Spurensuche: Warum Kufstein die Kokain-Hochburg Österreichs ist
Jede:r Einwohner:in von Kufstein konsumiert im Jahr durchschnittlich zwei Lines Kokain. Das zeigt das Ergebnis eines Abwasser-Monitorings, durchgeführt von der EU-Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA in Zusammenarbeit mit der Medizinuniversität Innsbruck. Analysiert wurden Drogenrückstände im Abwasser von österreichischen Städten – heuer nahm Wien zum ersten Mal teil. In der Hauptstadt werden etwa 371 Milligramm Kokain pro Tausend Personen konsumiert – in der 17.000-Einwohner-Stadt Kufstein sind es 537 Milligramm.
Grenzstadt, Student:innenstadt, Tourismusstadt
Die Ergebnisse der Studie werfen jedes Jahr eine Frage auf: Warum wird ausgerechnet in Tirol so viel Kokain konsumiert? Eine Spurensuche bei Ermittler:innen, Drogenexpert:innen und beim Kufsteiner Bürgermeister liefert mehrere Ansatzpunkte.
Unterschied zwischen West- und Ostösterreich
Österreichs Vorlieben für verbotene Substanzen sind regional höchst unterschiedlich. Im Osten konsumieren die Menschen vermehrt synthetische Drogen wie Speed oder Crystal Meth, im Westen sind es hingegen Kokain und Cannabis, erklärt Gerichtsmediziner Herbert Oberacher von der Medizin-Universität Innsbruck, der die Abwasser-Studie durchgeführt hat. Diese Unterteilung lässt sich in ganz Europa beobachten. Da ist Österreich aufgrund seiner zentralen Lage die Schnittstelle zwischen Ost und West.
Der Grund für diese Aufteilung könnte unter anderem ein finanzieller sein – im Osten Österreichs ist das Durchschnittseinkommen etwas niedriger als im Westen des Landes. Ein Gramm Kokain soll bis zu 100 Euro kosten, ein Gramm Speed hingegen im Schnitt 30 Euro. Sprich: Tiroler:innen können sich ein Gramm Kokain eher leisten als Burgenländer:innen.
Der europäische Vergleich
Dieses Ost-West-Gefälle zeigt sich auch bei den untersuchten Städten deutlich. Im europaweiten Städte-Ranking belegt Kufstein beim Kokainkonsum Platz 17 von 107, im Cannabiskonsum Rang 12 von 55 – Wien liegt bei diesen Drogen deutlich dahinter, auf Rang 26 und 22. Europaweit wird im belgischen Antwerpen am meisten gekokst, die Schweizer Stadt Genf ist Spitzenreiter im Cannabiskonsum.
Einen Messfehler in Kufstein kann Studienleiter Oberacher jedenfalls ausschließen, das Monitoring wird in dem Ort bereits seit mehreren Jahren wissenschaftlich korrekt durchgeführt. Im Vergleich zu 2021 ist der Cannabis- und Kokainkonsum um jeweils 14,6 und 33,6 Prozent gestiegen.
Folder und Präventionsprojekt
Der Polizei und der Stadt Kufstein ist das erschreckende Ergebnis bekannt. Die Zahlen werden profil-Informationen zufolge „sehr ernst“ genommen. Bürgermeister Martin Krumschnabel von der Bürgerliste „Die Parteifreien“ reagiert auf profil-Anfrage etwas gereizt. Das Thema sei bekannt und nicht weiter berichtenswert. Ganz kalt lassen dürfte den Ortschef der negative Spitzenplatz für seine Stadt aber nicht. Er kündigt gegenüber profil an, gemeinsam mit der Polizei Präventionsmaßnahmen wie ein Drogen-Aufklärungsprojekt auszuarbeiten. Krumschnabel kündigt auch Informationsfolder zum Thema an, sie werden, wenn alles gut läuft, Ende dieses Jahres gedruckt. Recht weit gediehen dürften die Aufklärungsprojekte noch nicht sein, zu Details hielt man sich in Tirol bedeckt.
Auch wenn es keine abschließenden Erklärungen für den Drogenkonsum in Kufstein gibt, halten Fachleute gegenüber profil folgende Gründe für plausibel: Einer davon ist die Fachhochschule Kufstein, an der 2200 Studierende eingeschrieben sind. Sie machen mehr als ein Zehntel der Stadtbewohner aus. Dazu kommt: Während der Wintersaison sind viele Touristinnen und Touristen in Kufstein, auf Aprés-Ski-Parties soll es eine gesteigerte Nachfrage nach Drogen gebe. Auch die geographische Lage – die Nähe zu Deutschland – könnte eine Rolle spielen. Die Stadt liegt direkt an der Grenze.
Wolfgang Weninger, stellvertretender Bezirkspolizeikommandant in Kufstein, bestätigte, dass auch innerhalb der Kufsteiner Polizei die Bekämpfung von Drogenkriminalität dieses und kommendes Jahr im Fokus stehen würde. Über die Gründe für den hohen Konsum will er öffentlich nicht spekulieren. Er sagt nur soviel: „Polizeilich kann man sich den hohen Konsum nicht erklären, deshalb geht es jetzt darum, Präventionsarbeit zu leisten.“
Und dabei wird Kokain derzeit immer beliebter – laut einer Befragung des EMCDDA hätte ein Sechstel der Österreicher:innen zugegeben, mindestens einmal in ihrem Leben das „weiße Pulver“ konsumiert zu haben. Die Dunkelziffer könnte jedoch deutlich größer sein. Wird sich das noch ändern? In Kufstein arbeitet man zumindest daran.