ist überzeugt: "Verschleiert ist der Aufstieg von Frauen in ein ökonomisch selbstbestimmtes Leben noch schwieriger." Deswegen rät sie Müttern mitunter, ihre Familien davon zu überzeugen, dass die Töchter kein Kopftuch tragen müssen.
In der Kopftuchdebatte betonen Islamvereine und viele SPÖ-Frauen das Recht der Frauen, ihre Kleidung selbst zu bestimmen. Novak lenkt den Blick lieber auf den Zwang: "Frauen erzählen mir, dass sie aus ihrem Familienverband ausgeschlossen und ihr soziales Umfeld verlieren würden, sollten sie das Kopftuch ablegen." Diesen Musliminnen sei bewusst, dass sie sich mit dem Schleier sichtbar von der übrigen Gesellschaft abgrenzen und weniger Chance auf dem Arbeitsmarkt hätten -und sie würden darunter leiden.
Angst, konservativ-türkische Stammwähler der SPÖ mit ihrer Stoßrichtung zu vergrämen, hat die neue Parteimanagerin nicht. In ihrem Büro steht prominent platziert, vergrößert und gerahmt ein Foto. Es zeigt eine Protagonistin des iranischen Widerstands, die mit offenem Haar auf einem Podest steht und ein weißes Kopftuch auf einem Stock schwenkt. Für diesen Verstoß gegen die Kopftuchpflicht im Iran landete die Demonstrantin im Gefängnis. "Eine liberale Muslima hat es mir zum Dank für meine Haltung vorbeigebracht."
Gegen Kürzungen der Mindestsicherung
Im Kampf um den nächsten Bürgermeister zählte Novak zum vermeintlich "rechten" Lager rund um den Sieger Michael Ludwig. Richtung FPÖ biegt sie aber nicht ab. Eine Koalition mit den Blauen nach der Wahl 2020 schließt die Wahlkampfmanagerin schon jetzt dezidiert aus. In der Flüchtlingspolitik blinkt sie ebenfalls nicht rechts. Kürzungen der Mindestsicherung für Flüchtlinge wie in Niederösterreich oder Oberösterreich hält sie für ausgeschlossen. "Die Mindestsicherung ist für mich die absolute Untergrenze. Wir müssen zusätzlich schauen, ob wir noch stärker helfen, wenn die Waschmaschine kaputt wird oder das Geld für den Skikurs der Kinder fehlt."
Während die FPÖ Flüchtlingslager am Stadtrand fordert, verweist Novak stolz auf rund 30 Familien, die in "nigelnagelneuen" Dachgeschoss-Appartements eines Döblinger Pensionistenheimes im Besitz der Stadt Wien wohnen. "Dort wurden schon viele Kinder geboren."
Die Rekordzuwanderung der vergangenen zehn Jahre sieht Novak pragmatisch. Wiener Schulklassen mit bis zu 100 Prozent Migrationshintergrund stören sie nicht per se. "Migrationshintergrund sagt noch nichts aus. Es geht darum, ob Kinder Deutsch können, wie die soziale Lage und die patriarchalen Strukturen daheim sind." Eigentlich würde sie gerne mehr über andere Dinge reden. Aber ihr frischer Zugang zu diesen Themen hat medial und parteiintern einiges aufgewühlt. Vor der Tür wartet Omar Al-Rawi.